Gudrun Grägel

Limoncellolügen


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      »Pfirsiche an Soße Doro«, serviert er zwei Minuten später. »Müsst ihr probieren, schmeckt klasse.« Er schaut todernst.

      Aha. Ich grinse. Er auch.

      Meine Dessertsoße ruft allgemeine Begeisterung hervor.

      »Wie wär’s jetzt mit einem Gläschen Ihres berühmten Limoncellos?«, frag ich Vittorio.

      Ein geschmeicheltes Lächeln entkommt ihm.

      »Mia, hol die Flasche und Gläser, per favore!«, schickt er seine Tochter los.

      »Salute«. Ich schnuppere am Glas. Superzitronig. Der Limoncello fließt kalt, süß und sehr fruchtig die Kehle runter.

      »Hmmh, echt lecker! Schmeckt viel besser als der, den ich in der Küche gefunden habe«, lobe ich begeistert und mein das auch so.

      »Familienrezept.« Vittorio ist sichtlich stolz.

      Na also, geht doch, denk ich zufrieden.

      Ein schöner Abend, aber langsam werde ich müde und will meine Ruhe.

      »Buona notte«, wünsch ich in die Runde und steh auf.

      Adriano geht rüber zu den Gästen, die anderen bleiben noch sitzen.

      Okay, war ein langer Tag. Hab mir eine Flasche Mineralwasser mit hochgenommen, die klemm ich mir unter den Arm und geh raus auf den Balkon. Aschenbecher steht auf dem kleinen weißen Plastiktisch, der Stuhl aus demselben Material war auch schon mal weißer, wie mir heute Nachmittag aufgefallen ist. Aber das schluckt jetzt die Nacht. Ich drück Vinc’ Kontakt. Da alle andern noch unten sind, gehe ich davon aus, ungestört telefonieren zu können. Kontrollblick zu den angrenzenden Zimmern, ist alles dunkel. Trotzdem rede ich sehr leise, als ich Vinc von den Ereignissen des Tages erzähle. Hauptthema ist der Unfall. Logisch. Beschäftigt mich sehr.

      »Weißt du, die haben den Mann abtransportiert, Hauptsache, keiner kriegt was mit«, sag ich traurig.

      »Doro, Schatz, klar ist das tragisch, aber so was passiert eben. Und dass die Polizei Rücksicht auf den Hotelbetrieb nimmt, finde ich nicht verkehrt.«

      Ich seufze. »Das weiß ich ja, aber trotzdem, ich war vorhin noch kurz unten am Pool … Iieh, was ist das?«, ruf ich erschrocken und wedle abwehrend mit den Händen. Beinahe wär mir das Handy runtergefallen.

      »Was ist los?«, fragt Vinc, klingt aber nicht sonderlich besorgt.

      »Hallo! Ich werde hier von einer Armada Schwalben oder so angegriffen und du lachst?«, schimpf ich empört.

      »Bestimmt ein paar Fledermäuslein«, spottet Vinc. »Die waren letztes Jahr doch auch da, mein kleiner Schisser, erinnerst du dich?«

      »Echt? Fledermäuse? Meinst du?« Stimmt, ich erinnere mich … Weiß auch nicht, weswegen ich Gänsehaut kriege. Alte Gruselgeschichten aus der Kindheit wahrscheinlich. Wie sich Fledermäuse wie Kaugummi in den Haaren verfangen …

      »Und wegen des Unfalls«, Vinc’ Stimme schiebt sich wieder in den Vordergrund, »Doro, du hörst das Gras wachsen. Lass es gut sein und wirbel keinen Staub auf, wo keiner ist.«

      »Wird Zeit, dass du kommst, mein Held und Beschützer«, witzle ich liebevoll. »Ich freu mich auf dich. Bussi.«

      »Bussi, bleib brav, bis übermorgen.« Ich hör sein leises Lachen, bevor er auflegt. Ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus.

      Kapitel 4

      Segreti – Geheimnisse

      Martedi (Dienstag) – 28. August

      In aller Früh tauchen die Eltern von Julian Weigel auf. Rote, verquollene Augen, traurig, fassungslos. Julians Freundin steht stumm dabei. Sie wollen ihren Sohn, ihren Verlobten nach Hause holen. Abschied nehmen, an dem Ort, an dem er gestorben ist. Die drei werden von einem Sergente begleitet. Einige Gäste sitzen bereits beim Frühstück und schauen neugierig zu dem traurigen Grüppchen, das gerade durch den Garten Richtung Pool zieht, dahin, wo das Unglück geschehen ist.

      Bis auf ein paar bunte Handtücher auf einigen Liegen ist der Poolbereich verlassen.

      Ein kleines Mädchen steht auf der Terrasse und schaut zu der Gruppe rüber.

      Unter uns gedrückte Stimmung, keine Scherze in der Küche, das gebietet der Respekt vor dem Toten. Auch wenn wir ihn kaum gekannt haben. Die tiefe Trauer der Eltern und der jungen Frau schlägt uns aufs Gemüt. Adriano und Greta gehen rüber zum Pool, Niveo, Mia und ich übernehmen den Frühstücksbetrieb. Die eine oder andere Frage an Mia, die bedient. Ein bedauerlicher Trauerfall, sagt sie freundlich, aber in einem abschließenden Tonfall, der jegliche Nachfrage verbietet. Außerdem überlagert das Bedürfnis nach ungetrübtem Urlaub die Sensationslust, und so plätschert das Gemurmel im Speisesaal bald in gewohnten Bahnen. Die erweiterte Brotauswahl, der selbst gebackene Kuchen und vor allem der Gratisprosecco rufen allgemeine Begeisterung hervor. Hab ich’s nicht gewusst? Ich zwinkere Niveo zu, als eine ältere Dame ein gut gefülltes Glas Prosecco in der einen Hand, in der anderen Kaffeetasse samt Unterteller Richtung Terrasse jongliert, wo sie dann eine Zigarette aus dem hundertwasserbunten Etui zieht und auf ihrem Smartphone surft, während ihr Mann mit Kaffee und Bildzeitung folgt. Urlaubsidylle.

      Neben Spiegelei-, Rührei- und Schinkenbruzzeln, werf ich einen Blick auf das Abendmenü. Valdo Carlotti hat angeboten, sich um die Bevorratung und Einkaufsliste zu kümmern, was mir sehr gut passt, auch mit Blick auf Vinc, der morgen kommt, da schadet Unterstützung in der Küche nicht.

      »Oh Mann!« Greta kommt mit gerötetem Gesicht in die Küche. »Mir hat’s grade schier das Herz zerrissen. So was wünsch ich meinem schlimmsten Feind nicht.«

      Sie hat Tränen in den Augen. Ich nehm sie in die Arme.

      »Als Jugendlicher war er im Schwimmverein und hat jeden Wettbewerb gewonnen, hat seine Mutter gesagt«, schnieft Greta.

      »Das ist Schicksal«, versuch ich sie zu trösten und weiß, dass es für die Familie von Julian Weigel keinen Trost gibt.

      »Die Polizei hat den Leichnam freigegeben. Sie können ihn jetzt mit nach Hause nehmen.«

      Wir nicken stumm, dann lenkt uns der laufende Betrieb ab. So ist das, denk ich, und es erschüttert mich, wie schnell der Alltag einen verschlingt, während sich im selben Moment für jemand anderen das Leben für immer verändert.

      »Wann kommen eigentlich eure Kinder zurück?«, frag ich Greta.

      »Isabella hat sie übers Wochenende mit nach Verona zu ihrer Familie genommen und bringt sie heute Abend oder morgen wieder. Pflicht für die nächsten Wochen erfüllt«, sagt sie böse. »Bis dahin können wir zusehen, dass sie wieder normal ticken.«

      »Na, komm, so schlimm wird’s schon nicht werden«, will ich sie beruhigen, merk aber selber, wie blöd das klingt. Schließlich kenn ich Laura und Davide überhaupt nicht, und schon gar nicht ihren Zustand nach einem Aufenthalt bei ihrer Mutter.

      Gretas Blick spricht Bände.

      »Tut mir leid!«, entschuldige ich mich und umarme sie fest. »Aber ich unterstütz dich, versprochen!«

      Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.

      Schön. Tja, Köchin, Kindermädchen – und was kommt noch? Kein Ding, bin zuversichtlich, dass ich das rocke. Ich mein, ich kann ganz gut mit Kindern. Solang es nicht meine eigenen sind und ich sie wieder abgeben kann … Ist einfach noch kein Thema für mich und zum Glück schreit Paps auch nicht nach Enkeln. Und Vinc? Wir haben uns noch nicht in das Thema vertieft. Ich muss lachen. Hallo! Wie komm ich denn auf so tiefschürfende Gedanken?

      Greta lauscht abgelenkt, dann eilt sie aus der Küche. Keine zwei Minuten später ist sie wieder zurück.

      »War nur Hugo. Der wollte zu Mia. Die ist gerade auf ihr Zimmer gegangen.«

      »Hugo? Ist das Mias Verlobter?«, frag ich neugierig. Den hab ich noch nicht kennengelernt.

      Greta nickt.