Angela L. Forster

Heidejagd


Скачать книгу

eine schreckliche Sache, aber wir haben damit nichts zu tun“, meinte sie erklärend schnell hinzufügen zu müssen. Zur Tatzeit des Mordes seien alle Familienmitglieder im Hause gewesen und hätten ferngesehen. Dies könne das Hausmädchen bestätigen, das spät am Abend eine geplante Feier mit Freunden für den nächsten Tag vorbereitet hatte.

      „Und wer könnte mit der Tat etwas zu tun haben?“, fragte Inka.

      Simone Westmann-Hof zuckte die Schultern. „Seine Frau vielleicht. Vielleicht gab es Streit und sie hat ihn umgebracht. Wie wurde er eigentlich umgebracht?“

      „Darüber können wir, solange die Ermittlungen laufen, keine Auskunft geben. Doch zurück auf die Ehestreitigkeiten der Familie Schubert. Kamen diese öfter vor? Worum ging es?“

      „Man hört nur, was im Dorf getratscht wird.“

      „Tratsch interessiert uns brennend“, sagte Inka und sah Simone Westmann-Hof auffordernd an.

      „Ja, wie es ist, wenn man nur an der Karriere arbeitet. Man lebt sich auseinander und das Zwischenmenschliche, die Ehe, bleibt auf der Strecke.“ Simone warf ihrem Mann einen kurzen Seitenblick zu. „Angeblich wollten sie ein Kind, aber es hat wohl nicht geklappt, hört man.“ Die Ärztin hob die Hände in die Luft. Ihre rot lackierten Fingernägel glänzten im Licht des riesigen Kronleuchters. „Nicht dass ich Gerüchte in die Welt setze. Jedenfalls soll das die Ehe zerfressen haben, auch weil Susanne an Depressionen leidet. Aber wie gesagt, es ist Getratsche. Was daran wahr ist …?“ Wieder hob sie die Hände.

      „Erzählt das Dorfgetratsche auch, wer die neue Frau an Hendrik Schuberts Seite war, Frau Doktor?“

      Simone Westmann-Hof zuckte kaum wesentlich die Schultern und rückte ihren Blazer zurecht. „Sie soll eine aus dem Nachbardorf sein. Ich weiß nicht, wie sie heißt.“

      „Anna Weiler“, mischte sich Marlene ins Gespräch.

      „Du kennst sie?“, fragte Torben Westermann-Hof. „Woher?“, kam er Inka mit der Frage zuvor.

      „Sie ist Benedikts Mutter. Benny geht in meine Klasse. Seine Mutter ist die Besitzerin der Windparkfirma Kobarski & Weiler.“ Marlene setzte sich neben ihren Vater.

      „Ach was, darüber las ich letzte Woche im Hanstedter Heideblatt“, setzte Simone Westmann-Hof erklärend hinzu, während sie Inka einen schnellen Blick schenkte. „Ich las, die Kobarski & Weiler wollen einen Windpark in Schwindebeck gleich hinter der Luhe in Richtung Rehrhof entstehen lassen. Aber die Errichtung wurde vorerst abgelehnt, weil der Park an das Naturschutzgebiet und die Schwindequelle reicht. Außerdem würden viele Tiere gestört werden, die die Quelle auch im Winter als Wasserzugang nutzen, weil sie nie zufriert. Jetzt soll eine andere Stelle für einen Park gefunden werden“, erläuterte sie weiter.

      „Ja, das stimmt, Mutter. Benny aus meiner Klasse hat es auch erwähnt, auch das mit der Quelle. Sie ist die zweitwasserreichste Quelle Niedersachsens nach der im Harz. War spannend zuzuhören.“

      „Wie schön, dass du dich noch für die Schule interessierst“, warf Torben Westmann-Hof mit tadelndem Ton ein.

      Marlene schenkte ihrem Vater ein bissiges Lächeln. „Ja“, sagte sie daraufhin, „wie gut, dass dein monatlich abgedrücktes Schulgeld nicht ganz umsonst ist.“

      Marlene strahlte die reine Unschuld aus, doch hatte es faustdick hinter den Ohren. Aber immerhin untermauerte sie mit Anna Weilers Namen Direktor Buschs Angabe.

      „Haben Sie die Adresse, Marlene?“, fragte Inka schnell, das Gespräch zwischen Vater und Tochter entschärfend.

      „Nicht genau. Benny kommt meist mit dem Auto zur Schule. Er wohnt in Soderstorf. Aber es gibt eine Telefonliste, die kann ich Ihnen geben.“

      „Na, dann machen wir uns mal auf den Weg zu Marlenes Freund und fahren danach zu Anna Weiler, oder was denkst du?“, fragte Inka, als sie in Marks Wagen stieg.

      Mark nickte wortlos und startete den Siebensitzer. Konzentriert lenkte er aus der Einfahrt der Villa in der Straße Am Kirchwald auf die Bergstraße und gab Gas, während Inka die Rufnummer des Büros wählte. Frauke Bartels, ihre Kollegin aus der Zentrale, hob ab.

      „Inka hier. Frauke, sei so lieb und such uns die Telefonnummer und die Adresse, privat wie geschäftlich, einer Anna Weiler heraus. Sie soll das Unternehmen Kobarski & Weiler betreiben, die in Schwindebeck einen neuen Windpark bauen wollen. Und ich will wissen, wer Kobarski ist.“

      „Ach, die kenn ich“, sagte Frauke. Im Hintergrund hörte Inka die Computertastatur klappern. Frauke Bartels konnte beides, sich unterhalten und im Zehnfingersystem Berichte tippen. „Neulich“, erzählte sie weiter, „war ich mit Schatzi auf einer Feier, da wurde der Park für alle umliegenden Anwohner vorgestellt. Ist ja ordentlich Wald, den die plattmachen müssten. Erst gab es Sekt, edle Schnittchen und reichlich fröhlichen Small Talk. Als es dann zur Sache ging und der Park vorgestellt wurde, wurde es laut und hitzig. Einige Anwohner protestierten, andere schimpften und verließen die Feier. Die Weiler hatte Mühe, die Gäste zu beruhigen. Was jetzt aus ihrem geplanten Projekt wird, keine Ahnung. Schatzi und ich sind jedenfalls dagegen, obwohl er einen Auftrag für ihre Elektrik in der Firma übernommen hat. Aber einen Windpark bei uns in der schönen Heide errichten, auch wenn er nur an das Naturschutzgebiet und die Schwindequelle angrenzt, geht gar nicht. Was das für die Tiere und die Natur in der Heide bedeutet. Undenkbar.“

      „Okay, Hirsch und Heidekraut stehen erst einmal nicht auf unserer Liste. Hast du die Firmenadresse für uns?“, stoppte Inka, bevor Frauke ihr energisches Veto fortsetzte.

      „Schon da. Privat wohnt die Weiler in Soderstorf im Moorweg 110 a. Die Firma ist in Schwindebeck in der Steinbecker Straße 255 ansässig. Kobarski ist ein Rüdiger Kobarski, wohnhaft in Bad Schwartau. Seine Adresse und die Telefonnummern Weiler und Kobarski schick ich dir auf dein Handy. Aber bevor du auflegst, Inka: Von Amselfeld soll ich euch ausrichten, dass in der Mordnacht kein Taxi zum See gefahren ist. Und Fridolin hat mitgeteilt, dass auf Hendrik Schuberts zwanzigtausend Euro eine Menge Fingerabdrücke sind. Einige sind von Schubert, andere kann er nicht zuordnen.“

      Nadine Büchner, eine blonde dünne Frau, öffnete die Tür eines Endreihenhauses in Amelinghausen. Hinter ihr tauchte ein ebenso dünner Mann mit grauen kurzen Haaren auf.

      „Bitte kommen Sie herein“, sagte Frank Büchner, als Inka und Mark sich vorgestellt hatten. „Was ist mit unserem Sohn? Ist ihm etwas zugestoßen? Sind Sie hier, weil …?“ Er wechselte einen besorgten Blick mit seiner Frau.

      „Nein, wir wollen nur mit ihm sprechen. Wir möchten ihn zu seiner Beziehung mit Marlene Westmann-Hof befragen“, begann Mark.

      Nadine und Frank Büchner atmeten gleichzeitig auf.

      „Entschuldigung, wir dachten schon …“, begann Frank Büchner, dann: „Eine Beziehung zu Marlene? Die beiden haben keine Beziehung. Wenn Sie das von Marlene haben – die spinnt. Gero bringt der verwöhnten Göre Mathematik bei, das ist alles. Seit drei Jahren verdient er sich etwas nebenbei. Wenn es da eine andere Beziehung gäbe, wüssten wir es. Marlene fasst er nicht mit der Kneifzange an. Sie ist nicht Geros Typ. Außerdem ist er seit zwei Jahren mit Marie zusammen.“

      „Woher kennen die beiden sich, Marlene und Ihr Sohn?“

      „Ich kenne Torben Westman-Hof“, erwiderte Frank Büchner. „Wir waren zusammen in der Schule. Und bevor Sie fragen, warum er eine riesige Villa und eine Schönheitsklinik sein Eigen nennt und wir nur ein popliges Reihenhaus und eine Autoschlosserei … ich hab mein Studium abgebrochen und das gemacht, was ich wollte. Aber uns geht es gut.“ Er legte den Arm um die Taille seiner Frau. „Vor ein paar Jahren, kurz vor Weihnachten, da kam er zu uns in die Werkstatt“, berichtete Büchner weiter. „Obwohl er und wir in einem Ort wohnen, haben Torben und ich uns über fünfzehn Jahre nicht gesehen. Gestört hat es mich nicht, in der Schule waren wir auch nicht die besten Freunde. Wie auch immer. Ich wollte noch etwas aus der Werkstatt holen und dann über die Feiertage abschließen, da rollte er mit seinem protzigen Amischlitten auf den Hof. Erst hab ich ihn gar nicht erkannt, so braun gebrannt, wie er aussah, als käme er gerade