Bernd Neumann

Uwe Johnson


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auf deutschem Boden mit den Mitteln der Ästhetik dienen, dabei sich so kompromißlos, klarsichtig und integer wie nur wenige andere artikulieren. Seine Authentizität gewann dieses Werk auch durch die Teilnahme seines Autors an den Ritualen der Nazi-Macht – zumal vieles davon dann in der ideologischen Adaption Stalins und den Ritualen der DDR-Staatspartei und der »Freien Deutschen Jugend« erneut auftauchte. Heiner Müller, auch er einer, der ein »Leben in zwei Diktaturen« (so der Untertitel seiner Lebenserinnerungen) geführt hat, stellte die Faszination des Horst-Wessel-Liedes direkt neben die der »Internationale«. Auf diese Weise vermochte einer durch beide deutsche Diktaturen hindurchzugehen. Niemand wird glauben, solche Feststellung mache dem Mecklenburger »die Biographie kaputt«. Im Gegenteil: erst solche Biographie verhalf ihm dazu, die innere Wahrheit seines Werkes zu festigen. Die fast unbegreifliche Stärke und Zähigkeit eines jungen Autors, der jahrelang unter denkbar ungünstigsten Bedingungen sein schriftstellerisches Werk vorantrieb, könnte man mit dem Durchsetzungsvermögen in Zusammenhang bringen, das man Uwe Johnson in Kosten antrainiert haben wird. Ihm gelang es, die Ablehnung des ersten Romans mit dem Verfassen des nächsten zu beantworten.

      Am Ende des Schuljahres 1944 erhielt der »Jungmann« Uwe Johnson als Beurteilung die folgenden Sätze ins Zeugnis geschrieben: »Er ist ein verständiger, gewissenhafter Junge. Sein Interesse am Unterricht und seine Mitarbeit sind erfreulich.« Ein freundlicher Abschiedsgruß. Und doch hat der Güstrower diese Anstalt später so gehaßt, daß er sie aus seinem Leben in all jenen Lebensläufen ausstrich, die er erst mit dem Jahr 1945 beginnen ließ.

      EIN EINSAMER LIEST.

       ERSTE BEGEGNUNG EINES FORTGEGEBENEN

       MIT DER KATZE ERINNERUNG

      Die Facetten von Uwe Johnsons Kostener Dasein ergeben ein erstes Bild von Fremdheit. Daß der Knabe nicht frei gewesen sein kann vom Bestreben, von dieser Gemeinschaft, die ihn quälte, auch akzeptiert zu werden, machte alles nur noch schlimmer. Und dahin war es gekommen, weil seine Eltern ihn fortgegeben hatten. (Der Dichter Joachim de Catt in der Skizze eines Verunglückten wird dann als ein Waisen- und Findelkind in die Skizze geraten, als vermutlich ein Jude noch dazu.) In den Kostener Tagen könnte sich jedenfalls eine traumatische Erfahrung ereignet haben, die Johnsons Werk prägen sollte. Zumal sie sich, wenn auch unter anderem Vorzeichen, 1959 wiederholen würde: daß einem die Politik die Heimat nimmt. Daß man also »Heimat« immer schon im Zeichen vorweggenommenen Abschiedsschmerzes erleben mußte. Daß man im Gedächtnis zu bewahren angehalten war, was real jederzeit verloren gehen konnte. Die Babendererde wird mit folgenden Sätzen schließen:

      – Wir werden ja sehen was an diesem ist: sagte Klaus. Sie würden ja sehen was an diesem war. Ob sie es vergessen hatten über ein Jahr, und ob das schlimm sein würde. Ob Ingrid dies gespreizte Gestab des Fensterschattens und ob Klaus Ingrids Hand an seiner Schulter und ob sie das Poltern der Ruder von vorhin mit dem eigentümlichen Ton von Rudern im Boot vergessen haben würden, und ob das schlimm sein würde. Und das Flirren der Fliederbüsche unter dem leichten Wind und das Schaben der Boote am Steg und das leise Getropf im Schleusenbecken. (Babendererde, S. 247)

      Und, und, und. Es würde schlimm sein. Und es würde zugleich gar nicht schlimm sein, da der – vorausgewußte – Verlust seinerseits die Katze Erinnerung auf den Plan rief. Als Klaus im Erstling fortgeht und das Licht löscht, leuchten auf dem Dachboden der Niebuhrs die Augen der Katze auf: um dann erst mit dem Ausgang der Jahrestage wieder zu verlöschen.

      Die Fremdheitserfahrung in Kosten war zudem eine ambivalente: Gegenüber den anderen »Jungmannen« stellte Uwe Johnson einerseits den verweichlicht Lesenden dar. Hochgewachsen und blond, angetan mit der blauen Ausgehuniform, erschien er andererseits als der germanische Herrenmensch – Eliteschüler eines völkermörderischen Regimes. In dieser paradox zugespitzten Situation hat Uwe Johnson die Literatur entdeckt. Und bleibt als der Lesende der unaufhebbar Fremde par excellence. Wie Johnson sich selbst dabei erlebt hat, dokumentiert sich auch in einem Beitrag, den er 1976 für die Ersten Lese-Erlebnisse verfaßte, die sein Verleger unter den Autoren seines Verlages gesammelt hat und wo Uwe Johnson just diese Kostener Erfahrungen zu Protokoll gegeben hat:

      Von den polnischen Kindern beschmissen mit Steinen oder gefrorener Hundescheiße (denn es ist Januar), geht der Jungmann durch die zivilistischen Straßen auf die Leihbücherei, das Buch zurückzugeben, das er errungen hat unter heftiger Anschnauzerei von seiten der staatlich angestellten Frau, ehemals von Beruf Dame. Ein Buch über die Rückzugsgefechte der nordamerikanischen Indianer, bedeckt mit einem löcherigen Mantel von Wissenschaft; das Papier ist solider. Daneben die getürkte Autobiografie Hermann Görings. So viel weiß man schon, aber mit zehn Jahren nehmen sie einen nicht für Bibliografie. Wer liest, ist ungesund am Körper. Privates Lesen ist Verweichlichung. (Lese-Erlebnisse, S. 108)

      Der Mecklenburger bezog sich dabei implizit auch auf die – im gleichen Sammelband veröffentlichten – Leseerinnerungen Martin Walsers. Walser hatte Hölderlin auf dem großväterlichen Dachboden, bei gleichzeitigem Blick auf die Berge jenseits des Bodensees, entdeckt. Johnson dagegen bietet uns Kosten im Januar. Und, wenn diese Zuspitzung erlaubt ist: Hundescheiße statt Hölderlins Hymnen.

      Johnsons Sarkasmus zeigt den lesenden Knaben als Außenseiter der eigenen Gruppe. Selbst die Feinde seiner Gegner konnten ihn nicht akzeptieren. Die Reflexion solch doppelter Fremdheitserfahrung, ihrerseits zum Motor des Erzählens selbst geworden, wird dann die Jahrestage als Johnsons letztes und abschließendes Werk vorantreiben. Im New-York-Epos gilt der »Genosse Schriftsteller«, der ja auf seine Art ein Opfer der Nazischule war, den jüdischen Emigranten, sie versammeln sich in New York unter der Leitung des Rabbi Prinz, ehemals Berlin-Dahlem, als ein besonders germanisch aussehender Deutscher – gleichgültig, was dieser Redner ausführen mag. »Germanisch« schaute der Vortragende ja auch aus, verstärkt durch die schwarze Lederjacke, mochte diese in Wahrheit auch eher das Gegenteil ausdrücken: Johnsons Brecht-Verehrung. Ich zitiere bereits in diesem Zusammenhang eine Erinnerung Helen Wolffs an ihren Autor, Freund und Protegé Uwe Johnson in dessen New Yorker Zeit (hier wie auch sonst sollen die Erinnerungen Helen Wolffs im englischen Original wiedergegeben werden. Das Englische ist die Sprache dieser Emigrantin auch darin geworden, daß ihr darin gleichermaßen pointierte Formulierungen wie im Deutschen gelingen):

      On another plane, he found here something he was looking for – the historical past that obsessed him. On the Upper West side, where he lived, he met, in density, survivors of his country’s mass murderings, and he responded to them with a mixture of fascination and guilt – the latter totally misplaced, of course, since he was a child when the war ended and by fact of date innocent. One episode to stand for many: Johnson used to take an occasional meal at a Jewish Cafeteria on Broadway, sitting in a corner, as he thought unobtrusively, but all the same conscious of his Teutonic appearance, enhanced by the inevitable leather jacket. A Jewish family took a table close to him, then began eying him suspiciously or so he thought. He immediately got up and retreated, but in a way that no one could misinterpret: He walked slowly backward toward the door, all the time turned toward the family and ceaselessly bowing in a gesture of regret and respect.

      Mit einer Mischung aus Faszination und Schuld reagierte Uwe Johnson auf die Anwesenheit der Opfer des Holocaust in New York. Diese Konfrontation wird dazu führen, daß er seine eigenen Wurzeln in der deutschen Geschichte genauer wird ergründen wollen. In dieser Konstellation, wenn auch angesiedelt im weit prinzipielleren Bereich des entscheidenden deutschen Verbrechens: dem Holocaust, erkannte der angehende Autor der Jahrestage neben anderem auch Facetten seiner vormaligen Befindlichkeit in Kosten. Damals eilte er, wie zitiert, durch die Straßen der Stadt, mit Hundekot von den Einheimischen beworfen, auf dem Weg, sich eine Lektüre zu besorgen, die ihn zum Außenseiter der eigenen Gruppe machen würde. Die schockartige Entdeckung, daß man, obwohl an den Verbrechen der Nazis unschuldig, den Juden dennoch als blonder Deutscher und Mitverantwortlicher für den Genozid erscheinen mußte, wird dann den Erzählpakt zwischen Gesine und Johnson mitbegründen.

      In der beschriebenen Kostener Situation muß sich etwas wie die »Konditionierung« des Erinnerungs-Schreibers Uwe Johnson ereignet haben. Wenn dies so war, kam diese »Konditionierung« aus der Situation des abgeschiedenen Lesens heraus zustande. Aus einem Lesen, das zudem im Bewußtsein ausgeübt wurde, Verbotenes zu unternehmen.