Kay-Sölve Richter

Viel mehr als nur Körpersprache – Executive Presence


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was heißt überhaupt hätte ausgereicht? Unser Teilnehmer bestand – nachdem wir seine Präsentation angeschaut und analysiert hatten – auf einem zweiten Durchgang, den er ungefähr folgendermaßen vor die Kamera brachte:

       »In den vergangenen zehn Jahren haben meine Kollegen und ich zigtausend Stunden mit den Familien in ihren Dörfern verbracht. Wir haben in Zelten geschlafen und mehr als nur eine Ahnung bekommen, was es heißt, zwischen Plastikmüll und mit dreckigem Wasser zu leben. Hygiene entscheidet dort jeden Tag über Leben und Tod; es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Bildung und Gesundheit geben den Kindern eine Perspektive. Ich gebe Ihnen nur mal ein kurzes Beispiel, wie wir Anfang des Jahres Schulbücher in dieses kleine Dorf in Burkina Faso gebracht haben, und wie sich allein dadurch …«

      Wir konnten die Leidenschaft und das persönliche Engagement des Sprechers förmlich spüren und seine Botschaften kamen an.

      Um Beispiele dieser Art wird es in diesem Buch immer wieder gehen. Wir möchten damit deutlich machen, was dieser persönliche Zugang mit Ihrer Stimme macht, mit Ihrer Sprache, Ihrer Gestik und Mimik – und wie sich alle Zutaten sichtbarer Executive Presence zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen.

       Es gibt keinen »Performance versus Content«-Konflikt.

      Wichtig: Das geht nicht auf Kosten des Inhalts; es gibt keinen »Performance versus Content«-Konflikt. Im Gegenteil. Indem Sie sich von standardisierten strategischen Unternehmensbotschaften trennen beziehungsweise sie nur als Grundlage Ihrer eigenen Stimme nutzen, werden Sie zum bestmöglichen Botschafter und Gesicht Ihres Unternehmens.

       Warum Ihnen ein Wandel in der CEO-Kommunikation in die Karten spielt

      In den letzten Jahren haben sich die Erwartungen der Öffentlichkeit an das Top-Management verändert. Persönlichkeit und Emotionen zeigen, Individualität sichtbar machen – all dies ist kein Tabu mehr. Im Gegenteil: Führungskräfte aus der ersten Reihe machen teilweise recht intime Episoden und Erfahrungen öffentlich.

      Beispiele hierfür finden sich längst nicht mehr nur vereinzelt auf Social Media, sondern auch auf den großen Eventbühnen und in vielen Publikationen. So titelte das Manager Magazin im November 2019: »Wir Überlebenskünstler. J.-P.-Morgan-Chef Jamie Dimon und andere Top-Manager sprechen über Schicksalsschläge und ihre Lehren für den Job.«

      Jennifer Morgan, die erste Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens (SAP), sprach auf dem Podium beim Weltfrauentag 2018 sehr offen von den Problemen mit ihren beiden Söhnen im Teenageralter und dem dramatischen Skiunfall ihres Mannes, der ihr Leben veränderte.7

      Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wer aus welchen strategischen Motiven heraus wie kommuniziert und dadurch soundso viel Persönlichkeit nach außen trägt, bleibt die ureigene Entscheidung der jeweiligen Führungskraft – dazu maßen wir uns kein Urteil an. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Persönlichkeit von Top-Managern heute häufiger sichtbar wird. Was Sie damit jetzt anfangen? Dazu ein kleiner Gedanke mit möglicherweise großem Entspannungspotenzial. Wie wäre es, wenn Sie diese neue Herausforderung nicht als zusätzliche Aufgabe wahrnehmen (»Jetzt soll ich nicht nur die ganzen Kommunikations- und Körperspracheregeln beherrschen und an meiner Stimme arbeiten, sondern auch noch persönliche Geschichten erzählen«), sondern als ein Mittel der Vereinfachung auf dem Weg zu stärkerer Präsenz?

       Die Entwicklung hin zu einer Führungskraft, die ihre Persönlichkeit durchschimmern lässt, kann Ihnen durchaus in die Karten spielen.

      Denn genau das ist es. Die Entwicklung hin zu einer Führungskraft, die ihre Persönlichkeit durchschimmern lässt, kann Ihnen durchaus in die Karten spielen. Oft hören wir ein erleichtertes Seufzen im Trainingsraum, wenn sich diese Erkenntnis durchsetzt: Es braucht keine neuen Regeln; Sie müssen sich vielmehr darüber klar werden, wie viel Sie automatisch richtig machen, wenn Sie einige der angeblichen Regeln einfach mal beiseiteschieben.

      Sie müssen dafür nicht in Ihre private Geheimnisschatulle greifen und schon gar nicht auf die Tränendrüse drücken. Oft reicht es schon, den persönlichen Bezug, der Ihre Arbeit anschaulich macht und definiert, nicht künstlich verborgen zu halten. Wie unser Macher aus Burkina Faso. Er musste weder etwas erfinden noch inszenieren; er musste lediglich schildern, was er jederzeit abrufen konnte: seine tägliche Arbeit vor Ort. Durch das mühsame Verstecken hinter unternehmensstrategischen Wir-Botschaften hatte er sich seiner Präsenz erst beraubt.

      In Kapitel 5.3 – »Es muss auch nicht gleich das ›große Storytelling‹ sein« – finden Sie ein weiteres Beispiel dafür, wie viel leichter öffentliches Auftreten werden kann, wenn Sie ein wenig mehr Persönlichkeit zulassen.

       1.5 Executive Presence sichtbar machen. Oder: Nicht authentisch ist auch keine Lösung

      Authentisch. Irgendwann wird es ausgesprochen, dieses kleine, mit Bedeutung aufgeladene Wort. Oft geschieht das schon zu Beginn unserer Coaching-Session, wenn die Trainingsziele noch einmal abgeklopft werden. »Ich will mich nicht verbiegen, will authentisch bleiben.« Wer sich den Substantiv-Zungenbrecher zutraut, spricht vom Wunsch nach mehr Authentizität bei Auftritten in der Öffentlichkeit.

       »Man sollte immer authentisch sein. Außer man ist arrogant und egozentrisch, dann sollte man sich unbedingt verstellen.«

      Bollywood-Star Salman Khan zugeschrieben

      Im Mailverkehr vor einem Training fällt das A-Wort seltener. Es geht unseren Kunden in dieser Phase mehr um Überzeugungskraft und Souveränität, um Klarheit in Sprache und Botschaften. Möglicherweise klingt »authentisch« zu sehr nach Soft Skill, abgegriffen, ein typisches Modewort. Und doch: Spätestens im persönlichen Gespräch zu Beginn des Trainings kommen wir um die Authentizität nicht herum. »So will ich rüberkommen, so sollen mich die anderen erleben. So, wie ich sonst auch bin.« Ist Authentizität wirklich so relevant? Und warum ist genau das so unglaublich schwierig: authentisch sein, wenn es darauf ankommt und viele Menschen zuschauen? Auf dem Podium, auf der Vortragsbühne, vor den Fernsehkameras. Und schließlich: Woran können Sie gezielt arbeiten, um ein hohes Maß an Authentizität und Persönlichkeit auf die Bühne zu bringen?

       Hat die Bedeutung der Authentizität real oder nur gefühlt zugenommen?

      Sie alle kennen solche oder ähnliche Situationen: Sobald man mit dem Gedanken spielt, im gemieteten Bulli durch Europa zu reisen, sieht man die Kisten plötzlich an jeder Kreuzung. Wer durch Vietnam gereist ist, trifft später in der Kaffeepause garantiert Kollegen, die auch gerade dort waren und lediglich gelangweilt fragen: »Waren Sie denn auch in Laos und Kambodscha?«

      Man sieht, hört und nimmt wahr, was einen selbst beschäftigt. Wie ist das mit der Authentizität? Hat der Begriff wirklich an Bedeutung gewonnen, oder haben wir möglicherweise nur einen gefühlten Zuwachs? Kann es am Ende sein, dass Authentizität überhaupt keine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung spielt und wir sie nur vom hohen Trainerross als so wichtig empfinden, weil uns der Begriff jeden Tag umschwirrt?

      Auf diese Frage haben wir, ehrlich gesagt, wenige erhellende Antworten gefunden. Immerhin, eine Langzeitstudie der Harvard Business Review zeigt auf, wie sich die Anzahl der Nennungen des Wortes »Authentizität« erhöht; das bezieht sich auf Headlines und Teaser in Artikeln renommierter amerikanischer Zeitungen und Wirtschaftsmagazine. Seit 2008, so das Ergebnis, hat das Bedürfnis, über Authentizität zu schreiben (und folglich: darüber zu lesen) deutlich zugenommen. Unter der Überschrift »The Authenticity Paradox« findet sich hier der folgende schöne Satz: »The word authentic traditionally referred to any work of art that is an original, not a copy«.8

       Ein hohes Maß an Authentizität dagegen kann zu starken öffentlichen Auftritten und hoher Glaubwürdigkeit führen.

      Diese