Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 4 – Familienroman


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ich denn?«, fragte die Huber-Mutter beklommen. »Sag doch etwas?«

      Das Kind schwieg. Die Huber-Mutter streckte die Hand aus, um die Kleine anzufassen. Fast hatte sie Angst, dass die Gestalt dabei in nichts zerfließen würde, doch das erwies sich als Irrtum. Das Mädchen war zwar zerbrechlich dünn, aber immerhin ein Wesen aus Fleisch und Blut.

      »Hast du mich aber erschreckt!«, seufzte die alte Frau. »Ich glaubte schon an eine Geistererscheinung. Aber nun erzähl mir, woher du so plötzlich gekommen bist.«

      Das Kind rührte sich nicht und verzog keine Miene.

      »Sag mir wenigstens deinen Namen«, bat die Huber-Mutter. »Wie heißt du?«

      »Ich heiße Lucie«, stieß das Kind hervor.

      »Lucie! Das ist ein schöner Name. Es gefällt mir. Und ich bin die Huber-Mutter. So nennen mich alle. So, und jetzt werde ich aufstehen und dich zu deinen Eltern bringen. Vielleicht machen sie sich bereits Sorgen um dich.«

      Lucie zeigte bei diesen Worten keine Reaktion. Es schien, als sei sie taub. Aber das konnte nicht der Fall sein, denn auf die Frage nach ihrem Namen hatte sie ja geantwortet.

      Die Huber-Mutter erhob sich ein wenig mühsam und nahm das Kind an die Hand. Willig ging Lucie mit der alten Frau mit, doch diese blieb nach ein paar Schritten unschlüssig stehen. »Erinnerst du dich, aus welcher Richtung du gekommen bist?«, wandte sie sich an Lucie. »Von dort – oder von dort?«

      Lucie senkte den Kopf und presste fest die Lippen zusammen.

      »Was fange ich nur mit dir an?«, fragte die alte Frau ratlos. »Am besten wird es sein, wir suchen Frau von Schoenecker.«

      Die Huber-Mutter brauchte nicht lange zu suchen. Denise kam ihr schon entgegen. Auch Schwester Regine, Nick und die übrigen größeren Kinder hatten inzwischen die Schlossbesichtigung beendet und sich zu den Kleinen gesellt. Sie alle umgaben nun die Huber-Mutter und deren unbekannte Gefährtin.

      »Wer ist das?«

      »Wo hast du das Kind aufgelesen, Huber-Mutter?«

      »Wie heißt es?«

      Die Fragen schwirrten nur so durch die Luft.

      Heidi trat auf Lucie zu und sagte: »Schade, dass wir dich nicht früher gesehen haben. Du hättest mit uns spielen können.«

      Lucie wich zurück und klammerte sich ängstlich an die Hand der Huber-Mutter. Ihre Augen schienen immer größer zu werden, und ihr Blick irrte verständnislos zwischen den Kleinen umher.

      »Lasst das Kind in Ruhe. Merkt ihr nicht, dass es sich vor euch fürchtet?«, wies Denise ihre Schützlinge zurecht.

      »Ja. Lucie fürchtet sich«, stimmte die Huber-Mutter zu.

      »Lucie heißt sie also!«

      »Das ist das Einzige, was ich bis jetzt aus ihr herausbekommen habe. Sie will mir nicht sagen, woher sie kommt.«

      »Sie ist noch so klein. Weit kann sie also nicht gelaufen sein«, meinte Schwester Regine.

      »Vielleicht gehört sie zu einer der Familien, die ihre Autos neben dem Bach abgestellt haben. Wir wollen mit ihr hingehen und nachfragen«, beschloss Denise.

      Dieses Vorhaben wurde sofort in die Tat umgesetzt, aber es führte zu keinem Ziel. Niemand kannte das Kind.

      Denise und Schwester Regine blickten einander verwundert an. »Das ist rätselhaft«, sagte Schwester Regine. »Ich verstehe das nicht. Das Kind kann doch nicht vom Himmel gefallen sein.«

      »Irgendwie sieht es aber so aus«, mischte sich Pünktchen, eines der größeren Mädels ein. »Ich meine so, als ob Lucie vom Himmel gefallen sei. So …, so überirdisch.«

      »Ja, das war auch mein erster Eindruck«, sagte die Huber-Mutter. »Ich hatte das Gefühl, dass ich träume.«

      »Dann müssten wir jetzt alle träumen«, stellte Nick trocken fest. »Aber ich weiß, dass ich munter bin, und das Kind hier ist gewiss kein Engel, sondern ein verängstigtes kleines Mädchen, das wir schleunigst zu seinen Angehörigen bringen sollten.«

      »Und wie willst du das bewerkstelligen?«

      »Lass mich nur machen«, meinte Nick zuversichtlich. Er kniete sich neben Lucie nieder, strich ihr über die seidigen blonden Haare und fragte mit so viel Sanftheit, wie er aufbringen konnte: »Wo wohnst du? Du hast der Huber-Mutter deinen Namen gesagt, sicher weißt du auch deine Adresse.«

      Lucie starrte Nick an, als ob er ein Wesen aus einer anderen Welt sei, aber sie schwieg beharrlich.

      »Nichts zu machen«, seufzte Nick und stand auf.

      »Glaubt ihr … Nein, das ist unmöglich.«

      »Nun rede schon! Woran denkst du, Pünktchen!«

      »Vielleicht haben die Eltern das Kind hier vergessen und sind mit dem Auto nach Hause gefahren, ohne zu bemerken, dass es fehlt.«

      »Das ist Unsinn!«

      »Na ja, du wolltest es ja hören.«

      »Wenn du keine bessere Idee hast, kannst du sie für dich behalten.«

      »Streitet nicht«, ermahnte Denise die Kinder. »Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als Lucie zum nächsten Polizeirevier zu bringen und dort den Vorfall zu melden.«

      »Wartet! Einen Moment noch!«, rief Nick. »Vielleicht gibt es hier in der Gegend irgendwo ein Haus, in dem Lucie wohnt. Wir haben noch genügend Zeit. Ich werde mich ein wenig umschauen.«

      Die größeren Kinder schwärmten sofort aus, um die Umgebung zu erforschen. Es war Pünktchen, die einen Erfolg zu vermelden hatte.

      »Ich habe noch einmal mit den Leuten, die neben dem Bach ein Picknick abhalten, gesprochen«, teilte sie aufgeregt den anderen mit. »Eine Frau hat mir erzählt, dass es weiter unten neben der Straße ein Haus gibt. Man sieht es kaum, weil hohe Bäume davor stehen.«

      »Wir wollen gleich hingehen», unterbrach Nick seine Freundin.

      »Aber nicht alle«, widersprach Denise ihn.

      Schließlich einigten sie sich, dass Denise, Nick, Pünktchen und die Huber-Mutter mit Lucie zu dem Haus im Wald gehen sollten.

      Anfangs ging Lucie bereitwillig mit. Doch plötzlich blieb sie stehen und war nicht mehr von der Stelle zu bewegen.

      »Komm, Lucie, es ist nicht mehr weit«, redete Pünktchen dem Kind zu. »Da vorn sehe ich eine Mauer. Das muss das Haus sein.«

      »Vielleicht ist Lucie müde. Ich werde sie tragen.«

      Nick hob das Mädchen hoch, ohne auf dessen Sträuben zu achten, und schritt geradewegs auf die von Pünktchen bezeichnete Mauer zu. Diese umgab allem Anschein nach ein größeres Anwesen. Sie war zwar niedrig, aber lange schwarze Eisenstäbe, die oben spitz zuliefen, ragten daraus hervor. Dahinter zog sich eine dichte Hecke hin, die jeglichen Einblick verwehrte.

      »Irgendwo muss es einen Eingang zu dem Grundstück geben«, meinte Denise. »Wir wollen an der Mauer entlanggehen, bis wir den Eingang finden.«

      »Wenn man nur hineinsehen könnte!« Pünktchen kletterte auf die Mauer und bemühte sich, durch die Büsche zu spähen. »Ich kann niemanden sehen und nichts hören«, meldete sie.

      »Da vorn, neben der großen Kastanie, sind ein paar von den Eisenstäben ausgebrochen, und die Hecke ist beschädigt. Probiere, ob du von dort aus etwas entdecken kannst!«, sagte Nick.

      Pünktchen gehorchte. »Ja, ich sehe ein Haus, zumindest ein Stück davon«, erklärte sie gleich darauf.

      Denise und die Huber-Mutter waren inzwischen weitergegangen und zu einem schmiedeeisernen Gittertor gelangt. Nick und Pünktchen folgten den beiden Erwachsenen, wobei sich Lucie heftig wehrte und erfolglose Anstrengungen unternahm, sich Nicks Armen zu entwinden.

      »Was hast du denn?«, fragte dieser