Alex Conrad

Tod auf der Finca


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noch lebende nahe Verwandte war, … aber nur der Pflichtteil? „Verdammter Sturkopf!“

      Nachdem er seine Schutzkleidung angezogen hatte, ging er in die Arbeitshalle und füllte die ersten Rollcontainer mit den Schweineteilen zur Weiterverarbeitung, die an andere Betriebe geliefert wurden. Was übrig blieb, warf er in den Container mit den Schlachtabfällen.

      War man kein Zuchtschwein, durfte man zwar mindestens zwei Jahre durch die Eichenwälder toben, landete aber am Ende hier und die Keulen erfreuten irgendwann die Zungen der Gourmets, die sich diese Schinken leisten konnten. Nur zu Weihnachten kamen die Angestellten in den Genuss, wenn zur Betriebsfeier einige der Keulen für alle aufgeschnitten wurden.

      Fast alles vom Schwein wurde genutzt und so blieben nur wenige nicht brauchbare Innereien und Knochen übrig. Selbst Nase und Ohren fanden Verwendung in Eintöpfen. Roberto warf einen der übrig gebliebenen Schädel samt Gebiss mit nur noch wenig Fleisch daran zu den Schlacht­abfällen. Daraus ließ sich nun wirklich nichts mehr machen, besonders seit auch ganze Köpfe nicht mehr für die rustikale Bauernküche gefragt waren. Selbst Auskochen brachte keinen guten Ertrag an Knochenmark und die Futterfabriken wollten sie ebenfalls nicht zu Mehl verarbeiten, da es zu umständlich war, vorher die Zähne alle zu ziehen. Obwohl den kastrierten Ebern die Hauer erst gar nicht richtig wuchsen und falls doch, sie abgeschliffen wurden, waren die Schneidezähne nicht minder gefährlich. Roberto musste aufpassen, sich nicht an ihnen zu verletzen.

      „Du stierst auf die Zähne, als überlegst du, sie für die Zahnfee unters Kopfkissen zu packen.“ Sein Kollege Felipe stieß ihn lachend in die Seite.

      „Ich bin nur vorsichtig.“ Mit Schwung schob er den Rollcontainer zum Ausgang.

      „Na, du bist heute ja wieder mal gut gelaunt.“ Felipe ging neben ihm. „Du brauchst echt mal bald eine Freundin, dann bist du morgens zwar müde, aber dafür lassen dich die Hormone grinsen.“

      Roberto blieb stehen. „Du willst mich bloß wieder verkuppeln. Das ging schon das letzte Mal schief.“

      „Ich gebe ja zu, ich wusste nicht, dass Elena so schräg drauf ist und einen Kontrollwahn hat.“

      „Das war nicht nur ein Wahn. Die ist besessen, so wie die mich gestalkt hat. Aber das Schlimmste war, wie sie mir diese Spionageapp auf mein Handy geladen hat, damit sie immer wusste, wo ich bin.“ Er schüttelte den Kopf. „Dann lieber allein.“ Elena hatte ihn mit einem Küchenmesser in der Hand erwartet, weil sie dachte, er würde sich im Rotlichtviertel von Zafra mit Frauen amüsieren. Dabei hatte er nur im Hinterzimmer gezockt. Gerade so hatte er es ihr aus der Hand reißen können. Auf die Polizei hatte er verzichtet, sonst hätte er erklären müssen, wo er gewesen war. Glücklicherweise war Elena kurz danach von ihrer Firma nach Madrid versetzt worden.

      Felipe legte die Hand auf seine Schulter. „Ich mein ja nur.“ Er sah auf die Uhr. „Mittagspause.“

      Zwei

      Nachdenklich strich Carmen mit der flachen Hand über ihren Schreibtisch.

      „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass dich noch immer was bedrückt.“ Joan sah sie eindringlich an. „Komm, lass es raus. Viel Gelegenheit wirst du nicht mehr haben, mir dein Herz auszuschütten.“ Er nickte ihr aufmunternd zu.

      Sie schluckte. Sollte sie Joan ausgerechnet jetzt, wo sie nur noch wenige Tage hier mit ihm zusammenarbeiten würde, von dem Angriff erzählen? Bisher hatte sie sich nicht wieder verfolgt gefühlt und bald wäre ihr Arbeitsfeld Inca und sie weg aus Palma. „Du wirst mir fehlen.“

      „Du mir auch“, sagte Joan gepresst. „Aber das ist nicht alles, oder?“

      Carmen überlegte kurz, wie sie ihre Gedanken am besten in Worte fassen konnte. „Weißt du, zuerst einmal gibt es da wohl einen Kollegen in Inca, der auch gut an der Reihe hätte sein können, und ich habe Angst, dass er sich übergangen fühlt und …“

      „Stopp“, unterbrach Joan. „Du hast dich weder aktiv dorthin beworben noch irgendetwas getan, damit das passiert. Dein neuer Kollege wird das bestimmt ähnlich sehen oder hat er ein Bewerbungsschreiben eingereicht?“

      „Soweit ich weiß nicht.“

      „Na siehst du.“ Joan rollte mit seinem Bürostuhl vor ihren Tisch. „Was noch?“

      „Die langen Dienstwege.“ Erneut strich Carmen mit der Handfläche über die Tischplatte. „Du weißt, wie eng wir hier mit dem jeweiligen Ermittlungsrichter zusammenarbeiten und wie unbürokratisch in den meisten Fällen unsere Anfragen an die Rechtsmedizin, die Ballistiker oder Informatiker bearbeitet werden. Wir haben mehr oder weniger freie Hand, es reicht ein Anruf, insbesondere wenn Julián die Koordination leitet. Da bekommen wir fast immer sofort das Okay und er kümmert sich, dass der Ermittlungsrichter alle erforderlichen Anordnungen unterschreibt, und …“ Carmen sah Joan fest an. Sie wollte nicht wie ein jammerndes Häufchen Elend wirken, wo sie gerade so einen Karrieresprung machte, doch mittlerweile überwogen die Bedenken ihre Freude.

      „Du weißt aber schon, dass …“, setzte Joan an, als das Telefon klingelte und er abhob.

      Carmen kannte fast jeden seiner Gesichtsausdrücke und das energisch vorgeschobene Kinn mit leicht gespitzten Lippen, während er zuhörte, deutete auf einen Einsatz hin. Sie stand auf und ging bereits an die Tür.

      „Sind gleich da.“ Joan legte den Hörer auf.

      Carmen hielt ihm die Tür auf. „Was gibt es?“

      „Schreie aus einer Wohnung. Die Nachbarin hat angerufen. Kollegen der Eingreiftruppe sind auch schon unterwegs.“

      Gemeinsam rannten sie die Treppen hinunter in die Tiefgarage zum Einsatzwagen und zogen die Schutz­westen an.

      Joan setzte sich ans Steuer und während er aus der Garage fuhr, rief Carmen die Leitstelle an und bat um die Telefonnummer der Nachbarin, die angerufen hatte.

      Auf Joans Fahrkünste konnte sie sich verlassen, weshalb Carmen sich auf das Telefonat konzentrierte.

      Als die Nachbarin ans Telefon ging, stellte sich Carmen kurz vor und fragte: „Wie oft gab es bisher nebenan Streit?“

      „In der letzten Zeit wurde es schon häufiger mal laut, aber nicht so wie heute.“

      „Was ist anders?“

      „Immer wieder Schreie, aber dann einer, so schrill, das habe ich noch nie gehört.“

      Carmens Kopf wurde gegen die Scheibe gedrückt, als Joan rasant um eine Kurve fuhr. Sie konzentrierte sich erneut. „Und dann?“

      „Ja, danach war alles leiser.“

      „Noch eine Frage: Leben Kinder in der Wohnung?“

      „Nein.“

      „Danke“, sagte Carmen hastig, als Joan abrupt bremste und auf dem Bürgersteig vor einem sechsstöckigen Haus parkte. Vor ihnen standen bereits zwei Einsatzwagen der uniformierten Kollegen, die sich gerade am Hauseingang besprachen.

      „Und?“, fragte Joan, während sie beide zu den Kollegen liefen.

      „Zum Glück keine Kinder.“ Carmen wandte sich an den Brigadeführer. „Die Nachbarin rief an, als es einen besonders schrillen Schrei gab, danach wurde zwar immer noch geschrien, aber leiser. Wir gehen vom Mann und seiner Frau aus. Von ihr stammte wahrscheinlich der Schrei.“

      „Alle Szenarien sind denkbar“, ergänzte Joan.

      Der Brigadeführer nickte und ging mit vier Männern voran ins Treppenhaus. Weitere Männer und Frauen aus dem zweiten Einsatzwagen liefen um das Haus, um mögliche Fluchtwege abzusperren.

      Der vorsorglich gerufene Rettungswagen hielt auf der Straße.

      Vor der Wohnungstür im dritten Stock blieben Carmen und Joan seitlich mit der Waffe im Anschlag stehen.

      Neben dem Brigadeführer hatten zwei Kollegen mit einem Rammbock vor der Tür Stellung bezogen.

      Der Brigadeführer hämmerte an die Tür. „Aufmachen,