Angela L. Forster

Heidejagd


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Marlene ist es eine geschäftliche Beziehung?“

      „Richtig. Mit der eingebildeten Ziege will keiner etwas zu tun haben.“

      „Sie ist eine hübsche junge Frau. Ihr müssten doch die Jungen der Schule hinterherlaufen.“

      „Ja, das tun sie, aber nur für eine Nacht, wenn Sie verstehen.“

      Inka nickte. „Herr Büchner, noch eine Frage: Was sagt Ihnen das Zeichen der Wolfsangel?“

      „Die Wolfsangel“, Gero schnaufte und zog die Mundwinkel nach unten, „im Geschichtsunterricht hörte ich von dem Zeichen. Es wurde in der Forstwirtschaft eingesetzt. Es war ein Jagdgerät, um Wölfe zu fangen, und ist heutzutage noch auf einigen Gemeindewappen zu finden. Als Fanggerät ist es allerdings inzwischen verboten.“

      „Ging es im Unterricht auch um Fabelwesen? Werwölfe vielleicht?“

      Gero Büchner lachte auf. „Nein. Obwohl wir natürlich den ,Werwolf‘ von Hermann Löns gelesen haben. Aber da geht es ja nur um das Bauernvolk, das sich gegen die Braunschweiger, Dänen und wen immer zusammen­rottete, sich blutige Kämpfe lieferten und sich dann Werwölfe nannte, nicht um so einen Shadow-Quatsch, der im Fernsehen ausgestrahlt wird.“

      „Und die NS-Wolfsangel, wie ist es damit?“

      „Mit denen hab ich nichts am Hut“, wehrte Büchner ab.

      „Mit denen?“

      Gero biss sich auf die Unterlippe, als hätte er ausgeplaudert, was er eigentlich verschweigen wollte. „Mit den durchgedrehten Braunen, die sich einmal im Monat im Wald in der alten Höhle treffen und was weiß ich ausbaldowern“, setzte er schulterzuckend nach.

      „Wo ist diese Höhle?“, wollte Mark mit dem Stift auf seinem handgroßen Spiralblock wissen.

      „In der Kronsbergheide.“

      „Weiter“, drängelte Mark.

      „Wenn Sie aus Lüneburg kommen, finden Sie sie am Ortseingang von Amelinghausen. Sie liegt nahe der B 209, dort, wo der Sagenhafte-Hühnen-Weg beginnt.“

      „Das ist schräg gegenüber dem Lopausee“, sagte Inka, dann: „Sie kennen die Mitglieder?“

      „Es sind vier in meinem Alter. Sie nennen sich Schwarze Sonne. Einer von ihnen lässt seinen Wagen bei uns reparieren. Und wie ich schon sagte: Kundengespräche sind ein Muss. Als er beim dritten Mal hier auftauchte, rückte er so langsam mit der Sprache raus. Erst dachte ich, er will mich anbaggern, aber dann … irgendwie kamen wir auf die Flüchtlingsflut zu sprechen und ich hörte gleich, dass er auf der nationalsozialistischen Schiene schwimmt. Als ich ihm sagte, dass wir uns auch nicht anders verhalten und vor dem Krieg fliehen würden, hörte er mit der braunen Scheiße gar nicht mehr auf. Unglaublich, mit welchem Müll der mich zugetextet hat.“ Gero warf Inka einen entschuldigenden Blick zu. „Ich wollte ihn nicht vergraulen, auch wir brauchen unsere Kunden, und wenn sich schlechter Service rumspricht …“ Gero Büchner zuckte die Schultern. „Das nächste Treffen ist übermorgen, das hat er mir noch gesagt und sogar gewartet, bis ich es auf meinem Kalender angestrichen hab.“ Gero wies mit dem Daumen über seine Schulter zu einem Kalender. Mit einem roten Kreis war der morgige Tag umrundet.

      Inka holte tief Luft und warf Mark einen genervten Blick zu. Das fehlte ihnen noch, dass Fritz recht behielt und sie es jetzt mit einer nationalsozialistischen Gruppe zu tun kriegten.

      „Ich hab ihn labern lassen und gesagt, ich würde mir seine Einladung durch den Kopf gehen lassen“, sagte Gero. Er beugte den Oberkörper vor und kramte in der untersten Schublade seines Schreibtisches. „Ich habe doch … hier“, sagte er und reichte Inka einen Handzettel über den Schreibtisch. Ein einfacher Papierflyer, auf dem eine rot gezeichnete Wegbeschreibung abgebildet war.

      „Wie heißt Ihr Kunde?“

      Gero Büchner druckste. „Jens Pohl.“

      „Und er wohnt?“ Mark sah Gero auffordernd an.

      „Muss ich nachsehen“, sagte Gero und tippte auf der Computertastatur. „Er wohnt in Oldendorf Luhe Totenstatt in der Straße Auf der Kalten Hude Nummer 2.“

      „Kennen Sie auch die Namen der anderen drei Mitglieder der Gruppe? Wo sie wohnen, arbeiten?“

      „Nein, tut mir leid, da kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen. Aber bitte, wenn Sie meinen Namen nicht erwähnen würden. Getratsche ist nicht gut fürs Geschäft.“

      „Das lässt sich machen. Für heute war es das. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, vielleicht ein Name“, Inka hob den Handzettel in die Luft, „dann rufen Sie uns bitte an.“ Sie schob ihre Karte neben das grüne Wähltelefon und stand auf.

      Hanna hatte einen deftigen Wurzeleintopf mit Schweinefleisch für ihre Feriengäste gekocht. Als Inka mit Mark auf dem Sundermöhrenhof ankam, war der Zwölflitertopf fast ausgelöffelt. Gerade noch zwei kleine Schöpfkellen füllten ihre Teller. Der Hof, den Hanna und Tim von ihren Eltern übernommen und zu einem Biohof mit Tierhaltung und Ferienzimmern umgebaut hatten, war beständig über das Jahr ausgebucht. Ob Sommer oder Winter trudelten Buchungen von Singles, Ehepaaren und Familien ein. Hanna und Tim schnürten für ihre Gäste ein Rundum-sorglos-Paket, das auch das Mittagessen einschloss. Niemand widerstand Hannas Suppen und Eintöpfen, dem frisch gebackenen Brot und den Brötchen, die immer auf dem Tisch bereitstanden. Jetzt lag nur noch ein verlassenes Dinkelbrötchen in einem der drei Brotkörbe, die auf dem langen Küchentisch in der gemütlichen Bauernhausküche standen.

      „Warum hast du nicht angerufen, dass ihr zum Essen kommen wollt, Schwesterlein?“, fragte Hanna lächelnd, während sie Mark umarmte.

      „Ich hab es vergessen und gehofft, es ist noch Eintopf für hungrige Heidepolizisten übrig.“

      „Nur ein kläglicher Rest. Aber wenn ihr noch hungrig seid – ich hab für morgen vorgekocht. Was haltet ihr von einem Linseneintopf mit Hackbällchen als Nachschlag?“

      „Her damit, Hanna“, antwortete Mark, als er den letzten Löffel der Möhrensuppe in den Mund gesteckt hatte.

      Hanna grinste und hob den Deckel des zweiten Topfes hoch, dem sofort ein unverkennbarer Geruch entströmte. Sie füllte Inka und Mark die Teller und schnitt eine dicke Scheibe Hirsebrot von einem Laib, der groß und rund wie ein Suppenteller war.

      „Noch warm, nicht dass ihr Bauchschmerzen bekommt“, sagte sie und stellte ein Schälchen Kräuter­schmalz auf den Tisch. „Es sollte bis zum Abendbrot abkühlen, aber zwei schwer arbeitende Polizisten kann ich nicht hungern lassen.“ Hanna lachte. „Habt ihr euren Täter gefasst?“

      „Nein, bisher nicht“, murmelte Mark mit vollem Mund.

      „Wer ist das Opfer?“

      „Ein Biolehrer aus dem Amelinghausener Gymnasium. Er lag am Lopausee auf der Holzbrücke.“ Mark hangelte nach dem rosa Keramikschwein auf der Fensterbank und fütterte es mit einem Zehneuroschein.

      „Danke schön, Mark, aber das sollst du nicht. Für euch beide ist jederzeit etwas zu essen da, falls ihr rechtzeitig kommt“, sagte Hanna lächelnd. „Aber jetzt erzählt. Was ist passiert?“ Hanna rutschte ihrer Schwester und Mark gegenüber auf einen der hölzernen Küchenstühle vor der Eckbank am Fenster.

      „Hanna!“, fuhr Inka auf.

      „Ja. Du darfst nichts sagen, weiß schon. Aber wenn ich morgens um zwei Uhr aus dem Schlaf gerissen werde, dann …“

      Als wäre sein Stichwort gefallen, stand Tim in der Küchentür. „Na, wen haben wir denn da? Der Hanstedter Herr Kommissar und meine liebreizende Schwägerin Inka, die dienstbeflissene Hauptkommissarin. Habt ihr schon wieder Feierabend?“, fragte er mit einer weißen Gummischürze um den Bauch, die mit roten Sprenkeln erahnen ließ, von welcher Arbeit er gerade kam.

      „Grüß dich, Tim. Nein, wir haben keinen Feierabend. Wie du siehst, sind wir beim Mittag. Unser Dienst endet um sechzehn Uhr.“

      Tim drehte den Kopf zur Küchenuhr, deren