reisen doch immer wieder ab“, beruhigte Oma Pusch ihre Freundin. „Da haben wir doch auch schon so manches erlebt.“
„Es sind aber Friesen, Ostfriesen sogar, von Thunum oder so und nun unterhalten die das gesamte Süderriff mit ihren vier Rotzlöffeln“, schimpfte Rita. „Du weißt, ich habe wirklich nichts gegen Kinder, aber diese haben weder eine gute Kinderstube noch irgendwelches Benehmen. Keine Rücksicht auf ältere Menschen – weder jung noch alt. Beschämend ist das!“ Sie hatte sich richtig in Rage geredet.
„Da wird uns schon was einfallen“, versprach Oma Pusch.
Es klopfte. Vorsichtig öffnete Hinnerk die Tür. Er wollte sowieso gerade gehen, und mit den Behörden hatte er nichts am Hut. Also schlüpfte er gleich durch den Spalt und winkte nur noch einmal.
Der Finger hatte jetzt Vorrang. Anschließend würde Oma Pusch sich die Sache im Süderriff mal mit eigenen Augen ansehen. Schließlich hatte sie selbst fünf Kinder und 13 Enkel. Da wusste man Bescheid, wie der Hase lief.
Strandsucher
Zu ihrem Leidwesen mussten die Polizeibeamten Krischan Hansen und Martin Hinrichsen die Arbeiten am Strand überwachen. Schon die Absperrung war ein Fiasko gewesen, weil sie dauernd angesprochen worden waren und doch nichts sagen durften. Auf der Deichkrone standen nun die ganzen Gaffer. Sie glotzten auf die Bagger und Trecker. Dabei ersannen sie die tollsten Geschichten und tratschten sie weiter.
Manche hatten das Glück gehabt, eine Bank ergattern zu können. Andere hatten sich von ihren Campingplätzen Stühle nach oben geholt. Martin dachte bei sich, dass diese Leute einen Sockenschuss haben mussten, denn es passierte rein gar nichts, außer dass schwere Maschinen den Sand umgruben. Ihm war es ein Rätsel, wie man so eine belanglose Tätigkeit stundenlang beobachten konnte. Er selbst fand den ganzen Mist stinklangweilig und darüber hinaus höchst überflüssig, denn wenn man ein bisschen nachdachte, sprach alles dagegen, dass sie hier noch Leichenteile finden würden. Aber er war ja kein Kommissar und hatte nichts zu sagen. Wenn doch der Kopf so auffällig aus dem Sand geguckt und Oma Pusch dieser Finger in ihrem Kühlschrank so ins Auge gestochen hatte, musste man davon ausgehen, dass weitere Leichenteile ebenso sichtbar verborgen lagen. Er musste grinsen. Das hatte er schön gesagt. Es widersprach sich vom Wortlaut her, aber es war wirklich wahr. Jemand versteckte etwas so, damit man es fand, aber nicht so, dass es sofort auffiel. Hinnerk hatte ihm unlängst von dem ekeligen Kunstnagelfinger erzählt. Privat natürlich und außerhalb des Dienstes. Der alte Fischer war da ein bisschen komisch, aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil, denn unter der Uniform war Martin Hinrichsen schließlich auch nur ein Mensch.
Oma Pusch hätte ihn und seine Theorie verstanden und ganz bestimmt unterstützt, wenn sie denn etwas von dem Schädel mitbekommen hatte. Wunderbarerweise war sie nirgends zu sehen gewesen. Auch jetzt nicht. Hinrichsen überlegte, ob ihn das stutzig machen sollte. Normalerweise war sie immer mit von der Partie. Das kam ihm komisch vor. Er konnte ja nicht ahnen, wie recht er hatte.
Fokke findet was
In der Rechtsmedizin gingen die umfangreichen Untersuchungen weiter. Enno stützte Fokkes These mittlerweile, dass es sich eher um einen Frauenkopf handelte, auch wenn er beileibe nicht so aussah. Die Augenhöhlen waren beim Skelett rundlicher, das Kinn spitzer.
Nun, die DNA-Untersuchung würde schließlich zutage fördern, mit welchem Geschlecht sie es hier zu tun hatten.
Inzwischen war auch der Finger eingetroffen, der vom Umfang her durchaus zu dem Schädel passen konnte. Aber Enno hatte schon Pferde … und das direkt vor der Apotheke. Er glaubte nichts, wenn es nicht bewiesen war und zwar schwarz auf weiß. Überlegen und fachsimpeln konnte man viel. Doch die Gerätschaften brachten immer Licht ins Dunkel.
Momentan brüteten Enno und Fokke über zwei milchigen Verschattungen im Röntgenbild, die sie sich nicht erklären konnten. Plötzlich hatte der angehende Rechtsmediziner eine Idee.
„Mensch, du, Enno, vielleicht hatte sie Watte oder so viskoelastische Ohrstöpsel drin“, überlegte er. Für ihn war es eindeutig eine Sie. „Die könnten reingerutscht sein.“
Enno schmunzelte. Das gefiel ihm, wie der Jüngere so voll bei der Sache war. „Dann empfehle ich dir, doch einfach mal nachzugucken.“
„Hab ich ehrlich gesagt schon“, gab Fokke zu, „ich war ja neugierig, aber bis dahin, wo ich mit dem Otoskop hingucken kann, da war nichts. Leider.“
„Dann müssen wir halt tiefer eindringen“, schlug Enno vor.
„Ja, dazu kommen wir doch gleich. Mir ist noch was aufgefallen. Guck mal, hier ist ein Hautdefekt, so als ob jemand etwas ,Tapete‘ herausgeschnitten hätte, also quasi nur die obere Schicht. Das sind doch eindeutig Messerspuren.“
„Tatkräftig“, wunderte sich nun auch Enno. „War vielleicht ein zu eindeutiges Erkennungsmerkmal. Eine große Warze, ein Muttermal, eine Narbe oder ein Tattoo, anhand derer die Person zweifelsfrei sofort zu identifizieren gewesen wäre. Ich könnte mir vorstellen, dass das nicht unbedingt im Sinne des Mörders war. Der will doch sicher Zeit gewinnen.“
„Ich will jetzt noch mal mit einer Sonde oder einem scharfen Löffel in den Ohren nachschauen. Vielleicht werde ich doch noch fündig, ohne den ganzen Kopf aufzusägen“, hoffte Fokke. „Wobei das auch ganz interessant wäre.“
Dazu schwieg Enno lieber. Etwas weniger Sägen und Sauerei kam ihm sehr entgegen.
„Probier mal, mein Junge. Wenn man geschickt ist, kann man mit dem richtigen Besteck weit kommen.“
Und Fokke prokelte, zuerst mit der Sonde. „Ich glaube, es tut sich was“, freute er sich. Dann nahm er den Löffel und förderte ein weißes Etwas zutage, das nicht mehr ganz sauber war.
„Was zur Hölle ist das?“, fragte Enno und starrte auf das Ding.
„Waschen wir es doch ab“, schlug Fokke vor, „dann wissen wir mehr.“
Ein paar Sekunden später und etwas Blut und Ohrenschmalz weniger lag sie vor ihnen. Beide Ärzte standen ratlos vor dieser Entdeckung.
„Wenn ich es nicht für äußerst unwahrscheinlich halten würde, müsste ich sagen, das wäre von der Form her eine Bohne“, kam es perplex von Enno.
„Sehe ich auch so“, stimmte Fokke zu. „Wir schneiden sie gleich mal auf. Warte. Puh, die ist hart wie Kruppstahl, aber, ja, innen mehlig, ich kann die Haut abziehen. Moment, ich rieche noch daran. In der Tat eine weiße Bohne.“
Enno prustete. „So was hatte ich auch noch nicht. Da kannste alt werden wie ein Gaul, und trotzdem erlebst du immer noch was Neues. Mir kam da gerade eine ganz fiese Idee, aber die behalte ich lieber für mich.“
„Wenn du schon davon anfängst, will ich es jetzt auch wissen“, beschwerte sich Fokke.
„Sag aber bloß niemandem was“, bat Enno. „Ich dachte gerade an einen Eintopf wegen des Gemüses und weil man das doch mit Schweinsköpfen, also, du weißt schon.“
„Das musst du nicht weiter ausführen“, sagte Fokke, der wirklich hart gesotten war, aber die Vorstellung nicht weiter vertiefen wollte.
„Bohnen. Was soll uns das sagen?“, überlegte Enno. „Es muss doch einen Grund haben, warum jemand so etwas macht.“
„Wer weiß, was wir noch in der Nase entdecken“, überlegte Fokke, „oder im Mund.“
„Auf dem Röntgenbild war aber nichts weiter zu vermuten, oder?“, erkundigte sich Enno und ließ sich das Bild herüberreichen.
„Nee, da ist weiter nix zu sehen“, erklärte Fokke. „Ich werde also auf die Suche gehen.“
„Fein“, sagte Enno. Er hatte so einen Schmacht auf ein Rollmopsbrötchen. Außerdem vermisste er seine Lotti. Sie hätte bestimmt eine Idee. Er überlegte, ob er sich mal verpieseln konnte. Der Junge würde den Rest schon allein erledigen.
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