signifikant. Ihr Anfraß und ihre Ausscheidungen können Lebensmittel ungenießbar machen und Allergien auslösen«, leierte Gabarek herunter.
Der Restaurantbesitzer nickte wie ein Schuljunge, dem der Lehrer gerade eine Standpauke hält.
»Und wenn so was erst an die Öffentlichkeit kommt …«, setzte Gabarek an und ersparte sich, den Satz zu beenden. Er wusste, dass die menschliche Fantasie grausamer sein konnte als Worte. Ebenso wusste er, dass der Besitzer des Pfalzhofes bei diesem Köder anbeißen würde.
»Aber wieso würden Sie das tun? Wie sollte die Öffentlichkeit davon erfahren, wenn Sie nicht …«, stammelte der massige Mann mit der Kochschürze.
»Ich werde ganz sicherlich nichts darüber verbreiten. Ich bin ein alter Hase und bekannt für meine Diskretion.«
»Aber wie sollte dann die Öffentlichkeit …?«
»Na ja, wenn ich zurückkomme, muss ich das zu Ihrer Akte nehmen.« Er deutete dabei auf das Handy, mit dem er eben die fliehende Schabe fotografiert hatte. »Dann wird daraus ein Vorgang. Er wird protokolliert, kopiert, verteilt. Er läuft durch die Hände von Sachbearbeitern, Sekretärinnen, Vorgesetzten und meist auch ein paar Praktikanten. Und ist am Ende in unserer Online-Datenbank für jeden Mitarbeiter einsehbar.«
Wieder verkniff er sich detailliertere Ausführungen. Nur ein Narr würde nicht erkennen, dass der Vorfall spätestens eine Woche danach zum Stadtgespräch werden würde.
Der Koch bekam keine Silbe über die Lippen. Seine Gesichtsfarbe hatte sich nunmehr in eine ungesunde Blässe gewandelt. Er mahlte mit den Kiefern. Man konnte förmlich beobachten, wie in seinem Gehirn die Synapsen unter Hochdruck arbeiteten.
»Und wenn …?«, setzte er an und blickte Gabarek treuherzig ins Gesicht.
Gabarek musste sich beherrschen, nicht zu grinsen. Wie einfach es doch war, Menschen zum Denken anzuregen. Aus Erfahrung war er sich gewiss, dass es fortan nicht mehr um das »Ob«, sondern nur noch um das »Wie viel?« ging. Doch er schwieg weiter, holte ein Formular aus der Tasche und begann, es quälend langsam unter den Augen seines Gegenübers auszufüllen.
Den Hals des Kochs zierten mittlerweile faustgroße rote Flecken. Unruhig stieg er von einem Fuß auf den anderen.
Als Gabarek schließlich gut leserlich in Großbuchstaben die Worte »AKUTER SCHABENBEFALL« eintrug, räusperte sich der Mann.
»Und wenn ich Ihnen zu 100 Prozent zusage, dass ich noch heute einen Kammerjäger beauftrage? Sie dürfen auch gerne mithören, wenn ich ihn anrufe.«
Gabarek war mit sich zufrieden. Alles entwickelte sich in die richtige Richtung. Jetzt galt es nur noch, die letzte Weiche zu stellen.
»Ja, wenn erst einmal das Auto des Kammerjägers vor der Restauranttür steht … Und so eine Fachkraft soll darüber hinaus sehr teuer sein.«
Er hatte ganz bewusst das Wort »teuer« etwas gedehnt ausgesprochen.
Der Koch schien die Botschaft verstanden zu haben. »Was meinen Sie, was so was kostet?«, fragte er artig.
»Wenn man bei einem Insektenbefall alles restlos beseitigt haben will, sodass niemand mehr was davon mitbekommt, kann das gut und gerne 3.000 Euro kosten«, antwortete Gabarek gelassen und füllte weiter das Formular aus.
Der Koch entfernte sich und kam mit einem Umschlag zurück, den er neben das Formblatt legte. Gabarek öffnete ihn mit seinen gelben Fingern und den viel zu langen Fingernägeln, spähte hinein und zerknüllte den ausgefüllten Vordruck. »Da hab ich mich doch leider verschrieben«, sagte er, grinste verschlagen und drückte dem unsicher neben ihm stehendem Restaurantbesitzer die Papierkugel in die Hand.
»Das können Sie wegwerfen.« Dabei schob er das Kuvert in die speckige Aktentasche und wandte sich zur Tür.
Wochenende
Samstag, 6. Juli 2019, 8.35 Uhr
»Sunny – Sunny, komm endlich rein! Es gibt dein Lieblingsfutter. Wo steckst du denn?«, flötete Karin Berger durch die offene Terrassentür.
Sie hatte schon zweimal nach dem rot getigerten Kater gerufen. Nichts. Sonst war sein Katzenmagen zuverlässiger als jede Armbanduhr. Täglich, kurz vor 8.00 Uhr, der üblichen Fütterungszeit, saß er auf der Terrasse und starrte vorwurfsvoll auf den Futternapf.
Karin Berger trat barfuß vor die Tür zum Garten ihres schmucken, aufwendig sanierten Einfamilienhauses im Schwetzinger Stadtteil Hirschacker. Sie stand unter der aufgespannten Markise und ließ ihren Blick über den vor kurzem verlegten Rollrasen gleiten, der mit seinem unnatürlich satten Grün wie frisch lackiert wirkte. Sie schlenderte einige Schritte in Richtung des neuen Pools. Das Wasser darin schimmerte im morgendlich goldenen Sonnenlicht in einem antiseptisch anmutenden intensiven Hellblau. Hinter dem Becken begrenzte ein hoher blickdichter Holzzaun das Grundstück zu dem von einem etwa 100 Meter breiten Wäldchen gesäumten Bahndamm.
»Sunny, komm endlich, du alter Stromer!«, rief sie mit süßlich quäkender Stimme.
Sie spürte etwas klebrig Feuchtes an ihrer Fußsohle, das ein Störgefühl bei ihr hinterließ. Komisch, der Rasen wurde doch spät am Abend, so gegen 23.00 Uhr, gewässert. Warum war er noch nicht abgetrocknet? Sie hasste jedwede Art von Schmutz an ihrem Körper und setzte den kleinen Kontrollgang auf der mit weißen Kalksteinplatten eingefassten Poolumrandung fort. Nach ein paar Tritten verharrte sie. Sie hatte das Gefühl, an den Platten kleben zu bleiben, und senkte den Blick zum Boden.
»Aua!«, stöhnte sie reflexartig auf. Doch sie fühlte keinen Schmerz. Aber wieso dann die blutigen Abdrücke auf den hellen Steinfliesen? Sie nahm auf dem Beckenrand Platz und inspizierte ihren Fuß. Tatsächlich, auf dem Ballen befand sich ein ausgebleichter schwärzlich roter Blutfleck. Sie wischte darüber. Das Blut war schon geronnen und ließ sich nur schwer entfernen. Die Haut darunter war unversehrt. Ekel flammte in ihr auf. Sie stand auf und wollte zum Haus eilen, um sich Hände und Füße abzuwaschen.
Dabei sprang ihr ein merkwürdiges Bündel ins Auge, das vor dem großen Oleandertopf, der als Sichtschutz vor der Terrasse thronte, im Rasen lag.
Was war das nur? Rötlich braune Fellwürste, mit einem Geschenkband gebündelt? Als sie näher kam, spürte sie wieder etwas Klebriges an der Fußsohle, und zeitgleich erkannte sie, dass es Blut war, das die Enden der Fellwürste dunkelrot färbte.
Mit einem Mal traf sie die grausige Erkenntnis, was da zu ihren Füßen lag.
»Sunny«, presste sie entsetzt hervor.
*
Eigentlich hätte es ein schöner Tag werden können. André hatte sich freigenommen; seine beiden Führungen hatte er einem Kollegen übertragen. Seit Langem wieder einmal wollte er sich einen ganzen Tag Irina widmen. Sie hatten heute ihren vierten Jahrestag. Aber was bedeutete es schon, dass sie auf den Tag genau vor vier Jahren bei ihm eingezogen war. An Tagen wie diesem wurde er sich immer wieder schmerzlich bewusst, dass sie nur seine Mieterin war. Sie war weder seine Adoptivtochter, wie er im Scherz immer gerne behauptete, noch gab es ein sonstiges Band zwischen ihnen, das sie zusammenhielt. Sie konnte einfach ausziehen, wenn sie wollte. Dazu brauchte es keinen besonderen Grund. Das Ende des Studiums, das unweigerlich näherkam, eine Beziehung oder der bloße Wunsch, sich zu verändern, reichte aus.
Was er in den ersten gemeinsamen Monaten noch als Trost empfunden hatte, nämlich die Sicherheit, dass er irgendwann wieder seine Ruhe haben würde, war über die Jahre hinweg förmlich zur Bedrohung herangereift. Was würde er tun, wenn er sich nicht mehr um sie sorgen könnte, wenn sein Haus nicht mehr von ihrer Musik oder ihrem Lachen erfüllt wurde?
Zu wenig hatten sie sich die letzten Wochen gesehen. Immer häufiger fiel der Name Quirin. Gestern Abend hatte der so etwas wie einen Antrittsbesuch bei ihm absolviert. Bestimmt hatte Irina ihm gegenüber darauf bestanden. In einer konservativen russischen Familie gehörte es wahrscheinlich zum guten Ton, einen neuen Freund den Eltern vorzustellen. Es war für alle Beteiligten höchst seltsam gewesen. Ein fremder Junge, der unter Irinas strengem Blick artig bei ihm seine