Frank Goyke

Lüneburger Totentanz


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Einen halben Pfennig mehr pro Tonne.«

      »Danke«, sagten Reyner und Tidemann wie aus einem Munde.

      »Und jetzt will ich Wein«, rief Lüdeke. Wein wollten alle anderen auch.

      »Deine Tochter, Martin, ist sehr selbstbewusst«, sagte Reyner Stolzfuß. Wie es üblich war, hatte Tidemann als künftiger Ehegatte alle Freunde und alle Verwandten ins Badehaus geladen, um sich dort seinen Status als Lediger abzuwaschen. Im Grunde ging es natürlich darum, sich ordentlich zu betrinken. Deshalb war Bruder Anselm der Einladung nicht gefolgt; er hatte bei dem Gelage am Nachmittag dem Wein genug zugesprochen und musste sich auf seine religiösen Pflichten besinnen.

      »Ich habe sie Schreiben und Lesen lernen lassen«, sagte Grüneberg. Eine junge Frau, die auch für andere Beschäftigungen zur Verfügung stand, massierte ihm den Rücken.

      »Bei diesem Mönch?«, wollte Lüdeke Peters wissen.

      »Bruder Anselm ist wirklich sehr gebildet«, sagte Grüneberg.

      »Eure Tochter beherrscht auch fremde Sprachen?«, fragte Tidemann.

      »Französisch und Italienisch«, sagte Grüneberg. »Sie hat beides beim Ehrwürdigen Vater gelernt. Latein natürlich sowieso.«

      »Ich kann nur Deutsch«, gab Tidemann zu.

      »Dann wirst du morgen eine Frau heiraten, die dir überlegen ist«, sagte Reyner Stolzfuß und knuffte seinen Sohn in die Seite.

      »Kann man eine solche Frau überhaupt bändigen?«

      »Dir als Ehemann steht das Züchtigungsrecht zu«, erklärte Sebastian Vrocklage, aus dem wieder mal der Jurist lugte.

      »Seine Frau zu schlagen ist ein Zeichen von Schwäche«, meinte Piet Peters. Alle schauten erstaunt zu ihm, denn bisher hatte er geschwiegen.

      »Das sagst du nur, weil du mit einer Stolzfuß verheiratet bist«, sagte Reyner jovial. »Die Stolzfüßinnnen haben Haare auf den Zähnen.«

      »Gibt’s denn noch andere außer deiner Frau und Geseke?« Piet Peters, das stille Wasser, legte einen Hinterhalt.

      »Das ist doch egal«, sagte sein Vater sofort.

      »Abgeschobene Hexen zum Beispiel?«, fragte Piet.

      »Wenn du nicht aufhörst zu sticheln«, schimpfte Lüdeke, »werde ich mein väterliches Züchtigungsrecht in Anspruch nehmen.«

      »Ich kann auch Französisch und Italienisch«, wehrte sich Piet.

      »Was nützt es dir? Du wirst Margarete ja nicht ehelichen.«

      Elisabeth Grüneberg, Hildegard Stolzfuß, Maria Peters und ihre Schwiegertochter Geseke saßen noch in dem großen Holzbottich und tranken Wein, Margarete hatte das Bad verlassen und lag auf einer Pritsche, um sich von der Bademutter schröpfen zu lassen. Die Blutegel sollten das Schlechte aus ihren Säften abziehen, damit sie bei der Hochzeit noch besser aussah; die Mutter hatte zwar versichert, dass sie das schönste Mädchen der Welt sei, aber natürlich glaubte sie als Sechzehnjährige es nicht.

      »Du weißt, Kind, was Paolo da Certaldo über die Frauen gesagt hat?« Elisabeth Grüneberg gedachte nun, ihre Erziehungspflichten zu erfüllen.

      »Aber Mutter, das hast du mir schon hundertmal vorgelesen«, stöhnte Margarete.

      »Hundertmal sicher nicht«, entgegnete Elisabeth.

      »Wer, in Gottes Namen, ist Paolo da Certaldo?«, erkundigte sich Geseke Peters.

      »Ein Moralschriftsteller aus Italien.«

      »Aus Italien, soso!« Die Frauen nickten. Von italienischen Männern hörte man, dass sie allesamt Frauenkenner waren und es mit der Moral eigentlich nicht so genau nahmen.

      »Mutter, ich bitte dich!« Margarete schüttelte sacht den Kopf. Die Bademutter setzte ihr noch ein paar Egel auf den Rücken. Elisabeth Grüneberg ließ sich nicht bremsen.

      »Das Weib soll der Jungfrau Maria nacheifern, die auch nicht aus dem Haus ging, um sich überall zu unterhalten, nach hübschen Burschen zu schauen oder eitlem Geschwätz ihr Ohr zu leihen«, zitierte sie. »Nein, sie blieb daheim, hinter verschlossener Türe, in der Privatheit ihrer Wohnung, wie es sich ziemt.«

      »Einen solchen Rat soll man einer künftigen Ehefrau durchaus geben«, meinte Maria Peters.

      »Ich lasse mich aber nicht einsperren«, protestierte Margarete. »Von niemandem, auch nicht von meinem Mann.«

      »Das wirst du noch lernen, Kind«, sagte Elisabeth. »Der Platz der Gattin ist das Haus.«

      »Nimm dir ein Beispiel an dem, was Elisabeth sagt«, verlangte Hildegard Stolzfuß von ihrer Tochter Geseke.

      »Mein Mann hat keinen Grund, sich über mich zu beklagen.«

      »Aber gehst du nicht manchmal hinaus, um mit den Nachbarinnen zu schwätzen?«

      »Das tut doch jede Frau«, sagte Geseke.

      »Nicht die tugendsame«, behauptete Maria.

      »Die macht’s heimlich«, sagte Hildegard Stolzfuß. Die Frauen lachten.

      Der Mann, der sich Albrecht Gregorius nannte, war im Gasthof Bei der Ratsmühle abgestiegen. Er würde einige Tage in Lüneburg verbringen, und als dem Vertreter des Revaler Kaufherrn Ahlemann begegneten ihm Wirt und Wirtin mit Hochachtung. Sie hatten ihm eines ihrer besseren Zimmer zur Verfügung gestellt, wofür sie allerdings auch ein beachtliches Entgelt verlangten, sie speisten ihn mit Ochsenzunge in Senfsoße und gaben ihm einen Wein zu trinken, der auch einem Mann von Adel gemundet hätte. Albrecht Gregorius war zufrieden. Es gab keinen Grund zu zweifeln, dass alles nach Plan verlaufen würde.

      Am Nachmittag hatte Gregorius seinen Spießgesellen letzte Instruktionen erteilt und jedem eine rigische Mark zugesteckt als Vorschuss für die Erledigung des Auftrags. Die Brüder Ants und Mihkel Päätelpoeg wohnten natürlich nicht so vornehm wie er, sondern waren in einer billigen Herberge am Stadtrand untergekommen. In ihrem offiziellen Leben waren sie Fuhrknechte, die Waren vom Revaler Hafen in die Stadt beförderten, aber ihr Geld verdienten sie vor allem mit Gaunerei, Gewalttat und Mord. Albrecht Gregorius, der für seinen Dienstherrn das Grobe erledigte, hatte mehrere Wochen gebraucht, bevor er im Vorort Vischermaye auf die beiden Berufsverbrecher gestoßen war. Nur einmal noch würde er sie treffen, um ihnen ihr Salär auszuzahlen, dann würden sich ihre Wege für immer trennen. So war es geplant. Gregorius verachtete sie, denn sie waren ungebildet und brutal. Doch für seine Mission waren sie brauchbar. Nur darauf kam es an.

      Albrecht Gregorius winkte dem Wirt und bestellte noch einen Krug Wein. Ihm gefiel die Rolle, die er spielte: Der Wolf im Schafspelz zu sein war ihm beinahe schon Natur. Niemand ahnte, was er vorbereitet hatte. In dem Gasthaus galt er als Ehrenmann. Der Krüger verneigte sich sogar, als er den Wein kredenzte.

      »Wart Ihr mit der Zunge zufrieden?«, erkundigte er sich.

      »Sehr«, sagte Gregorius.

      »Nicht wahr? Wir legen sie in Milch ein, damit sie schön zart wird. Darf ich Euch auch unser Nusskonfekt empfehlen?«

      »Ich bin gesättigt, Wirt. Aber tut mir den Gefallen, setzt Euch zu mir und nehmt von dem Wein.«

      »Herzlichen Dank!« Der Wirt ließ sich von seiner Frau einen Becher bringen und bediente sich aus dem Krug.

      »Morgen, so hört man, wird es eine wichtige Hochzeit geben?«, sagte Gregorius.

      »Oh ja«, bestätigte der Wirt. »Ganz Lüneburg wird auf den Beinen sein. Immerhin heiratet der Sohn eines unserer Bürgermeister.«

      »Stolzfuß, wenn ich nicht irre.«

      »Ihr irrt nicht. Reyner Stolzfuß ist einer der angesehensten Männer unserer Stadt. Er hat eine Pacht auf der Saline und ist sehr reich.«

      »Und dessen Sohn heiratet?«

      »Tidemann«,