jeder für den anderen Verantwortung übernimmt und sich selbst und den anderen schützt.
Impfen ist ein Recht – und eine Verantwortung
Kinder haben ein Recht darauf, dass ihnen die bestmögliche Gesundheitsversorgung zugutekommt. Dies wurde 2002 sogar in Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention in New York festgelegt: Jedes Kind soll ein Recht auf (routinemäßige) Impfungen zur Gewährleistung der Gesundheit haben. Mit diesem Entschluss wird anerkannt, dass Routine-Impfungen notwendig sind, um das Recht des Kindes auf Gesundheit umzusetzen. Doch was wiegt höher? Das Elternrecht oder das Recht des Kindes auf Gesundheit? Dürfen Eltern ihrem Kind Impfungen auch dann vorenthalten, wenn daraus absehbar im Leben des Kindes Krankheit und in einzelnen Fällen gesundheitliche Schäden bis hin zum Tod resultieren?
In Deutschland ist Impfen – mit Ausnahme der Masern-Impfung – freiwillig. Das wirft in einigen Bereichen auch moralische Fragen auf: Sollte es wirklich die freie Entscheidung einer Ärztin oder eines Pflegers sein, sich impfen zu lassen oder nicht, wenn sie Krebspatienten mit einem schwer eingeschränkten Immunsystem behandeln oder auf einer Neugeborenen-Intensivstation oder in einem Pflegeheim arbeiten? Haben Patienten in einem Krankenhaus oder in einer Arztpraxis nicht das Recht, dass die Menschen dort alles in ihrer Macht Stehende tun, damit sie keine potenziell tödliche Infektion bekommen?
Der Gesetzgeber hat zumindest für Masern entschieden: Wer in diesen medizinischen Bereichen arbeitet, muss gegen Masern geschützt sein, hier gilt die Impfpflicht. Das Masernschutzgesetz sorgte 2019 für viel Diskussion, denn seither ist die Masern-Impfung nicht nur für medizinisches Personal und Personal in Bildungseinrichtungen Pflicht, sondern auch für Kinder. Wir widmen der Impfpflicht in diesem Buch ein ganzes Kapitel (siehe > ff.).
Was uns Corona gelehrt hat
Seit 2020 bestimmt das neuartige Coronavirus unser Leben – und als dieses Buch fertig war, war noch nicht klar, wie lange dies so bleiben würde. Das Virus sorgte für Homeoffice, Masken und Abstand. Wir haben unsere Kinder zu Hause unterrichtet, Oma und Opa nur telefonisch kontaktiert. Kleinere Geschäfte sahen sich durch Kundenmangel in ihrer Existenz bedroht oder mussten gar schließen. Und auch nach dem Ende des ersten Lockdowns blieb vieles anders. Das Virus nötigte viele Menschen und Institutionen zu einem Crashkurs in (digitalen) Innovationen und zu anderen Lebensveränderungen, die nur kurze Zeit zuvor noch undenkbar waren. Heute weiß jeder, welchen Effekt ein Virus, eigentlich mikroskopisch klein und unsichtbar, auf das Funktionieren einer Gesellschaft, unser Arbeitsleben, Freundschaft und Familie haben kann – und auch, welche Einschränkungen für die persönliche Freiheit es mit sich bringen kann.
Und alle haben wir dazugelernt. Zuerst, dass wir die Zahl der Neuinfektionen niedrig halten müssen, damit unsere Krankenhäuser nicht überlastet werden. Und dass die Reproduktionsrate dabei die entscheidende Zahl ist: Wie viele steckt jeder Infizierte an? Im Frühsommer 2020 lag sie bei 1, sie sollte aber am besten deutlich darunter liegen. Wenn weltweit jeder Infizierte weniger als einen Menschen ansteckt, dann stirbt das Virus irgendwann aus.
Kaum verstanden wir, was die Reproduktionszahl ist, lernten wir die Bedeutung von Superspreadern und den zugehörigen K-Faktor kennen. Letzterer beschreibt, ob bei einem Infektionsgeschehen wenige Superspreader viele andere Menschen anstecken oder ob Ansteckungen auf viele Infizierte zurückgehen, es also keine oder wenige Superspreader gibt. Seit Corona kennt fast jeder das Konzept der Herdenimmunität (siehe > ). Gemeinschaftsschutz ist im Infektionsschutz ein wichtiges Ziel, egal ob er durch Krankheit oder durch Impfung entsteht. Mitten in der Pandemie hoffen die meisten Menschen auf ein wirksames Gegenmittel gegen den unsichtbaren Gegner. Das Wettrennen verschiedener Pharmahersteller, auch aus Deutschland, einen wirksamen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln, dominierte oft die Nachrichten. Welcher Hersteller entwickelt den ersten Corona-Impfstoff? Wie effektiv wird der Schutz gegen das Virus sein? Wir lernen, dass es Tot- und Lebendimpfstoffe gibt und dass der erste Impfstoff gegen Corona ein Impfstoff ist, der durch Gentechnik wirkt (siehe > ). Wir alle erleben mit jedem Fortschritt, mit jeder Entwicklung ein Stück Forschung in Echtzeit.
Extra
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INTERVIEW MIT EINER IMPFSTOFFFORSCHERIN
Die Infektionsforscherin Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) arbeitet gemeinsam mit Forschern der Universitäten München und Marburg an einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus. Vor der Pandemie hat sie einen hochwirksamen Ebola-Impfstoff mitentwickelt und einen eingeflogenen Patienten behandelt.
Frau Addo, von welcher Art ist der Impfstoff, an dem Sie arbeiten?
Marylyn Addo: Wir arbeiten an einem Vektorimpfstoff. Diese Art Impfstoff ist neu und wurde aber zum Beispiel schon zum Schutz vor Ebola zugelassen.
Was genau ist ein Vektorimpstoff?
Addo: Bei Vektorimpfstoffen wird das Genmaterial des Virus, gegen das man impfen möchte, in harmlose Viren eingebaut und dann als Impfstoff injiziert. Im Körper bringen die entsprechend modifizierten harmlosen Viren den Körper dann dazu, Antikörper zu produzieren. Trifft irgendwann einmal das tatsächliche Virus – in unserem Fall SARS CoV-2 – auf den Menschen, ist dessen Immunsystem bereits vorbereitet und kann den Erreger abwehren. Wir nutzen den Impfstoff als Plattform, sozusagen als Basis für unsere Entwicklung. Und das auch nicht zum ersten Mal: Wir haben diesen Vektor bereits in einem Entwicklungsprogramm für einen Impfstoff gegen MERS (Middle East Respiratory Syndrome, eine schwere Atemwegserkrankung) eingesetzt, hier haben wir diesen bereits bis in Phase 1 der drei Studienphasen mit guter Sicherheit und Verträglichkeit getestet.
Diese Plattform stelle ich mir vor wie einen Basis-Kuchenteig und je nachdem, was für ein Virus bekämpft werden soll, arbeitet man mit diesem Kuchenteig dann weiter und ergänzt entweder Schokolade, Nüsse oder Kakaopulver.
Addo: Ja, das ist ein ganz guter Vergleich. Ich habe bisher immer an einen Lego-Bausteinkasten gedacht, dass quasi eine Grundstruktur da ist. Dann stelle ich es mir immer vor wie so einen Ring. Und an diesen baut man dann den Wirkstoff gegen das Virus auf, das man bekämpfen möchte.
Ein wichtiges Argument der Impfgegner oder generell der Kritiker einer Impfung ist ja, dass Nebenwirkungen nicht kommuniziert werden. Für den Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus, an dem Sie arbeiten, können Sie da schon sagen, welche Nebenwirkungen es vielleicht geben wird?
Addo: Wir haben tatsächlich aus 2020 Daten von den ersten Menschen, die gegen das MERS-Virus geimpft worden sind. Wir erwarten eigentlich ein ähnliches Nebenwirkungsspektrum, weil sehr viel am Impfstoff gleich bleibt. Was wir an Nebenwirkungen gesehen haben, war alles mild und moderat, wie etwa Kopfschmerzen, leichter Schmerz an der Einstichstelle. Starke und schwerwiegende Nebenwirkungen gab es nicht.
Es kann durchaus sein, dass verschiedene Impfstoffe gegen Corona auf dem Markt sein werden. Befürchten Sie ein Chaos?
Addo: Nein, es wird ja nicht 20 Impfstoffe geben. Aber es ist auch gut, dass man sich nicht nur auf einen einzigen versteift. Es ist wichtig und gut, dass man verschiedene Ansätze in der Entwicklung vorhält. Wie viele dann am Ende tatsächlich auf den Markt kommen und da auch angewendet werden, muss man sehen. Und auch nicht zu vergessen: Man muss ja auch erst mal verstehen, welche Impfstoffe bei wem am besten wirken.
WAS – WANN – FÜR WEN?
Der Impfkalender des Robert Koch-Instituts (siehe > f.) zeigt, wann welche Impfung empfohlen ist. Eine Impfung sollte jeweils zum frühestmöglichen Zeitpunkt gegeben werden. Einige Impfungen müssen über das ganze Leben hinweg immer wieder aufgefrischt werden.
Gegen welche Krankheiten gibt es eine Impfung?
Hier