Hans Wollschläger

Karl May


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und als er dann Anfang August erneut um Aufenthaltsbewilligung in Dresden nachsucht, wird sie ihm gewährt: er zieht ins Hintergebäude des Verlags. So wird der unsanfte Stoß doch relativ leicht überwunden, und die nun folgende Zeit verbringt May mit redlich fleißiger Arbeit: den ›Beobachter‹, zu dem er nach der ›Wanda‹ nur noch den ›Gitano‹, ein erstes exotisches Abenteuer unter den Carlisten, beigetragen hatte, läßt er eingehen und gründet dafür zum Anfang September gleich 2 neue Wochenschriften: ›Schacht und Hütte‹ und ›Deutsches Familienblatt‹. Und die hehren Aufgaben, die er ihnen später zuschrieb, lassen sich selbst bei nachsichtigem, milde gerührtem Betrachten der alten Folianten kaum übersehen: hausbacken und naiv sind Anlage und Inhalt – und so brav, wie man nur will: sie waren darauf berechnet, besonders die seelischen Bedürfnisse der Leser zu befriedigen und Sonnenschein in ihre Häuser und Herzen zu bringen …: das ist so richtig, wie dergleichen lakonische Plattheiten nur sein können. Die zahlreichen Traktate, die ›Schacht und Hütte‹ füllen, belegen – sieht man vom damit gegebenen Porträtbildnis der damit befriedigten Leser ab – am Ende eigentlich nur, daß May um diese Zeit den später noch häufig gepflogenen Umgang mit dem Konversationslexikon erlernte; auch die zwar mit Sorgfalt stilisierten, doch ebenso gediegen nichtigen ›Geographischen Predigten‹ lassen sich nicht besser einschätzen, – allenfalls auf deutschen Kanzeln könnten sie heute noch Ehre einlegen. Im ›Familienblatt‹ aber versucht er sich, nach der ersten Umrißzeichnung des späteren ›Winnetou‹[6], mit dem zweiten Stück aus der Mappe eines Vielgereisten, ›Old Firehand‹, zum erstenmal an der Fabel, der langsam tastend erdachten, in die er seine beschädigte Ich-Wirklichkeit verwandelt hat und hinübergerettet, planlos vorerst und noch ohne Zukunft – aber doch. Und es ist schon ein bedeutender Augenblick, dieser Oktobertag des Jahres 1875, nicht nur für May selbst, sondern für noch unabsehbare Millionen deutscher Leser: eine Mythologie wird begründet: ein ganz absonderlicher Pegasus tut die ersten Schritte: Swallow, mein wackerer Mustang, spitzte die kleinen Ohren

      In die Mitte der Münchmeyer-Zeit, den Sommer 1876, fällt auch ein weiteres, ausgemacht folgenschweres Ereignis: da lernt May bei einem seiner häufigen Aufenthalte in Ernstthal und Hohenstein im Haus seiner Schwester Christiane Wilhelmine verh. Schöne (1844–1932) jenes Wesen kennen, das in seiner Biographie der wohl kompliziertesten Sonderstudie bedürfte: Emma Lina Pollmer (1856–1917), Tochter der »unverheiratheten Weibsperson« Emma Ernestine P. (1830–1856), die zwei Wochen nach der Entbindung starb, und Enkelin des »Chierurgus und Barbiers« (auch zeitweiligen Lotterie-Kollekteurs) Christian Gotthilf P. (1807–1880), bei dem sie lebt und nicht-webt: eine verwöhnte und üppige Lokalschönheit von jetzt 19 Jahren, die beständig, bei Tag und auch Nacht, von schwärmerischen Verehrern umgeben ist. Und wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen; es folgt, was folgen muß; er verstrickt sich in das reizvolle Netz, das sogleich beim ersten Bekanntwerden nach ihm ausgeworfen wird. Kaum anders als komisch freilich ist die späte Bericht-Erstattung zu lesen, die alterssteif nach den ›Gründen‹ für den schlimmen Irrtum greift: Ich stand als Psycholog vor einer Sphinx, und ich nahm mir vor, das Rätsel dieser Sphinx zu lösen. Das war eine schriftstellerisch lohnende Aufgabe, die nur dann zum Fehler werden konnte, wenn ich, anstatt kühl objektiv zu bleiben, auf den Gedanken kam, mich auch subjektiv mit diesem Rätsel zu verbinden, und leider, leider blieb es nicht bei der kalten Objektivität![7] Offener liegen die wahrlich kaum rätselhaften Motive in dem inoffiziellen Bericht, den May für seinen präsumtiven Biographen hinterließ: da ist er damals dumm genug, stolz darauf zu sein, daß ich alter Kerl die jungen Anbeter alle ausgestochen hatte, und zwar so schnell und gründlich, mit einem einzigen Male! Denn sehr bald schon, als man nach Hause ging, führte ich ›Fräulein Pollmer‹ heim, brauchte das aber nie wieder zu thun, denn schon von morgen an kam sie täglich abends zu mir, anstatt ich zu ihr, sobald Pollmer schlafen gegangen war, heimlich, leise, durch meine Hinterthür, die für sie offen stand …[8]

      Wieder in Dresden, hält May die Verbindung durch Briefwechsel aufrecht, und darüber geriet er, wenn auch mißtrauisch, noch im Alter in redliches Schwärmen: Ihre Zuschriften machten einen außerordentlich guten Eindruck. Sie sprach da von meinem ›schönen, hochwichtigen Beruf‹, von meinen ›herrlichen Aufgaben‹, von meinen ›edeln Zielen und Idealen‹. Sie zitierte Stellen aus meinen ›Geographischen Predigten‹ und knüpfte Gedanken daran, deren Trefflichkeit mich erstaunte. Welch eine Veranlagung zur Schriftstellersfrau! Und je mehr er sich mit dem Gedanken vertraut macht, die Dame zu seiner Gemahlin zu erheben, in desto widerlicherer Gestalt erscheint ihm nun das Münchmeyersche Milieu. Im September 76 hat er ›Schacht und Hütte‹ wie auch das ›Familienblatt‹ eingehen lassen und es mit einer neuen Zeitschrift versucht, den ›Feierstunden am häuslichen Heerde‹, für die der Münchmeyer persönlich als Herausgeber zeichnet. Doch die Arbeit, die an Freiheit zunehmend verloren zu haben scheint, wird ihm sauer, zumal er nun immer enger mit zur Familie gehören soll: einer exemplarischen Gesellschaft, in der die Kolportage so lebensnah wie möglich praktiziert wird: – die Beschreibung, zu der May vielerlei Material hinterlassen hat, ergäbe ein durchaus reizvolles Buch. Als ihm der Fabrikant des in die Häuser und Herzen zu bringenden Sonnenscheins nun jedoch, vergangenen und künftigen Diensten zum zweifelhaften Lohn, die wenig reinliche Hand seiner Schwägerin Minna Ey offeriert, der Schwester seines eigenen Hausschatzes Pauline, kommt es Ende 1876 zur Kündigung. »Karl May und Minna Ey / die werden niemals zwei«, faselt denn auch der nachbarliche Volksmund bald sehr richtig: im März 77 verläßt May das muntere Verlagshaus, läßt den Historischen Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern ›Der beiden Quitzows letzte Fahrten‹ am häuslichen Heerde liegen, wie er liegt, und zieht in die Pillnitzer Straße.

      Die peinlichen Auftritte können die Bindung an das Fräulein Pollmer nur beschleunigen. Zu Pfingsten (20.5. 1877) ist May wieder in Hohenstein, doch scheint es bereits vorher mit Emma zu Vereinbarungen gekommen zu sein, denn schon am 5.5. hat sie sich entschlossen, den Großvater zu verlassen, und sich nach Chemnitz abgemeldet. Aber der eitle alte Lotteriespieler hat andere Pläne: Er warf alle seine früheren und auch noch neue, größere Hoffnungen auf sie und erzog sie dementsprechend in der Weise, daß sie sich für den Engel hielt, der ja nicht zu einem gewöhnlichen, sondern nur zu einem möglichst hervorragenden Manne herniedersteigen dürfe …[9]; so mündet die Aussprache mit May in hochdramatisches Zanken; der »arme Teufel« reist ab – und Emma folgt ihm nach Dresden. Am 26.5. zieht sie dort zur Pastorswitwe Auguste Ernestine Petzold in die Mathildenstraße 18, wo sie die Künste der Haushaltsführung erlernen soll; doch es behagt ihr nicht lange, und bald ist sie »ohne Anmeldung fort« – nach Dresden-Strießen zu May, der dort ein »kleines möbliertes Parterre« gemietet hat …

      Um sie zum Arbeiten anzuhalten[10], will May sie zu sich genommen haben; seine Arbeit aber ist es, die zuerst den Schaden davon hat. Denn wozu Emma auch immer veranlagt war, zur ›Schriftstellersfrau‹ war sie’s nicht, und das ist May nicht lange verborgen geblieben. Was ihm sonst noch während dieser Zeit aufging, läßt sich nur vermuten; glaubwürdig immerhin aber ist die Notiz, daß er sie dann (etwa Oktober 1877), als es den alten Pollmer doch wieder nach ihr verlangte, nach Hohenstein zurückbrachte, weil ich sie los sein wollte …[11] Aber es kommt vielmehr zur dreieckigen Versöhnung mit dem alten Chierurgus und Barbier, und als May im Januar 1878 nach Strießen zurückkehrt, hat das Verhältnis mehr oder minder freiwillig die alte Herzlichkeit.[12]

      In Dresden hat er nun auch, nach dem sehr knappen freiberuflichen Zwischenspiel, eine neue Stellung gewonnen: der Verleger Bruno Radelli stellt ihn als Redakteur für sein Wochenblatt ›Frohe Stunden‹ ein, und der Jahrgang II (Oktober 1877 bis Oktober 1878) enthält nun in dichter Folge 12 Beiträge des Sechsunddreißigjährigen (7 davon unter dem Pseudonym ›Emma Pollmer‹: ein rührender Versuch, das Mädchen an der Schriftstellerei Geschmack finden zu lassen). Auch andere Blätter bringen jetzt langsam diese und jene kürzere Arbeit – Humoresken, Dorfgeschichten, Abenteuererzählungen –, und wenn auch die buntschematischen Fabeleien sich kaum für mehr als Talentproben halten lassen, so mag doch immerhin das Urteil Peter Roseggers daneben stehen: »Vor kurzem«, schreibt er am 12.7.1877 an Robert Hamerling, »erhielt ich von einem Herrn Karl May, Redakteur in Dresden, für meinen ›Heimgarten‹ eine Erzählung ›Die Rose von Kahira, ein Abenteuer aus Ägypten‹. Diese Geschichte ist so geistvoll und spannend geschrieben, daß ich mir gratuliere … Seiner ganzen