Hans Wollschläger

Karl May


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›glücklich‹ hat sich May während der Waldenburger Jahre wohl jedenfalls kaum befunden; und die Ferien verbringt er durchaus gern wieder in der Heimatstadt, dort freilich weniger in der elterlichen Marktwohnung als in der Herrenstraße 53[5], wo das Schwesternpaar Anna und Laura Preßler ihn stark beschäftigt, vorab die ihm gleichaltrige Anna, Meine 1. Liebe[6] (die allerdings, trotz der ihr innig zugesungenen Liebeslieder, 1858 die Ehe mit einem Schnittwarenkrämer der Romantik vorzieht). Die Anstalt ist dagegen ein um so öderer Aufenthalt, ein trostlos trockenes Vertriebsbureau lexikalisch gestapelten Wissens; die Darstellung der Selbstbiographie wird von den Dokumenten ausgiebig bestätigt: Der Unterricht war kalt, streng, hart. Es fehlte ihm jede Spur von Poesie. Anstatt zu beglücken, zu begeistern, stieß er ab … Man lehrte nämlich weniger das, was zu lernen war, als vielmehr die Art und Weise, in der man zu lernen hatte … In meinem Wissen fehlte das feste Gerippe. Ich war in Beziehung auf das, was ich geistig besaß, eine Qualle, die weder innerlich noch äußerlich einen Halt besaß und darum auch keinen Ort, an dem sie sich daheim zu fühlen vermochte … Daß May dies damals bereits sicher erkannte und unausgesetzt an meiner seelischen Gestalt herumarbeitete, mich innerlich zu säubern, zu reinigen, zu ordnen und zu heben, ist zweifelhaft; bloßer Instinkt scheint sich gegen die von engen Disziplinen vergitterte Um- und Unwelt gekehrt zu haben, besonders deren dressierte Christlichkeit, die selbstgerechte, starre, salbungsvolle und muckerische Schulmeisterreligiosität[7] (eben jene, die er selber in seinen Erfolgsjahren dann recht virtuos praktizierte): Es gab täglich Morgen- und Abendandachten, an denen jeder Schüler unweigerlich teilnehmen mußte … Wir wurden sonn- und feiertäglich in corpore in die Kirche geführt … Es gab außerdem bestimmte Feierlichkeiten für Missions- und ähnliche Zwecke … Und es gab für sämtliche Seminarklassen einen wohldurchdachten, sehr reichlich ausfallenden Unterricht in Religions-; Bibel- und Gesangbuchlehre … Und so weiter. Als May im April 59 einmal dem Nachmittagsgottesdienst fernbleibt, setzt es denn auch sogleich eine Verwarnung; überhaupt sei er von »schwachem religiösen Gefühl«[8], findet hernach die Anstaltsleitung: ein Nächster, der nur mit Vorbehalten zu lieben wäre: »arge Lügenhaftigkeit und rüdes Wesen«[9] sind ihm eigen: es fehlt am rechten Geiste, dem wohldressierten, in spanische Stiefel eingeschnürten: mit diesem Schüler kann es kein gutes Ende nehmen …

      Die offenbare Abneigung seiner Aufseher verschärft bis zur Bösartigkeit das Unglück, das May Mitte November 59 über sich bringt: da ist er »Lichtwochner«, hat die Beleuchtung der Klassenräume zu versorgen, verwaltet den Kerzenvorrat; – und in einem wirren Moment nimmt er »6 ganze Lichte«[10] an sich (an anderer Stelle: »1 Pfund Talglichter«[11]), verbirgt sie zwei Wochen lang in seinem Koffer, und da werden sie dann, auf Anzeige zweier Mitschüler, gefunden: – an der Eigenbeschreibung, die in ausführlicher Harmlosigkeit von Talgresten redet, höchstens für Schmiere zu gebrauchenSchmutznicht drei Pfennig wert, scheint ›richtig‹ nur der dargestellte Zweck zu sein: das Wachs soll den Eltern und Geschwistern zum Christfest leuchten. Statt dessen entzündet der Seminardirektor Dr. Schütze die qualmende Fackel der Gerechtigkeit; eine Konferenz beschäftigt sich mit dem »infernalischen Charakter« (21./22.12. 1859); ein Bericht geht an das vorgesetzte Gesammt-Consistorium Glauchau, das wiederum, kerzengerade an Leib und Seele, dem Dresdener Cultusministerium Meldung macht; steif und gesetzlich reitet der Amtsschimmel retour; und am 28.1.60 sprechen die Gerechten zu Waldenburg die Höchststrafe aus, die ihnen die Seminarordnung an die Hand gibt: Verweisung von der Anstalt »wegen sittlicher Unwürdigkeit für seinen Beruf …«[12]

      Den folgenden Monat über wird May alle Hände voll zu tun gehabt haben, sein (wohl auch vom Vater zusätzlich) schlimm gestoßenes Gleichgewicht wiederzugewinnen; am 6.3.60 dann rafft er sich auf, ein Gnadengesuch an das Cultusministerium zu richten[13], befürwortend unterstützt vom Ernstthaler Pfarrer Schmidt; und man ist einsichtig,man will die gewünschte Gnade vor Anstaltsrecht ergehen lassen: zwar verstreichen über dem langen Amtsweg noch bängliche sechs Wochen, doch dann, am 24.5., empfängt May vom Seminardirektor Wild, Plauen, den Endbescheid, daß er seine Studien dort fortsetzen darf. Am 2.6. besteht er die Aufnahmeprüfung; 2 Tage später tritt er ein.

      In Plauen hat er dann – wenn auch nicht ganz reibungslos – die Ausbildung bis zum Ende absolviert. Am 17.8.61 erhält er von der Seminarkonferenz die eingeschränkte Sittenzensur »Zur Zufriedenheit«; am 23.8. meldet er sich zur Schulamtskandidatenprüfung; vom 9. bis 12.9. stellt er sich der Schätzung seines positiven Wissens; und am Tag darauf kann er die Gesamtzensur »Gut« denn endlich getrost nach Hause tragen: es ist gelungen.[14]

      Für die Armenschule zu Glauchau wird ein Hilfslehrer gesucht. Am 5.10.61 spricht May auf der Superintendentur vor, quittiert mit Handschlag die ihm vorgelegten Bedingungen und erhält »gegen das hier übliche Vicariatsgehalt« (175 Taler jährlich plus Logisgeld) die 4. Klasse der Armenschule überantwortet.[15] Aber nur von kurzer 14tägiger Dauer ist der Dienst, den sich der Neunzehnjährige etwas zu versüßen trachtet. Am 17.10. »erscheint der hiesige Kaufmann Herr Ernst Theodor Meinhold in der großen Färbergasse 7, gibt an, daß der Hilfslehrer Carl Friedrich May bei ihm seit dem 5. Oct. sich in Wohnung und Kost gegeben, während dieser kurzen Zeit aber in der unwürdigsten Weise durch Lügen und Entstellungen aller Art sich bemüht habe, die Ehefrau von ihm abwendig und seinen schändlichen Absichten geneigt zu machen …«[16] Zwar ist der Untäter, vor dem die Gerechten ein weiteres Mal kunstvoll zurückbeben, durchaus »dieser Absicht nicht geständig«[17], muß aber einräumen, »daß er sich Annäherungen an die Ehefrau des p. Meinhold erlaubt habe …«: so wird ihm nahegelegt, die fristlose Kündigung zu akzeptieren, und wieder muß er sich nach einer neuen Bleibenden Statt umsehen.

      Sie findet sich immerhin noch rasch: am 26.10. stellt sich May beim Superintendenten Kohl in Chemnitz vor; der holt sich von der Kgl. Kreisdirektion in Zwickau die (bedingte) Zustimmung zur Anstellung des Lehrers; am 6.11. tritt May sein Amt bei den Fabrikschulen der Firmen Solbrig und Claus in Altchemnitz an – (und »der noch sehr junge Lehrer hat kein übles Lehrgeschick«, wird dann von Kohl anläßlich einer Schulrevision am 10.12. beifällig vermerkt[18]: die Schwierigkeiten scheinen überwunden). Aber der fromme Wunsch, den der Glauchauer Amtsbruder des p. Kohl auf die Post gibt: Gott werde Mithilfe leisten, »daß die ernste Verwarnung, mit welcher der p. May von hier entlassen worden ist, Frucht tragen möge«[19]: erfüllt sich nicht. Als May auf Befragen nach den Ursachen seines so eiligen Scheidens aus jener ersten Stellung erzählt, wie er »dort das Unglück gehabt, bei einem dem Trunke ergebenen Wirthe zu wohnen« und »er unverhohlen demselben sein schändliches Treiben aufgedeckt« und »jener Mann … ihn nicht nur bei dem Herrn Consistorialrath und Superintendenten Dr. Otto verklagt, sondern auch anderen Leuten gegenüber verunglimpft« und »seinem Rufe in Glauchau geschadet habe«[20], erblickt der D. Otto »den Beweis, daß der Lügengeist, dem der junge Mensch … sich ergeben hat, von ihm noch nicht gewichen ist«, und empfiehlt, »den jungen Menschen zuvor einer sorgfältigen Überwachung und einer längeren scharfen Prüfung zu unterwerfen«[21]. Die ›Wahrheit‹ des so überflüssig gebauschten Falls mit gleicher Schärfe zu überprüfen scheint sich dagegen den beteiligten Sittenrichtern nicht empfohlen zu haben: nur »erforderlichen Falles« sollen der Kläger Meinhold und seine »in allen Stücken unschuldige Ehefrau«[22] ihre Angaben eidlich bestärken; und »überdies war der Ruf einer achtbaren Familie möglichst zu schonen«[23]. May zu schonen: war kein Anlaß; so wird (nur eine der Folgen jenes Abweichens vom schnurgerade sturen Pfad amtlicher Tugend) ihm eröffnet, »daß er nur provisorisch und unter speciellster Controlle sein Amt als Fabriklehrer zu Altchemnitz verwalten könne, und er bei der geringsten Veranlassung zu Unzufriedenheit mit ihm in Lehre, Leben und Wandel seiner Stellung wieder werde entlassen werden …«[24]: jeder Schritt geht jetzt über Glatteis.

      Ein weiteres Mal verkehrt sich May solcherart eine verhältnismäßige Bagatelle in einen nicht geringen Schock; ein weiterer Nebel kommt dem blinden Gewölk hinzu, das sich in ihm zusammenbraut. Die erste Folge läßt nicht lange auf sich warten. Am 21.12.61 fährt er in die Weihnachtsferien nach Hause; – da wird er am 2. Feiertag ganz plötzlich im Hohensteiner Gasthof ›Drei Schwanen‹ verhaftet, wo er gerade Billard spielt. Die Anschuldigung: er habe seinem Stubengenossen in Altchemnitz eine Uhr gestohlen, eine »Anbeißpfeife« und eine »Cigarrenspitze« … Die Gegenstände werden bei ihm gefunden, doch leugnet er die Absicht des Diebstahls (und glaubwürdig ist die auf die Uhr, die