Siegfried Mau

Geschichten zum Einschlafen, Wachwerden und für Zwischendurch


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sein Volk eigentlich nur sehen könnten, wenn sich ihre Körper durch das Licht des Vollmondes aufgeladen hätten. Ansonsten seien sie unsichtbar. Seinem Volk wäre ein großes Unglück widerfahren. In dem alten Baum, in dem sie schon seit über einhundertfünfzig Jahren lebten, sei der Blitz eingeschlagen und nun wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der Baum umfallen und ihre Wohnung zerstört würde. Ihre Untermieter, die Hornissen, die ebenfalls in dem alten Baum ihr Nest hatten und sie tagsüber beschützten, wären schon ausgezogen. Er sei einer der Kundschafter, die nach einer neuen Wohnung schauen sollten. Das kleine Kerlchen tat mir sehr leid und so versprach ich, ihm zu helfen.

      Also verbrachte ich dann die folgende Woche in meinem Werkkeller und konstruierte dieses große Märchenschloss aus Holz. Es ist in der Mitte geteilt.

      Den vorderen Teil bewohnen meine Bienen und im hinterem Teil, da waren seinerzeit die Mondelfen eingezogen.

      Damals hatte ich Waldus versprechen müssen, dass ich, solange ich kann, dafür Sorge trage, dass sein Volk nie von einem Fremden gestört wird.«

      Dann meinte Opa zu mir, dass er jetzt aber alt wäre und jemanden benötige, der sich um seine Bienen, die auch das Volk der Mondelfen am Tage beschützten, kümmern müsste, damit sein Versprechen weiterhin einlöst würde.

      Dann meinte er noch, dass ich ein reines Herz hätte und er glaubte, dass ich alles dort so liebte wie er und seine Sache gut weiterführen würde. Darum hätten meine Oma und er beschlossen, dass ich dort alles fortführen sollte, wenn sie einmal nicht mehr da wären.

      Natürlich hätte er das auch mit Waldus besprochen. Gerade wäre eine Vollmondnacht und dann könne ich ihn auch kennenlernen. Der wollte das Versprechen natürlich auch aus meinem Munde hören und mich gern kennenlernen. Wir mussten noch einige Zeit warten, bis sich Waldus Körper vom Mondlicht aufgeladen hatte, um ihn zu erkennen. Solange erklärte mir Opa schon einmal alles, was ich über Bienen wissen musste und alles, was er vom Volk der nördlichen Mondelfen wusste. Das war ziemlich viel.

      Dann war es so weit. Wir konnten Waldus erkennen und wir führten ein langes Gespräch mit ihm.

      Natürlich erfüllte ich das Versprechen, welches ich Waldus und meinem Opa gegeben hatte.

      Noch heute beschützen meine Bienen das Zuhause der Mondelfen und niemand kennt dieses Geheimnis.

      Aber heute bin ich selbst alt und bald werde ich das Geheimnis an meine Tochter weitergeben.

      Ich bin sicher, sie wird alles so machen, wie es schon mein Opa und ich gemacht haben.

      Der abgewrackte Klabautermann

      Letzten Samstag waren wir bei Onkel Ulf. Er hat seinen Renteneinstieg oder – wie er selbst sagt – seine Abwrackung gefeiert. Onkel Ulf hat als Kapitän auf einem Frachtschiff gearbeitet. Jetzt wurde das alte Frachtschiff abgewrackt und er direkt mit. »Abwracken« bedeutet in der Seefahrt, dass ein Schiff stillgelegt und dann in seine Einzelteile zerlegt wird, weil es schwer beschädigt oder einfach schon zu alt ist.

      Natürlich wird Onkel Ulf nicht stillgelegt und schon gar nicht zerlegt. Das scheint also nur so ein Ausspruch unter Seefahrern zu sein.

      Leicht wird das Onkel Ulf nicht fallen. Er kann es sich noch gar nicht vorstellen, wie es sein wird, immer nur auf dem Festland zu leben.

      Schließlich fuhr er schon seit dem fünfzehnten Lebensjahr zur See.

      Damals hatte er als junger Matrose auf einem Schiff angeheuert, welches Menschen und Güter von Bremerhaven nach New York in Amerika brachte.

      »Mit den heutigen Kreuzfahrtschiffen hatte das noch nicht viel zu tun. Das war damals harte Arbeit für uns Matrosen und man hatte viele Aufgaben an Bord so eines Schiffes. Damals mussten wir jungen Matrosen noch alles machen, vom Reinigen der Gästekajüten, also der Kabinen, in denen die Gäste schliefen, bis Kartoffelschälen in der Schiffskombüse, also der Schiffsküche. Ich glaube, ich habe in meinem Leben schon so einen Berg Kartoffeln geschält, der so hoch ist wie das Matterhorn.«

      Diese Aufgaben schienen ihm aber doch gefallen zu haben, denn er konnte sich bald überhaupt nicht mehr vorstellen, irgendetwas anderes zu machen. Später bildete er sich dann zum Kapitän weiter und er verbrachte quasi sein ganzes Leben auf dem Meer.

      Jetzt ist er fünfundsechzig Jahre alt und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er auch noch zwei oder drei weitere Jahre auf den Weltmeeren geschippert. Weil aber jetzt sein Schiff außer Dienst gestellt wurde, da wäre es genug für ihn. Sich jetzt noch für zwei oder drei Jahre auf ein neues Schiff einzustellen, das wollte er nicht.

      Jetzt hat er sich dieses alte Kapitänshaus an der Küste gekauft, mit einem riesigen Fenster, von dem man direkt über den Strand auf das Meer schauen konnte.

      »So haben wir wenigstens ein wenig das Gefühl, dass wir noch auf der Brücke, also dem Steuerhaus eines Schiffes stehen«, meinte er zu mir.

      »Onkel Ulf, du meinst doch bestimmt nicht wir, sondern ich, oder? Ich dachte, du würdest hier alleine in dem schönen Kapitänshaus wohnen. Hast du mir da irgendetwas verschwiegen? Ziehst du hier vielleicht mit einer Frau ein, von der wir alle nichts wissen? Man sagt doch, dass ein Kapitän in jedem Hafen eine Braut habe. Zieht so eine Braut jetzt zu dir?«

      Onkel Ulf lachte aus vollem Herzen. »Nein, nein, eine Seemannsbraut zieht nun wirklich nicht zu mir, lass mal erst einmal den ganzen Schi Schi hier vorbei sein und alle Landratten von Bord sein, äh ich meine mein Haus verlassen haben, dann erzähle ich dir von dem Geheimnis. Das braucht hier nicht die ganze Bagage zu wissen.«

      Mit Bagage meinte er wohl all seine Familienangehörigen, was auch so ein Seemannsspruch zu sein schien.

      Nun ja, die Feier war ganz in Ordnung. Es gab wirklich leckere Appetithappen, die extra noch als Abschiedsgeschenk von dem Smutje zubereitet wurden, der die letzten Jahre mit Onkel Ulf auf dem gleichen Schiff angeheuert hatte. Ach ja, ein Smutje ist ein Schiffskoch und »angeheuert« bedeutet, dass jemand angefangen hat, auf einem Schiff zu arbeiten. Aber solche Wörter kennt ja sicher jeder.

      Natürlich wurden auch eine Menge Reden gehalten, kleine Geschenke, die meistens mit der Seefahrt zu tun hatten, überreicht und auch der eine oder andere Klönschnack gehalten, unterm Strich, es war wie bei fast allen Renteneintrittsfeiern oder wie Onkel Ulf sagte, Abwrackfeiern.

      Schließlich waren dann auch die letzten Gäste gegangen und ich wollte anfangen, aufzuräumen. Aber Onkel Ulf meinte, lass mal mien seute Deern, so nannte er mich schon als ich noch ein Baby war und so viel wie mein süßes Mädchen, also meine Süße bedeutet. Er hätte ja jetzt genug Zeit, aufzuräumen.

      Wir zwei würden jetzt erst einmal mit einem Pott Friesentee auf die Terrasse gehen, uns auf die alte Bank setzen und uns ein wenig die Nordseebrise um die Nase wehen lassen. So nannte er den leichten Wind, welcher gerade wehte. Außerdem wolle er mir ja erzählen, wen er mit wir meinte.

      Als wir dann mit dem Pott heißen Tee auf der Terrasse saßen, fing er an, zu erzählen.

      »Hör gut zu, mien Deern und erzähle es niemandem weiter. Du weißt doch, auf jedem größeren Schiff wohnt auch ein Klabautermann. Das ist ein Schiffskobold oder manche sagen auch Schiffsgeist zu ihm.

      Wie alle Kobolde spukt er auf den Schiffen herum, spielt den Matrosen auch manchmal einen Streich und hat Spaß daran, herumzupoltern.

      Aber eigentlich beschützen Kobolde ja die Menschen, bei denen sie wohnen und so ist das auch bei Klabautermännern. Ich habe mich mal gefragt, warum sie so viel herumpoltern. Dann bin ich aber zu folgender Lösung gekommen: Wenn ein Kapitän einsam auf seiner Brücke steht und stundenlang in die Ferne schaut, dann kann er schon einmal müde werden und ein wenig hinter dem Steuerrad einnicken. Wenn es dann plötzlich auf dem Schiff poltert, dann zuckt er zusammen und ist erst einmal wieder hellwach. So verhindern die Klabautermänner, dass es zu irgendwelchen Kollisionen mit anderen Schiffen kommt oder man auf einer Untiefe, also einer Sandbank, aufläuft.

      Ganz