Gudrun Grägel

Limoncellolügen


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wollte ich Vorbereitungen für den Abend treffen, aber die Aufregungen am Morgen sind mir auf den Magen geschlagen. Mach ich lieber jetzt meine Pause. Dann kann ich Niveo später ein bisschen auf den Zahn fühlen. Na ja, oder auch nicht …

      Auf dem Zimmer ist es angenehm kühl, die Krone des großen Olivenbaums wächst bereits bis über den zweiten Stock hinaus und ist Gold wert. Natürlicher Schatten und Blickschutz. Einziger Nachteil des Zimmers ist das Bad, genauer das Badfenster. Kann man zwar kippen, aber nicht ganz öffnen, was sich im Zuge der Anbauänderungen so ergeben hat. Zwischen Alt- und Neubau ist ein blinder Gang entstanden, der vom neuen Flur mit einer Tür abgetrennt wurde und jetzt als Besenkammer dient. Und auf diesen blinden Gang geht mein Badfenster raus. Ornamentglas, aber kein Rollo oder Vorhang. Egal, Fenster gekippt, die Badtür offen, da brauch ich kein Licht – der Gang wird zwar nur selten genutzt und ich bin nicht besonders verklemmt, aber das Gefühl, im Gegenlicht quasi unbemerkt beobachtet werden zu können, ist nicht sehr prickelnd. Noch dazu, wenn ich auf der Toilette sitze – so wie jetzt. Und Fall X eintritt, so wie jetzt!

      Ich hör Stimmen. Die nähern sich mehr oder weniger direkt meinem Fenster. Na super, Liveprogramm auf dem Klo! Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich jetzt aufstehe, dann sieht man das von außen. Unangenehme Situation. Was soll’s, bleib ich halt sitzen, wahrscheinlich nur ne heimliche Raucherpause der Zimmermädchen. Mal hören, was sie so tuscheln … Ein paar Insiderinfos schaden nie, und so viel ist sicher: Außer Vinc wird das nie jemand erfahren!

      Oh, oh, ein Pärchen. Meine Antennen sind voll auf Empfang. Die beiden reden leise, aber nicht leise genug für meine interessierten Ohren. Sind das nicht … Mia und Niveo. Bin mir ziemlich sicher. Niveos Dialekt schützt zumindest seine Daten vor meinem Lauschangriff. Bedauerlicherweise. Weil – Mias Hälfte macht mich neugierig. Sie redet schnell, ich kann sie kaum verstehen. Niveo versucht sie zu beruhigen, flüstert nicht mehr. Klar, selbst wenn er weiß, dass das mein Zimmer ist, vor dem er steht, denkt er ja, dass ich noch in der Küche beschäftigt bin.

      »Das ist nicht mehr so einfach«, jammert Mia. »Ich bin schwanger.«

      Stille. Verhaltenes Weinen von Mia. Ich trau mich kaum zu atmen. Ist ja ein Ding! Schwanger? Von Hugo? Logisch. Klar, von wem sonst. Sie ist ja mit ihm verlobt. Aber … warum ist sie dann mit Niveo hier? Ist er ein so guter Freund, dass sie sich an ihn wendet, weil sie Angst vor ihrer Familie hat? Okay, hab ja selber gesagt, dass es manchmal leichter fällt außerhalb der Familie … Hab dabei allerdings an mich als verständnisvolle Zuhörerin gedacht, nicht an diesen smarten Süditaliener.

      Egal, was die Lösung ist, Niveo sagt nicht viel dazu, nur, dass er ihr auch etwas Wichtiges erzählen muss. So versteh ich es zumindest.

      Jemand sperrt die Tür auf.

      »Versteck dich«, zischt Mia hektisch.

      Wo? Im Wäscheschrank? Ich spür ganz deutlich, wie ein Lachanfall in mir hochkriecht. Ich glaub’s echt nicht! Doro’s private sitcom.

      »Was brauchst du, Paola?«, ruft Mia dem Zimmermädchen zu. »Ich kann’s dir mit rausbringen, bin eh hier fertig.«

      »Grazie, ich wollte nur die beiden Gießkannen holen. Ich lasse die Tür offen, in Ordnung?«

      »Grazie, Paola.«

      »Du kannst rauskommen«, gibt Mia nach einer kleinen Weile grünes Licht.

      »Mia, cara, ich muss mit dir reden. Dringend!«

      Cara? Liebste?

      »Heute Abend. Jetzt müssen wir zurück. Greta braucht mich.«

      »Mia! Ich brauche dich auch. Und ich muss dir etwas sagen.«

      Niveo betont jedes Wort, um die Wichtigkeit seines Anliegens zu unterstreichen, und tut mir damit einen Gefallen, weil ich ihn so besser verstehen kann.

      »Niveo, heute Abend, okay? Paola kommt sicher gleich zurück und ich will nicht hier erwischt werden wie ein unreifer Teenager.«

      »Okay, aber dann müssen wir reden.«

      »Versprochen.«

      Alles ist ruhig. Vermute mal, sie küssen sich.

      Hmm, Mia und Niveo. Ist mir echt nicht aufgefallen. Aber gut, ich bin erst zwei Tage hier und es war ja einiges los. Und selbst ich kann meine Antennen nicht nach allen Richtungen justieren, bin schließlich kein Satellit. Endlich! Die beiden traben ab und ich kann mich aus meiner unwürdigen Position befreien. Ich leg mich aufs Bett und verschränke die Hände im Nacken. Was wollte Niveo Mia so Dringendes sagen? Was ist so wichtig, dass die Nachricht über die Schwangerschaft fast untergeht? Überhaupt, Schwangerschaft … Heißt das jetzt, dass Niveo …? Mir fällt das Telefonat von gestern ein. Hat er doch etwas mit dem Tod von Julian Weigel zu tun? Wovor hat er Angst? Ich mein, heute mit den zwei Typen, da hat er ja auch komisch reagiert. Wird Zeit, dass Vinc morgen kommt, ich brauche jemanden, mit dem ich meine Beobachtungen besprechen kann. Greta will ich nicht damit behelligen, die hat genug am Hals.

      Ich spring wieder aus dem Bett. Bin viel zu unruhig zum Entspannen. Ich schlüpf in meine Espadrilles und spaziere durch die Olivenhaine nach oben, Richtung Tremosine. Das laute Geschrei der Zikaden beruhigt mich, bin gerade lieber hier oben als unten zwischen fröhlich lauten Touris am Strand. Ich bleib stehen und lausche. Das Geräusch verstummt. Aber nur für ein paar Sekunden. Dann geht’s wieder los, gefühlte Lautstärke eines Hubschraubers. Na ja, fast. Nach einer Weile kann ich das Tier orten. Unscheinbar graubraun und kleiner als erwartet zirpt es sich, getarnt am Baumstamm, die Seele aus dem Leib. Ich leg mich ins Gras und mach die Augen zu. Die Luft ist unbeschreiblich … warm, würzig, weich, ich kann’s nicht besser benennen. Egal, auf jeden Fall mega. Als ich wieder aufwache, knallt mir die Sonne ins Gesicht. Okay, noch ein paar Minuten, bevor die Küche ruft. Ich rutsche in den Schatten und verfolge die vereinzelten Wölkchen, die am Himmel vorbeiziehen. Schönwetterwolken – sag ich mal, bin aber kein Experte auf dem Gebiet.

      Die Pause war wie ne Regenerationsdusche. Der Apfelkuchen fürs Frühstück morgen ist fertig, grünen Spargel und Frühlingszwiebeln für den Rotbarsch im Gemüsesudpäckchen vorbereiten, Alufolie für die Schiffchen ist ausreichend da. Okay. Curry-Huhn-Ananas-Soße für die Farfalle köchelt vor sich hin, ich nehm ne Kostprobe – passt. Fast. Vielleicht noch ne Prise Muskat, ich schnuppere am Glas. Na ja, das Aroma schwächelt … Egal, nehm ich halt ne Prise mehr, was Paps nicht weiß … Hmm, perfekt. Ich stell den Topf bis zum Abend in den Kühlraum. Wo ist die Tomatensoße? Steht eine ausreichende Menge im Kühlschrank. Ja dann, um den Rest soll sich Niveo kümmern.

      Ist zwar kein Fünf-Sterne-Menü, aber ich bin zufrieden. Die Gäste offensichtlich auch, die Auswahl der drei Menü-Alternativen wird relativ ausgeglichen angenommen. Beim Hauptgang schielen ein paar Fleischfetischisten neugierig, wenn nicht sogar neidisch von ihrem Kalbsschnitzel in Weißweinsoße auf die Teller mit den Alupäckchen samt Rotbarbe und Spargel. Ohne falsche Bescheidenheit – es schmeckt so gut, wie es aussieht. Hat Niveo bestätigt, Carlo hat’s gnädig abgenickt und die Gäste loben den Koch in den höchsten Tönen. Ich bewahr mir natürlich absolutes Pokerface. Wenn die wüssten, dass seit gestern eine 26-jährige Deutsche den Chefkochposten übernommen hat! Na ja, das Geheimnis wird sich früh genug rumsprechen, einige von den Stammgästen wissen es eh schon.

      Endlich. Der Speisesaal ist verlassen, die Tische bereits eingedeckt fürs Frühstück, die meisten Gäste sind unten im Ort, ein Elvis-Presley-Imitator macht die Promenade unsicher und sorgt für leere Hotelterrassen. Verschnaufpause fürs Personal, wozu ich mich seit zwei Tagen auch zählen darf. Ich bereu’s nicht, wäre aber nix für immer. Die Hände im Nacken verschränkt, lehn ich mich im Stuhl zurück und strecke die Beine unterm Tisch aus. Tut gut, war ein ereignisreicher Tag. Ich gähne ausgiebig. Von den anderen lässt sich keiner blicken, nur Greta wirft ab und zu einen Blick raus zu den Gästen, zwei Pärchen, Mitte 50, die einträchtig unter der Markise sitzen und am Wein nippen. Sie macht aber keine Anstalten, sich zu mir zu gesellen. Was treiben die lieben Kollegen alle? Ich steh auf. Müdigkeit kontra Neugier. Vinc würde bös ablästern, so viel ist klar. Aber er ist nicht da, also kann er mich auch nicht aufhalten. Noch ein Brüller für Vinc. Die Idee, dass er mich aufhalten könnte, würde