meinem Hause schlagt Ihr mir doch aber nicht ab?«
»Wie werde ich!« Anselm klopfte dem Bürgermeister sacht auf die Schulter. »Drei Dingen, mein Lieber, gilt meine Hochachtung. Ich liebe und verehre Gott, ich liebe und verehre den heiligen Franz von Assisi und … ich liebe und verehre eine gute Küche.«
»Und einen guten Tropfen?«
»Ihr schaut auf den Grund meiner Seele, Freund«, erwiderte der Mönch.
Ein Haus wie das der Stolzfuß’ hatte Margarete noch nie gesehen. Ihr Vater war einer der reichsten Männer Rostocks, aber verglichen mit dem, was ihr künftiger Ehemann ihr zeigte, hatte Margarete bisher in bescheidenen Verhältnissen gelebt. Tidemann durfte natürlich nicht allein mit Margarete sein. Hildegard Stolzfuß, die Frau des Hauses, war bei dem Gelage unabkömmlich, also hatte sich Maria Peters erboten, die jungen Leute anstandshalber zu begleiten. Maria war seit zwanzig Jahren mit dem Lübecker Salzherrn Lüdeke Peters verheiratet, und seit drei Jahren war sie die Schwiegermutter von Tidemanns Schwester Geseke.
»Dies ist unsere Familienkapelle«, erklärte Tidemann und zeigte in einen kleinen Raum. »Der Altar stammt von einem berühmten flämischen Meister. Er ist sehr kostbar.«
Margarete hatte nichts anderes erwartet. Die Führung durch das Haus, in dem alles kostbar war, ermüdete sie. Zum ersten Mal war sie dem Mann nahe, mit dem sie ihr ganzes Leben verbringen würde, und sie sprachen nicht über Pläne, sondern über nichts sagende Dinge. Vermutlich war alles schon festgelegt. Von flämischen Meistern mochte Margarete nichts hören; der Junge, an dem ihr Herz einst hing, war in Flandern umgekommen.
»Ich denke, wir sollten zu den anderen zurückkehren«, schlug sie daher vor.
»Ihr wünscht zu speisen, meine Teure?«, erkundigte sich Tidemann formvollendet. Margarete hatte immer einen Abenteurer zum Mann haben wollen, notfalls sogar einen Kaperfahrer. Nun würde sie einen heiraten, der so interessant war wie unbeschriebenes Papier.
»Das wünsche ich«, sagte sie. Maria Peters war von der höflichen Konversation der Brautleute ganz gerührt.
In dem Saal, der das erste Stockwerk über der Diele einnahm, ging es hoch her. Nach der ersten Tracht, nach Schinken und Rinderbraten, war soeben der zweite Gang aufgetragen worden, gesottener Hirsch. Wein und Bier gab es sowieso. Die Mägde und Knechte hatten alle Hände voll zu tun, die Herrschaften fielen über die Speisen her wie ein Heuschreckenschwarm. Sogar Frater Anselm, der Mäßigung predigte, war ins Schwitzen geraten. Margarete gönnte ihm das Vergnügen. In ihrer Achtung stand der Mönch auf einer Stufe mit dem Vater, denn sie beide waren ehrlich. Das konnte man nur von ganz wenigen Menschen sagen. Margarete war wach genug, um zu erkennen, dass die Lüge längst begonnen hatte, den Baum des Lebens an der Wurzel anzunagen. Sogar heilige Instanzen wie der Kaiser Sigismund und der Papst logen; bereits vor Jahren hatten sie den Sieg über die Hussiten erklärt, doch in Wahrheit führten sie noch immer Krieg. Die Hussiten schienen unbesiegbar zu sein, aber das durfte man nicht einmal denken, geschweige denn aussprechen.
»Ihr seid nachdenklich, meine Liebe?«, fragte Tidemann. Margarete mochte seinen süßlichen Ton nicht. Er weckte in ihr die Lust zu provozieren.
»Nun, mein künftiger Gebieter«, fragte sie laut, »was haltet Ihr von den Forderungen der Taboriten?«
Tidemann Stolzfuß wurde blass, die Tischgesellschaft erstarrte. Es war üblich, über dieses Thema nur hinter vorgehaltener Hand zu sprechen, denn die Taboriten waren Ketzer. Zumindest hatte Papst Martin V., der Initiator des noch immer tagenden Basler Konzils, die Anhänger des Jan Hus zu Ketzern erklärt, und sein Nachfolger Eugen IV. hatte das Verdikt nicht aufgehoben. Eugen war nicht beliebt, sein Vorgänger schon, aber auch erst seit seinem Tod: Nachdem Martin V. im Jahr des Herrn 1431 die Segel gestrichen hatte, war allen Gebildeten bewusst geworden, was sie an dem klugen und diplomatisch geschickten Stellvertreter Gottes gehabt hatten. Martin hatte die Kirchenspaltung beendet. Das sollte ihm erst einmal jemand nachmachen.
»Es schickt sich nicht für Frauen, darüber zu sprechen«, wies Martin Grüneberg seine Tochter zurecht.
»Warum nicht, Vater?«
»Das wird dir deine Mutter heute Abend beim Bade erklären«, sagte Grüneberg. Die Bediensteten trugen den nächsten Gang auf, geschnittenes Schaffleisch. Margarete nahm bei ihrer Mutter Platz, Tidemann setzte sich zu seinem Vater. »Sie ist noch jung und unerfahren«, erklärte Grüneberg seinem Tischnachbarn, dem Lübecker Salzherrn Peters.
»Gott, so dumm war ihre Frage ja gar nicht«, erwiderte Lüdeke. »Da sie nun einmal im Raum steht … Wir haben doch einen Kundigen in Euch, Ehrwürdiger Vater?«
Bruder Anselm, der gerade von dem Schaffleisch genommen hatte, verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall. Seine Meinung über die Hussiten war nicht kirchenkonform, daher verschwieg er sie lieber. Um von dem unangenehmen Thema abzulenken, befahl der Hausherr einer Gruppe von drei Musikern, den Gästen aufzuspielen. Anselm atmete auf.
Der Mönch überstand auch die letzte Tracht, die aus Gebäck, Butter, Käse, Äpfeln und Nüssen bestand, ohne sich zu dem heiklen Gegenstand äußern zu müssen. Der Hausherr bestritt nun das Gespräch, das sich ums Salz drehte. Bruder Anselm wusste natürlich, wie wertvoll das weiße Lüneburger Siedesalz war, das sich in der Qualität sichtbar und fühlbar von den grauen, feuchten Salzklumpen aus der Baie unterschied. Die Männer, die an Stolzfuß’ Tisch saßen und speisten, hatten alle mit dem Salz zu tun. Reyner Stolzfuß war Sülfmeister, der Pächter von vier Siedepfannen, die dem Michaeliskloster gehörten, Lüdeke Peters handelte mit dem Salz, das aus Lüneburg nach Lübeck geschafft und von dort aus als Travensalz verkauft wurde. Und auch sein Freund Martin Grüneberg, der Rostocker Kaufmann, war – unter anderem – im Salzhandel aktiv.
»Bei der letzten Salprobe mussten wir feststellen, dass sich zu viel Gottestod mit der Sole vermischt hat«, sagte Reyner Stolzfuß.
»Gottestod? Was ist Gottestod?«, wandte sich Margarete an Bruder Anselm. Der zuckte die Schultern.
»Gott, mein Kind, ist natürlich unsterblich«, dozierte Stolzfuß. »Das Salz ist eine Gottesgabe. Es erhält Leben, es schützt vor Fäulnis und Verwesung und gilt als Sinnbild der Ewigkeit. Jesus hat seine Jünger mit dem Salz verglichen …«
»Wohl war«, bestätigte Anselm nuschelnd, denn er hatte eine Nuss im Mund.
»Das Süßwasser, Margarete, nennen die Sodkumpane Gottestod«, fuhr der Sülfmeister fort. »Wenn es sich mit der Sole vermischt, verdirbt es das Salz.«
»Genauer gesagt«, ergänzte sein Sohn, »wird das Salz natürlich nicht schlecht. Viel süßes Wasser in der Sole verringert nur den Ertrag.«
»Und dann verdient ihr weniger Geld?«, fragte Margarete.
»Ja, dann verdienen wir weniger Geld«, sagte Reyner Stolzfuß und lachte.
»Wo werdet ihr«, ereiferte sich Lüdeke Peters. »Ihr setzt den Preis herauf und kommt auf diese Weise trotzdem ins Reine.«
»Diesmal nicht«, sagte Stolzfuß leise und senkte den Blick.
»Nein?«, fragte Peters. Aus dem Anverwandten war der Geschäftsmann geworden, der gute Quoten witterte.
»Weil Ihr ein Gevatter seid, Lüdeke, sage ich’s Euch. Die Sole der letzten Wochen war nicht gut. Wir können den Preis nicht heraufsetzen, ohne uns ins eigene Fleisch zu schneiden. Ich bin kompromissbereit, Lüdeke. Sagt mir, was Ihr für eine Tonne gebt.«
»Wir sind verwandt, Reyner. Ich zahle den Preis vom letzten Jahr.«
»Das ist hart«, meinte Tidemann.
»Ich habe auch meine Aventure«, sagte Peters, womit er das wirtschaftliche Risiko meinte.
»Du hast doch immer Abnehmer«, sagte Geseke, die geborene Stolzfuß, die nun eine Peters war. »Deine Partner in Reval lecken sich alle Finger nach dem Travensalz.«
»Weiber!« Lüdeke Peters schüttelte den Kopf. »Warum näht man ihnen den Mund nicht zu?«