als zu leben. Fristen ihr Dasein in der amerikanischen Nacht, in der sengenden Glut, sie sitzen leblos in der Bar, im Zug, im beengten Apartment, in der Hotellobby, gehen über die Straßenkreuzung, stehen herum im Neonlicht einer Tankstelle. Homo sapiens in seinen selbst erschaffenen Räumen, verschollen in einer abgrundtiefen Abwesenheit. Hoppers Bilder beklemmen, wenn man sie zu lange anschaut. Der moderne Mensch selbst wird darauf zum Synonym der Einsamkeit. Zur trostlosen Gestalt. Im Hopper’schen Universum ist er das, was nur ein englisches Wort zum Ausdruck bringen kann.
Lost.
Am Ende zeigt uns die Exkursion in die Kunst vor allem eines: Das Thema Einsamkeit ist groß. Es zieht sich von der Bibel bis in die aktuellen Charts und Bestsellerlisten. Die Solitude, so scheint es, wird uns wohl nie verschonen, als sei sie ein Wesenszug der Existenz selbst. So kommen auch die heutigen Kunstschaffenden gar nicht drum herum, die Einsamkeit auf die eine oder andere Weise immer wieder zu thematisieren; ob sie wollen oder nicht. Das Echo überfällt uns zuverlässig und überall: Variationen von Verlorenheit und Sehnsucht finden wir an jeder Ecke, vernehmen die Kadenzen von Leere und Suche, sobald wir die Ohren spitzen. Man könnte fast sagen: Das unzertrennliche Gegensatzpaar von Einsamkeit und Nähe beherrscht mit Allmacht unser Leben – und spricht uns violent aus der Seele.
Da sind, um nur einen kleinen Rundblick in die modernen Zeiten zu werfen, etwa die Meeresgemälde eines Gerhard Richter. Weite, Leere, Einsamkeit ozeanischen Ausmaßes. Und, natürlich, da war und ist bis heute der Blues. Seine melancholischen Blue Notes zwischen großer und kleiner Terz sind musikalischer Ausdruck von Einsamkeit, seine Zeilen allzuoft ein einziges Wehklagen in Moll. Sogar die Country-Ikone Hank Williams sang es sich bereits von der Seele: I’m so lonely I could cry.
Nirvana schließlich jammerte am lautesten vor lauter Unverstandenheit und Weltschmerz, die Schlager beherrschen das Einklagen von Liebe routiniert wie eh und je, und wer heute seine Sinnesantennen in die Grundstimmung des jungen Rap steckt, fühlt sich angesichts der Unmittelbarkeit des Widerstands gegen Ablehnung und Erniedrigung gleich mitgenommen und eingenommen. So tollkühn, sehnend und sich selbst schützend wummern die Songs nach Gehör, dass man am liebsten die gesamte Generation in den Arm nehmen will, um all die Teens und Twens trostvoll zu wärmen: Alles wird gut. Die Welt ist am Ende gar nicht so kalt, wie ihr denkt.
Vielleicht aber ist sie das doch. Und war es schon immer. Ein Planet der Einsamkeit, ein runder Krümel im kosmischen Vakuum. Lauschen wir den Artikulationen der Kunst, könnten wir genau diesen Eindruck gewinnen.
Einsamkeit in Psychologie und Medizin
Die Kunst geht ihre eigenen Wege, um das Thema der Einsamkeit aufzugreifen und zu beschreiben. Musik, Malerei und Literatur sprechen das emotionale Zentrum an. Mit Symbolen, rhetorischen Abstraktionen und im wahrsten Sinne des Wortes eindringlichen Melodien bewegen und berühren sie. Und treffen manchmal sprichwörtlich mitten ins Herz.
Wissenschaftliche Fachbereiche allerdings können solche Betrachtungsweisen kaum zufriedenstellen. Sie müssen sich sachlich mit dem Thema auseinandersetzen, brauchen eine Methodik, die empirische und überprüfbare Aussagen liefert. Und obwohl das zerstreute Gefühl der Einsamkeit so schwer zu packen ist, haben verschiedene Fachgebiete dennoch versucht, den Begriff der Einsamkeit zu erörtern und ihn präziser zu definieren. Wagen wir also auch hier einen kleinen Rundgang.
Der Stressforscher und Psychiater Mazda Adli zum Beispiel traut sich über die Ursachen an das Problem heran. »Einsamkeit«, schreibt er, »entsteht dann, wenn es eine Diskrepanz zwischen dem persönlich erwünschten und dem tatsächlichen Grad sozialer Eingebundenheit gibt.« Einsam ist man also dann, wenn man das Gefühl von Isoliertheit und Unzugehörigkeit verspürt. Ein Gefühl der Absenz, von Menschen, die einem entweder helfen, die einen mögen und mit denen man Zeit verbringen kann. Einsamkeit wird dann zum Seelenschmerz. Ein Gefühl, so Adli weiter, das sich von Mensch zu Mensch zwar erheblich unterscheiden kann, jedoch stets eine Unterform von Stress ist, genauer gesagt: von sozialem Stress.
Psychologen reden dabei von einer Stressform, die unmittelbar verknüpft ist mit dem Zusammenleben und der Interaktion zwischen den Menschen (und entsprechend auch dem Fehlen von beidem). Und dieser soziale Faktor gilt in der Stressforschung als der stärkste Stressor, den man kennt. Das betrifft besonders die soziale Isolation, deren subjektive Seite das Gefühl der Einsamkeit ist.
In der Psychologie wurde dann gefragt: Was sind die eigentlichen Auslöser für die soziale Isolation, wenn wir dies einmal präzisieren wollen? Nun, sie entsteht durch den Mangel an Kontakten, durch das Fehlen von Unterstützung und Verbundenheit zu anderen Menschen oder auch durch aktiven sozialen Ausschluss. Dabei ist eines beachtenswert: Denn allein die drohende Ausschlusserfahrung oder schon die drohende soziale Entwertung gehören zu den drastischsten Stresseinwirkungen, die wir überhaupt kennen. Aus der Experimentalpsychologie weiß man, dass diese Form von sozialem Stress unsere Stresshormone am verlässlichsten aktiviert, was sich anhand der Ausschüttung des Stresshormons Cortisol präzise messen lässt. Unser Organismus wird dabei regelrecht in Alarmbereitschaft versetzt, wobei dies sozusagen der biologische Prozess hinter der subjektiv empfundenen Einsamkeit ist. Wie krass derart sozialer Stress tatsächlich auf uns wirken kann, wissen wir von praktizierten Torturen: Wenn die soziale Isolation bis über die Schmerzgrenze getrieben und als brutales Mittel von Haft und Folter eingesetzt wird.
Einsamkeit als etwas Schmerzähnliches überhaupt empfinden zu können, ist jedoch grundsätzlich sehr wichtig. Das Gefühl nämlich macht uns erst zu sozialen Wesen, dient gleichzeitig aber auch als biologisches Alarmsignal – von der Evolution weise als solches eingerichtet. Denn empfundene Einsamkeit zeigt uns auch an, wenn die soziale Unterstützung, die wir brauchen, quasi unter einen kritischen Grenzwert fällt. So muss es schon dem archaischen Urmensch ergangen sein: Beim Kampf ums Überleben spürte er instinktiv, dass er im Nachteil war, wenn er nicht mehr in ausreichender Weise am Kooperationssystem der Sippe teilhatte.
Im Prinzip ist dies heute nicht anders. Einfach gesagt: Gemeinsam sind wir stark, allein können wir nur verlieren.
Das Gefühl von Einsamkeit ist also auch ein biologisches Mangelsignal und unter den Menschen so unterschiedlich ausgeprägt wie etwa das Hungergefühl. Interessanterweise werden durch Einsamkeits- und Ausschlusserfahrungen in erster Linie eben jene Hirnregionen wie etwa der präfrontale Kortex aktiviert, die auch von Schmerzreizen getriggert werden.
Paradoxerweise müssen wir allerdings tatsächlich andere Menschen um uns herum haben, um uns einsam fühlen zu können. Einsamkeit ist Folge einer Differenz: Nur wenn es überhaupt eine Gruppe gibt, und ein Mensch den Eindruck hat, nicht zu dieser Gruppe zu gehören, kann das Gefühl von Einsamkeit aufkeimen. Erich Kästner beschreibt es in seinem Gedicht »Kleines Solo« von 1947 so: »Einsam bist du sehr alleine – und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.«
Hier liegt nun auch der elementare Unterschied zum Alleinsein. Wenn wir ohne jemand anderen über die Felder oder durch den Wald spazieren, fühlen wir uns in der Regel nicht einsam, sondern genießen es wahrscheinlich sogar. In diesem Fall ist Alleinsein Luxus. Die soziale Einsamkeit hingegen entsteht immer im Bezug zu anderen Menschen – und ihren giftigen Stachel erhält sie am Ende vor allem dadurch, dass wir das Gefühl haben, diesen Zustand nicht ohne weiteres aus eigener Kraft verändern zu können.
Aus sozialpsychologischer Sicht ist dies eine zentrale Erkenntnis. Allerdings auch eine Tatsache, die zu einer der häufigsten Fehlannahmen führt, wenn es um Einsamkeit geht: Nämlich, dass vor allem alte Menschen von ihr betroffen sind.
Das jedoch ist grundfalsch. Vielmehr gibt es relevante Altersgipfel, die wir bereits in früheren Lebensabschnitten erleben. Die Arbeiten von Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum, die auf Auswertungen des sozioökonomischen Panels in Deutschland beruhen, zeigen, dass der erste große Altersgipfel etwa mit 30 Jahren erreicht wird. Einen zweiten etwas kleineren Peak gibt es mit 60. Anders als vermutet, nehmen die Einsamkeitswerte bei Menschen mit 75 hingegen nur minimal zu, um dann jenseits der 80 allerdings relativ steil wieder anzusteigen.
Die Gründe für Einsamkeit unterscheiden sich dabei je nach Lebensalter. Im hohen Alter liegt es vor allem oft am Verlust des Lebenspartners sowie an gesundheitlichen Einschränkungen, dass die Menschen sich