Anja Eichbaum

Inselduell


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tranken, als ihr Handy klingelte. Oskars Nummer erschien auf dem Display. Sie drückte den Knopf der Freisprechanlage.

      »Hallo. Bist du gut gelandet?« Er wartete gar nicht ab, dass sie sich meldete.

      »Wenn du den Verteilerkreis als Bonner Flughafen betrachtest, dann ja. Den kann man mit seiner Stange kaum verfehlen.«

      »Das ist nun mal verbindende Kunst. Köln hat an seinem Verteiler das Gegenstück.«

      Ruth schnaufte gespielt. »Ich weiß. Und ja, es soll Kunst sein. Habe ich verstanden.«

      »Nicht? Du bist doch die große Kunstexpertin von uns beiden.«

      »Das glaubst du.«

      »Nun, ich kenne wenige Leute, die so viel zeitgenössische Malerei an ihren Wänden haben wie du. Und deine eigenen Werke …«

      »Versuche, meinst du wohl. Nicht Werke.«

      »Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Frau Keiser mit Ei. Ich habe mich in die selbstbewussteste und in sich ruhendste Frau, die mir seit Langem untergekommen ist, verliebt.«

      »Da muss eine Verwechslung vorliegen, das kann nicht ich gewesen sein«, raunte Ruth, die sich trotz allem über seine Worte freute.

      »Never ever. Und das weißt du auch.«

      »Vielleicht. Das musst du mir später noch einmal persönlich sagen.«

      »Das werde ich, darauf kannst du wetten. Warte nur ab.« Seine Stimme hatte sich abgesenkt. Ruths Körper kribbelte.

      »Vielleicht sollte ich doch lieber nach Osnabrück zurückfahren.« Dass sie bei ihren Worten verträumt lächelte, bemerkte sie erst, als sie der Mann neben ihr an der roten Ampel anfangs irritiert anschaute, dann aber mit einem Winken reagierte. Schnell drehte sie den Kopf beiseite.

      »Unterstehe dich. Ich habe uns ein schönes Wochenendprogramm zusammengestellt. Lass dich mal überraschen. Ganz viel Kunst und Kultur dabei, aber keine roten Stangen.«

      »Na, das beruhigt mich ja ein wenig. Dann sollte ich vielleicht heute noch nicht ins Museum? Ich hatte mir das Macke-Haus vorgenommen.«

      »Doch, doch. Mach ruhig. August Macke habe ich nicht geplant. Bei mir wird es übrigens heute länger, dafür muss ich morgen nur kurz in die Redaktion. Ach ja: Ich habe von einer Nachbarin ein Fahrrad für dich abgestaubt. Steht bei mir im Keller. Der Schlüssel dafür hängt am Bord neben der Tür. Ist beschriftet.«

      »Das ist ja genial. Kannst du Gedanken lesen? Dann mache ich beides. Museum und mit dem Fahrrad am Rhein entlang.«

      »Hört sich nach einem guten Plan an.«

      »Finde ich auch.« Sie räusperte sich kurz. Manche Sätze fielen ihr immer noch schwer. »Übrigens, habe ich es schon gesagt? Ich freue mich auf dich. Sehr.«

      Bevor er antworten konnte, beendete sie die Verbindung. Verliebtsein war kein Zustand, der ihr leichtfiel. Aber sie würde sich hoffentlich daran gewöhnen.

      *

      »Was soll das denn? Haben Sie eine Erklärung dafür?« Schneyder richtete sich auf.

      Martin fuhr sich über seine Bartstoppeln und genoss das leicht kratzende Geräusch, das ihn stets beruhigte. »Bisher nicht. Ist schwer einzuordnen bei so einer oberflächlichen Betrachtung. Vielleicht können die Kollegen von der Kriminaltechnik uns etwas mehr dazu sagen.«

      »Aber auch auf den ersten Blick seltsam. Diese Kombination aus Schriftpapieren, die wie offizielle Dokumente wirken, einem toten Fisch und einer venezianischen Pestmaske. Das sieht verdammt nach Statement aus.«

      »Das vermute ich auch, meine Herren.« Eine Frau, Mitte 30, mit sehr weißen Zähnen strahlte Martin an, als würde sie gerade den Small Talk auf einer Cocktailparty unterbrechen. »Hallo, ich bin Theresa Westerkamp, diensthabende Rechtsmedizinerin.« Sie hielt die behandschuhten Finger hoch wie im Operationssaal. »Hände schütteln gerne ein andermal.«

      Gert Schneyder lächelte. »Theresa und ich haben schon den Ruf, miteinander verbandelt zu sein, so oft trifft es uns gleichzeitig bei den Bereitschaftsdiensten. Wie sagen wir dazu gern: ›It’s a match again.‹«

      Die beiden strahlten sich dermaßen an, dass Martin verlegen zur Seite sah. Er war ja nicht spießig, aber irgendwie fand er das Verhalten etwas pietätlos. Deswegen räusperte er sich laut, nannte seinen Namen und seine Funktion auf Norderney und fragte dann geradewegs: »Ihre Bemerkung eben. Dass Sie das auch vermuten. Können Sie das näher erklären?«

      »Ja, selbstverständlich.« Frau Westerkamp pustete sich ihren Pony aus den Augen und schüttelte leicht den Kopf, sodass ihr Pferdeschwanz von einer Seite auf die andere schaukelte. »Wenn Sie sich die Tote genauer anschauen, werden Sie wissen, was ich meine. Sie sind bisher wegen der Spuren auf Abstand geblieben? Vorbildlich, das muss ich einmal sagen.«

      Der fröhliche Plapperton der Ärztin irritierte Martin weiterhin. Trotzdem bemühte er sich um Freundlichkeit und Professionalität. »Der Notarzt hat den Tod festgestellt. Ja, und er hat eine Bemerkung gemacht, dass es wirke, als sei die Tote ausgestellt. Genau dieses Wort hat er benutzt: ausgestellt.«

      »Das trifft es auch meiner Ansicht nach ganz gut. Sie werden wissen, dass es sich um eine Schussverletzung handelt. Nach allem, was wir von außen sehen, mit letalem Schusskanal. Nach erstem Augenschein würde ich eher von einem Fremdverschulden als von einer Selbsttötung ausgehen. Aber Vorsicht: Nur aufgrund von Erfahrungswerten.«

      Was mochten das für Erfahrungswerte sein, fragte sich Martin. Allzu lange konnte die Ärztin noch nicht in ihrem Fachgebiet tätig sein, oder er unterschätzte ihr Alter. Trotzdem musste er ihre Aussagen akzeptieren.

      »Das Statement?«, erinnerte er sie an ihre Ausgangsaussage.

      »Ach ja. Also zweierlei. Über die Brust verläuft diagonal eine Schärpe, wie Würdenträger sie tragen. Sieht aber so aus, als wenn sie nur aufgelegt worden sei. Nach dem Schuss, denn sie liegt über der Wunde, ohne dass das Projektil durch sie hindurchgegangen wäre. Durch die massive Blutung hebt sie sich kaum von der schwarzen Kleidung der Toten ab. Wenn ich das richtig sehe, gibt es auch eine Beschriftung, goldene Buchstaben, wenn mich nicht alles täuscht. Sagt Ihnen das etwas?«

      Martin zuckte mit den Schultern. »Nein. Bei Würdenträgern stelle ich natürlich einen Zusammenhang her. Dass es sich bei der Toten vermutlich um unsere Bürgermeisterkandidatin handelt, wissen wir, aber sie war noch nicht gewählt. Außerdem trägt der Norderneyer Bürgermeister meines Wissens keine Schärpe.«

      »Gut. Oder nicht gut. Könnte auf jeden Fall etwas zu bedeuten haben.«

      Martin sah, wie Gert Schneyder mit einem Lächeln auf die Rechtsmedizinerin schaute. Sie hatte jedenfalls Ehrgeiz und schien neben ihrer originären Aufgabe die kriminalistische Fallarbeit miterledigen zu wollen.

      »Du hast aber von zweierlei Dingen gesprochen«, versuchte Schneyder, die Ärztin auf die Spur zu bringen.

      »Richtig. Das ist sogar noch eindeutiger. Auf dem Oberschenkel der Frau liegt eine Spielkarte. Sie könnte ihr aus der Hand gefallen sein.«

      »Eine Spielkarte?«, fragte Martin nach. »So was wie eine Kreuz sieben oder ein Herz Ass?«

      »Nein, nein.« Erneut wippte der Pferdeschwanz von einer Seite zur anderen. »Keine Skat- oder Canastakarte, oder wie man die nennt. Nein, so etwas Düsteres. Magisches. Ich glaube, es ist eine Tarotkarte. Ich kenne den Begriff, habe aber noch nie welche in der Hand gehabt.«

      »Dass ich das noch erleben darf«, entfuhr es Schneyder. Martin sah ihn genauso erstaunt an, wie es Theresa Wes­terkamp tat.

      »Was meinst du?«

      »Dein Eingeständnis, etwas nicht zu wissen oder zu kennen.«

      »Blödmann«, entfuhr es der jungen Frau, und Martin konnte nachvollziehen, warum den beiden eine Affäre angedichtet wurde. Sicherlich nicht allein wegen übereinstimmender Dienstpläne.

      »Seltsam, wirklich seltsam«,