Kay-Sölve Richter

Viel mehr als nur Körpersprache – Executive Presence


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unsere Bereichsleiterin ist ein extremes Beispiel. Das, was in alltäglichen Situationen jederzeit abrufbar war und was sie auszeichnete – Klarheit, Persönlichkeit, Überzeugungskraft –, wurde im Scheinwerfermoment plötzlich unsichtbar. Doch dieses Phänomen zieht sich, wie wir in den folgenden Jahren feststellten, quer durch alle Chefetagen, vom kleinen Familienunternehmen bis in die Dax-Konzerne. Bei den einen ist es die Kamera, bei den anderen der Schritt auf die Bühne – viel zu oft sind starke (Führungs-)Persönlichkeiten ausgerechnet in diesem entscheidenden Moment so viel schwächer, als sie sein könnten. Und in ihrer Position sein müssten. Nicht ohne Grund. Aber ohne Not.

      Es geht uns im Rahmen dieses Buches weniger um die wirklich gravierenden Blackouts, die Top-Manager zum Gesprächsthema des Unternehmens machen oder millionenfach bei Youtube geklickt werden. Das sind die Ausreißer, die alle fürchten, die aber doch relativ selten passieren. Relevanter, weil viel häufiger, sind unserer Ansicht nach die unzähligen öffentlichen Auftritte, die bestenfalls als durchschnittlich durchgehen, obwohl so viel mehr drin gewesen wäre. Sie sind es, die uns ärgern und beschäftigen.

      Graues Mittelmaß, zähe Präsentationen, floskelbeladene Interviews, unkonkrete und ergebnislose Verhandlungen. Vergebene Chancen und verschwendete Zeit. Executive Presence bleibt unsichtbar, weil entscheidende Kleinigkeiten aus den wichtigen Feldern Sprache / Stimme, Gestik / Mimik, Struktur und Haltung eben nicht zusammenspielen und die Wirkung des Redners schwächer wird, als sie sein müsste.

       Ein Beispiel, wie die Summe der Kleinigkeiten einem starken Auftritt im Weg steht

       »Vielleicht kurz zu meiner Person. Mein Name ist Melanie Fink und ich bin verantwortlich für den Bereich Nachhaltigkeit der Firma XY. Es ist uns bewusst, dass es nur diesen einen Planeten gibt, wir sind aber überzeugt, dass neue technische Innovationen die Lösung für viele der aktuellen Probleme bringen werden.«

      Melanie Fink (die eigentlich anders heißt) ist das, was man eine Powerfrau nennt. Sie brennt für ihr Thema im gleichen Maße, wie sie an den bürokratischen Hürden verzweifelt. Für eine nachhaltige Produktion zu kämpfen, den Planeten grüner und besser zu machen, ist für sie kein Job, es ist ihre Mission. Sie ist leitende Führungskraft, ihr Wort hat Gewicht und wird umgesetzt. Eine sympathische Frau, die uns mit hellwachen und neugierigen Augen gegenübersitzt.

      Wenn man sich ihren Einstieg näher ansieht, wird eines ganz deutlich: Sprache, Gestik, Stimme und Struktur (die vier Felder, die wir in Teil B ausführlich analysieren) wirken bei Melanie Fink so unglücklich zusammen, dass ihre Präsentation zwar immer noch okay ist, aber nichts von der Kraft und Persönlichkeit widerspiegelt, die sie eigentlich auszeichnet. Ein Beispiel für die vergebene Chance, Punkte für ein wichtiges Thema zu sammeln und zu setzen. Kein einziger ihrer »Fehler« ruiniert, für sich genommen, einen Vortrag. Kein Zuschauer sitzt mit Block und Stift auf seinem Stuhl und macht sich Notizen, wie wir es in einem Coaching tun. In Summe bleibt jedoch ein ungutes Gefühl zurück, es entsteht ein Eindruck, der deutlich schwächer ausfällt, als er müsste. Sehen Sie die folgenden Anmerkungen zu diesem Intro bitte nicht als kleinliches Kritisieren am Detail, sondern als Sensibilisierung dafür, wie eben jene Details in Summe die Wirkung deutlich schwächen können.

      Erstens: Die Sprache (siehe auch Kapitel 5)

       »Vielleicht kurz zu meiner Person.«

      Reicht schon als Beispiel. Selbstverständlich hat sie das Recht, sich vorzustellen; und sie hat die Entscheidung, das im Rahmen ihrer Präsentation zu tun, ja bereits getroffen; für ein »vielleicht« gibt es also keinen Grund. »Kurz«? Natürlich kurz – sie wird nicht ihre ganze Vita vortragen. Es ist überflüssig, gleich zum Einstieg (vom Eindruck her: entschuldigend) zu signalisieren, dass sie niemandem die Zeit stehlen will. Kürze zeugt häufig von Respekt vor dem Zuhörer, dennoch bleibt es ihre Bühne. Sie entscheidet – auch über die Länge ihrer Rede. Und was die Formulierung »zu meiner Person« betrifft: Nicht falsch, aber allemal distanziert und passiv, von sich in der dritten Person zu sprechen. Ebenso passiv wie die »technischen Innovationen, die Lösungen bringen werden«.

      Zweitens: Die Gestik (siehe auch Kapitel 6)

      Die Daumen locker in den Taschen ihrer Jeans. Passt zu ihr – also erst mal nichts dagegen zu sagen. Außer, dass es ihre natürliche Gestik behindert. Sie hat wichtige Themen, die sie vor unseren Augen zum Leben erwecken könnte. Sie braucht Gesten, um zu illustrieren, zu unterstreichen, hervorzuheben. Diese Chance nimmt sie sich mit ihrer starren Haltung, und es ist schwierig, fest verankerte Hände wieder zu lösen. Außerdem beraubt sie sich der Möglichkeit, überschüssiges Adrenalin allein durch die Bewegung aus ihrem Körper fließen zu lassen. Sie wirkt angespannter, als sie in Wirklichkeit ist. Dem Zuschauer ist das egal; er sieht nicht, wie sie sich wirklich fühlt, sondern nur, was sie von sich zeigt.

      Drittens: Die Haltung (siehe auch Kapitel 4)

      Ihr zentrales Thema. Sie hakt ab, statt klare Punkte zu setzen. Ihre Stimme wandert am Ende der Sätze nach oben, klingt oft beliebig wie ein ruhiger, dahinplätschernder Fluss. In den Ohren ihrer Zuhörer werden so aus klaren Statements Fragezeichen. Hat da jemand etwas zu sagen, oder stellt sie ihre eigenen Argumente etwa infrage? Ihre Verzweiflung an den internen Strukturen schimmert durch. Ihre Resignation wird hörbar, als glaube sie selbst nicht an Besserung.

      Viertens: Die Struktur (siehe auch Kapitel 3)

      In Ordnung. Aber eben auch sehr konventionell. Wie man es halt so macht. Zum Einstieg den Namen nennen, dann die Funktion, dann die Agenda. Auch hier gilt: Grundsätzlich kein Problem, aber für Melanie Fink nicht der richtige, weil uninspirierte Einstieg in ein Thema, das sie selbst doch so sehr umtreibt.

      Melanie Fink ist ein Musterbeispiel für verschenkte Präsenz und ungehört gebliebene Botschaften. Im Training war es ein Leichtes, ihre Wirkung auf ein deutlich höheres Level zu heben. Struktur? Kein Problem, das ist Handwerkszeug; ein bis zwei gute Ideen und der Gedanke, es »mal anders zu machen«, reichten bereits. Sprache? Auch dies eine Mischung aus Handwerkszeug und der Bereitschaft zu klaren und konkreten Worten. Stimme? Folgt dem Inhalt, den sprachlichen Bildern und der Einstellung zum Thema. Und all dies zusammengenommen führt – zur Haltung. Körperspannung, Gestik und Mimik sind das Resultat und nicht der erste Gegenstand des Trainings. Eine geschärfte Selbstwahrnehmung, klare Kriterien und umsetzbare Tools – mehr brauchte Melanie Fink nicht.

       Körperspannung, Gestik und Mimik sind das Resultat und nicht der erste Gegenstand des Trainings.

      Noch einmal: Das in der Übung vorgetragene Statement unserer Teilnehmerin war nicht schlecht, nicht verkehrt, es war okay. Wenn Ihnen das allerdings nicht reicht (was wir hoffen), werden Sie im Folgenden viele Anregungen finden, die Ihnen helfen, sich sicherer und wohler auf jeder Bühne zu fühlen, und Ihre Executive Presence in den wichtigen Momenten auch sichtbar werden zu lassen.

       1.2 Executive Presence? Sie erkennen sie, wenn sie Ihnen begegnet

      Auch wenn sich der Begriff Executive Presence im englischsprachigen Raum mittlerweile etabliert hat – im Deutschen haben wir noch keine überzeugende Übersetzung gefunden. Zu uns ist die Idee auch eher zufällig über einen guten Freund gekommen, der damals noch in London lebte. Wir sprachen über unsere Arbeit, über Methoden, Ansätze und Inhalte, und unter welchem Schlagwort er unser spezielles Angebot zusammenfassen würde. Medientraining? Kommunikationscoaching? Präsenzberatung? Hm.