Dirk Revenstorf

Hypnotherapie bei Depressionen


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letzten Sitzung, etc. Hypnotherapie unterscheidet sich im sprachlichen Duktus von anderen Therapien, da dem Pacing besondere Bedeutung gegeben wird (s. u.). Pacing im hypnotherapeutischen Sinne meint, sich als Therapeut zunächst ganz an die Gefühle, die Gedanken, die vorherrschenden Sinnesmodalitäten und das gezeigte Verhalten des Patienten anzudocken, die Äußerungen des Patienten dabei z. B. wortwörtlich zu wiederholen sowie ggf. auch schon mit einigen eingestreuten Sätzen zu kombinieren, die ein vertieftes (genetisches) Verständnis für das jeweilige Leiden ausdrücken.

      Darüber hinaus gibt es spezifische Charakteristika der therapeutischen Nutzung der hypnotischen Trance, die hier kurz beschrieben werden.

      Hypnose ist ein traditionelles Heilverfahren, das eine der Urformen der Psychotherapie darstellt, wenn man Mesmers Gruppensitzungen im 18. Jahrhundert als Vorläufer psychotherapeutischer Behandlung versteht. Er sah die Heilung in einer angenommenen Regulierung von Energieströmen im Organismus. Die heutige Hypnotherapie, die sich im 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss des amerikanischen Psychiaters Milton H. Erickson entwickelte (Erickson und Rossi 2006), ist eine breit angelegte Methode mit einem vollkommen anderen Verständnis von Psychotherapie. Sie verfügt über eine Vielzahl unterschiedlichster Techniken, die praktisches Handwerkszeug zur Erreichung bestimmter medizinischer und psychotherapeutischer Ziele liefern. Sie ist in erster Linie an Problemlösung und Gesundung und erst in zweiter Linie an Ursachenforschung und Diagnostik orientiert.

      Hypnose, bzw. genauer: hypnotische Trance ist nach neueren neurobiologischen Erkenntnissen ein Zustand veränderter mentaler Verarbeitung, in dem die Selbstreflexion vermindert, die Aufmerksamkeit fokussiert und die Absorption in Vorstellungen gesteigert sind (Revenstorf und Peter 2015; Revenstorf 2017; Peter und Revenstorf 2018). Dadurch entsteht eine größere Durchlässigkeit zu körperlichen Prozessen, zur Erinnerung, zu emotionalem inneren Erleben, ein eher intuitiver Zugang zu Bildern sowie eine erhöhte Suggestibilität. Hypnotische Trance geht im Allgemeinen mit einer Innenwendung der Aufmerksamkeit und einer größeren gedanklichen Freiheit einher, als sie das Alltagsbewusstsein zulässt, wodurch innere Suchprozesse und neue assoziative Verknüpfungen erleichtert werden. Dies kann zur Beeinflussung somatischer und psychosomatischer Probleme, zur Unterbrechung motorischer Muster, zur Erweiterung des Selbstbildes und anderer kognitiv-affektiver Schemata herangezogen werden. Empirische Belege der Wirksamkeit hypnotherapeutischer Interventionen liegen in unterschiedlichsten Bereichen vor, wie in der Schmerz- und Angstbehandlung und bei Verhaltensstörungen wie Tabakabusus und Übergewicht (Hagl 2016; Revenstorf und Peter 2015; image Kap. 1.4). Hypnotherapie wurde 2006 vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als Behandlungsmethode für bestimmte Indikationen anerkannt (Bekanntmachungen 2006).

      Wissenschaftstheoretisch beansprucht die Hypnotherapie einen konstruktivistischen Standpunkt, in dem davon ausgegangen wird, dass Verhalten durch Schemata gesteuert wird, in die bestimmte, manchmal dysfunktionale Konzeptionen bezüglich der Umwelt und des Selbstbildes eingehen. Der veränderte Bewusstseinszustand der hypnotischen Trance erleichtert eine Revision dieser Sichtweisen und Haltungen. Während die allgemeinen hypnotischen Phänomene (Katalepsie, Zeitverzerrung, Amnesie, Hypermnesie, sensorische Illusionen) experimentell gut untersucht wurden, sind manche der theoretischen Annahmen, z. B. bezüglich der Wirkungsweise strategischer Interventionen, der Notwendigkeit von Konfusion oder Amnesie bisher eher spekulativ.

      Ein wesentliches Merkmal hypnotherapeutischer Arbeit liegt im ressourcen-orientierten Vorgehen, d. h. die Ausrichtung auf die Fähigkeiten und noch unentwickelten Potenziale des Patienten und nicht auf dessen Defizite. Während die defizitorientierte psychiatrische Diagnostik eher zu einer Selbstwertschwächung des Patienten beiträgt, wird mit dem Utilisationsprinzip darauf hingearbeitet, Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Symptome – etwa Schmerzen, Rauchen, Phobien – werden als (meist obsolete) Lösungsversuche für bestimmte Probleme verstanden, für die eine Alternative angestrebt wird, die sich vom Problemverhalten dadurch unterscheidet, dass dafür bisher ungenutzte eigene Möglichkeiten des Patienten einbezogen (utilisiert) werden.

      Mehr als in anderen Therapieformen wird das Behandlungsangebot auf die Individualität des Patienten abgestimmt. Es richtet sich nicht so sehr nach einem neu zu erlernenden Soll-Zustand, sondern versucht den Ist-Zustand und manchmal sogar das Symptom selbst für eine Veränderung zu nutzen. Die Betonung der individuellen Besonderheiten des Patienten unterstützt auch die Entwicklung einer positiven Beziehung zum Patienten. Dabei dient die Charakteristik seines Interaktionsstils als Hinweis für die Gestaltung der Beziehungsaufnahme auch in Hinblick auf die Psychodynamik der Interaktion und eine eventuelle Strukturschwäche des Patienten (image Kap. 3.3). Mit Eigenschaften wie Ressourcenorientierung, Utilisation und der veränderten Informationsverarbeitung bei inneren Suchprozessen erweist sich die Hypnotherapie als eine flexible Methode, die auch mit anderen Therapieformen kombiniert werden kann.

      Ein Unterschied zu anderen Therapieformen besteht im Verzicht auf absolute Transparenz des Vorgehens in der Hypnotherapie und dem Vertrauen auf unbewusste Verarbeitungsprozesse. Es wird angenommen, dass der Patient aufgrund einer (momentanen) Verengung seines Erlebens nicht in der Lage ist, seine Ressourcen bewusst zu nutzen und ihm dazu in hypnotischer Trance besser verholfen werden kann. Das gelingt manchmal eher indirekt mithilfe von Strategien der Utilisation, der Verlagerung auf einen Nebenschauplatz mit Kaskadeneffekt, der Destabilisierung, der Beiläufigkeit und der Nichtaufdeckung der unbewussten Verarbeitung (s. u.).

      2.2 Die Haltung des Therapeuten

      In der traditionellen Hypnose des 19. und 20. Jahrhunderts wurde Hypnose als autoritäres Verfahren der Fremdsuggestion verstanden, die durch die in Trance erhöhte Suggestibilität besser rezipiert wird. Dagegen kann das Vorgehen Ericksons dadurch charakterisiert werden, dass es an die Eigeninitiative des Patienten appelliert. Ericksons Grundhaltung beinhaltet, den Patienten auf seine bereits erlernten Möglichkeiten zurückzuführen und ihn dabei zu unterstützen, einen Weg zu beschreiten, der ihm möglichst entgegenkommt (Pacing). Der Hypnotherapeut versucht es dem Patienten leicht zu machen, die Therapieangebote im Rahmen seiner kognitiven, emotionalen und sozialen Möglichkeiten anzunehmen. Einem kontrollbewussten Menschen wird er z. B. die Alternativen anbieten, mit offenen oder geschlossenen Augen in Trance zu gehen, um ihm so die Kontrolle zu überlassen. Mit einem skeptischen Menschen wird er dessen Zweifel teilen (z. B. »Ich weiß nicht, ob Sie heute schon wirklich tief in Trance gehen können«). Er wird ihn nicht belehren, selten gut zureden und darauf bedacht sein, ihm nichts überzustülpen. Hypnotische Induktionen sind mütterlich fürsorglich und zugleich väterlich Sicherheit gebend (Ferenci 1909). Es wird versucht, dem Patienten mit Hilfe von Utilisation, Beiläufigkeit und minimalen Schritten weiterzuhelfen. Der Therapeut wird dabei im Auge behalten, Hypnose nicht im Dienste des eigenen Narzissmus zu verwenden und darauf verzichten, die Deutungshoheit an sich zu nehmen. Er ist bereit, zurück zu rudern, wenn der Patient signalisiert, dass der Rapport verloren zu gehen droht.

      Der Therapeut suggeriert nicht Veränderungen, die vernünftig erscheinen, sondern überlässt es den internen Suchprozessen des Patienten, was der nächste Schritt ist und welcher Lösungsweg für ihn passt. Die drei Prinzipien Ressourcenorientierung, Utilisation und Anregung von Suchprozessen entsprechen weitgehend dem, was auch Humanisten wie Roger oder Perls von einer angemessenen Psychotherapie verlangen.

      Der Therapeut geht grundsätzlich davon aus, dass das Symptom ein Lösungsversuch ist, der unter bestimmten Umständen und zu einer bestimmten Zeit funktional gewesen sein kann, aber obsolet geworden ist. Beispielsweise wird dem sehr strengen und strafenden Gewissen vieler Depressiver (Über-Ich image Kap. 3.3, »Genug-Ort« image Kap. 6.8) eine gute Absicht unterstellt – etwa dafür zu sorgen, dass der Patient