die Idee hat ihm schon lange gefallen, aber eine bewährte Marke umzubenennen, macht man nicht einfach so, und …«, ich zögere kurz, »okay, es war so: Paps hat eine Bemerkung von nem Gast aufgeschnappt. Der hat beim Rausgehen übersehen, dass der Chef und seine Tochter an der Speisekarte am Eingang zugange waren, und hat böse über den Namen abgelästert. Sachen wie: ›Saschas‹ klinge nach Bordell auf der Reeperbahn oder der Besitzer sei schlicht und einfach ein selbstverliebter Egomane. Er solle sein Lokal besser ›Narziss‹ nennen …«
»Na, immerhin kennt der sich in der griechischen Mythologie aus«, spottet Greta. »Aber dass dein Vater deswegen gleich sein Restaurant umbenennt?« Sie legt ungläubig die Stirn in Falten. »Da müsste er doch drüberstehen!«
»Tut er normalerweise auch. Aber fatalerweise hab ich ne Woche vorher die Originalität des Namens infrage gestellt …«
»Oh, oh!« Greta nickt verstehend.
»Genau! Und das hat an ihm genagt. Weil – mein lieber Paps ist ein bisschen eitel, und vor allem sieht er sich als Künstler. Mangelnde Originalität, Langeweile oder Spießer – das sind No-Go-Begriffe im Zusammenhang mit Sascha Ritter!« Ich lache leise, als ich an Paps’ auffallend dunkle Gesichtsfarbe während unserer Diskussion denke.
»Wir hatten einen internen Wettbewerb ausgetragen. Vater gegen Tochter. Schlachtfeld Küche. Auf dem er mein Werk als fantasielos abgewertet hat – was es auch war, wie ich im Nachhinein zugeben muss. War einfach nicht gelungen und ich war beleidigt – und hab zum Gegenschlag ausgeholt. Er hat dann wortlos das Feld geräumt. Nach zwei Tagen haben wir uns versöhnt, aber ich hab gesehen, wie er skeptisch auf die Leuchtschrift über dem Eingang gestarrt hat.«
»Und dann kommt einer und nennt ihn einen selbstverliebten Egomanen.«
»Genau. Und ich war auch noch Zeugin! ›Idiot‹, hat Paps geknurrt, ›ein Egomane ist selbstverliebt!‹ ›Macis‹ hat uns dann beiden gut gefallen. Ich will nicht angeben, aber die Idee ist von mir – weil Paps liebt Muskat, egal ob als Nuss oder Blüte beziehungsweise Samenmantel. Und ein bisschen Intellekt darf ja sein – nach dem Narziss!« Wir kichern.
»Und der Typ hat Lokalverbot bekommen?«
»Nee, das nicht, aber ehrlich gesagt sind wir eigentlich immer ausgebucht, wenn er anruft …«
»Tja«, Greta schaut unschuldig, »geht uns manchmal auch so …«
»Five.«
»Five.«
Wir klatschen ab.
Mia taucht wieder auf. Schwebt zart, nein, ätherisch trifft’s besser, auf die Bühne. Ich hab echt keine Figurprobleme, aber solche Frauen machen mich gefühlsmäßig zehn Kilo schwerer.
»Na, du Arme, geht’s wieder besser?«, ruft Greta ihr mitfühlend entgegen.
»Ich hab gerade von einer Kugel Erdbeereis geträumt.« Mia lacht und macht sich an der Eisbar zu schaffen.
Greta beugt sich zu mir. »Mia ist ein Schatz. Sie hält immer zu mir«, flüstert sie. Ihre Miene verdüstert sich. »Mehr als Adriano.«
»Ach komm, Greta, Kopf hoch, das rocken wir«, sag ich cool, »denk an den alten Wiesmüller, den haben wir uns auch zurechtgebogen.«
Greta muss lachen. »Vielen herzlichen Dank auch. Meinen Mann mit Wiesmüller zu vergleichen!«
»Der Gedanke hat was«, finde ich und smile, »aber im Ernst, du weißt, was ich meine, oder? Musketiere … alle für einen und so.«
»Mein armer Adriano tut mir jetzt schon leid …«
»Was gibt es zu lachen?«, fragt Mia neugierig. Sie lässt sich mit einer Megakugel Erdbeereis in der Waffel auf einen Stuhl fallen.
»Lass das bloß die Kinder hier nicht sehen, die wollen nie wieder eine normale Kugel«, zieh ich sie auf.
»Oje!« Mia schaut erschrocken auf ihren Erdbeereisberg.
»Entspann dich, Mia, alle Monster sind am Pool«, geb ich Entwarnung.
»Monster! Doro, wenn das die lieben Eltern hören.«
Wir lachen. Tut gut nach dem ganzen Stress. Der Tod von Julian Weigel steckt uns allen in den Knochen.
»Tja, Mädels, ich verzieh mich. Sachen auspacken, Nickerchen und so … Soll ich gleich die Gläser mitnehmen?«, frag ich und steh auf.
»Nee, lass mal«, winkt Greta ab.
»Ich helfe Greta«, sagt Mia.
Na, dann … Ich überlege kurz. Soll ich außenrum gehen, über den Parkplatz zum Hintereingang – da könnte ich gleich noch meine Sonnenbrille aus dem Auto holen. Ich entschließe mich dann aber für den Weg durchs alte Haupthaus. Ist kühler als draußen.
Im Minibüro hinter der Rezeption herrscht gähnende Leere. Francesca und Vittorio pflegen ihre Siesta bis zum späten Nachmittag. Hat sich nicht verändert seit dem letzten Jahr. Die Jungen halten abwechselnd die Stellung, ist nicht viel los um die Zeit. Die meisten Gäste sind am See oder gehen ne Kleinigkeit essen oder schlafen am Pool. Manche in der prallen Sonne … Okay, wer’s braucht. Später vielleicht Eiskaffee, ein kühles Pils vom Fass oder einen prickelnden Spritz. Sofort perlen verlockende Bilder an meinem geistigen Auge vorbei. Gibt’s für mich aber erst nach der Abendschicht. Auch wenn das »Magdalena« überschaubar ist, 50 oder 60 Essen punktgenau zu servieren, ist zwar nicht wirklich eine Herausforderung, ich will mich aber auch nicht blamieren.
Ich streife die Flipflops ab und streck mich auf dem Bett aus. Die Fahrt steckt mir noch in den Knochen. Ist zwar echt keine Weltreise von München an den Gardasee, aber dann noch die Aufregung vom Morgen … Ein alter Hausschlappen ist ein fitter Turnschuh gegen mich! Ich fummel mein Handy aus der Hosentasche, dabei spür ich den Knubbel in der kleinen Seitentasche. Ach, Mensch, den Knopf hab ich ganz vergessen, den bring ich später noch zu Forti.
Ich drücke Vinc’ Nummer, aber er geht nicht ran. Die Hände im Nacken verschränkt, döse ich vor mich hin. Muss kurz eingeschlafen sein, jedenfalls höre ich jetzt jemanden sprechen. Männlich. Italiener. Spricht schnell und mit Dialekt. Klingt irgendwie … interessant. »Was interessiert dich eigentlich nicht?«, würde Vinc dazu mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sticheln. Vinc … Ich drücke die Wahlwiederholung. Wieder nix. Schade. Na ja, probier ich’s später noch mal. Muss langsam in die Küche, Abendessen vorbereiten, ist schließlich kein Urlaub hier. Mein Akku ist wieder aufgeladen, trotzdem, zwei Minuten gönn ich mir noch. Ich mach die Augen zu und freu mich auf Vinc. Träume von unseren Motorradtouren … Die Stimme von drüben wird lauter. Der Typ ist jetzt anscheinend auf dem Balkon. Aha. Muss ich mir merken. Wichtige Dinge nicht draußen besprechen. Ich grins vor mich hin, steh auf und stell mich an die Balkontüre. Ich hab keinerlei Skrupel zu lauschen, außerdem versteh ich eh nur ein paar Brocken, mein Rudimentäritalienisch ist absolut überfordert. Was ich raushöre, sind lediglich ein paar Worte. »Mama« und »Unfall«, er könne nichts für den Tod … und dass er in Sicherheit sei. Bin mir nicht sicher, der Stimme nach könnte es Niveo sein. Greta fragen, wer das Zimmer neben mir hat, notier ich für mich. Okay, er telefoniert also mit seiner Mutter, er kann nichts für den Tod und – er hat Angst. Letzteres kann ich an seiner Stimme hören. Wovor, frag ich mich. Da kann ich nur Vermutungen anstellen, aber darin bin ich ja Meisterin – würde Vinc zumindest behaupten. Hmm, ein Toter, ein seltsames Telefongespräch, meine Antennen sind auf Empfang! Was hat Niveo mit dem Tod von Julian Weigel zu tun? Und wovor hat er Angst? Kein Mensch hat irgendeinen Verdacht gegen ihn geäußert. Ich hab ihn gefragt, ob er versucht hat, den Mann wiederzubeleben … Das war kein Vorwurf, ich wollte nur den Ablauf ein wenig strukturieren. Und der Streit, auf den ihn Mia angesprochen hat … Ich mein, selbst wenn er mit dem Mann eine Auseinandersetzung gehabt hätte, hätte das noch lange nichts mit dem Tod von Julian Weigel zu tun. Außerdem hat er das ja mit dem Fahrradunfall erklärt. Ja gut, erzählen kann er viel! Hat er ein schlechtes Gewissen, weil er nicht sofort Erste Hilfe geleistet hat? Oder hat er vielleicht das Reinigungsmittel am Pool liegen lassen? War die Stelle glitschig? Mir ist nichts aufgefallen, als ich den Beckenrand in der Früh überprüft