Bernd Leix

Hackschnitzel


Скачать книгу

mehr, wo das fein gehäckselte Holz herkam.

      »Das kann ich ihnen ganz genau sagen«, zeigte der Ingenieur mit der ausgestreckten Hand nach Osten in die Nacht. »Da draußen an dem Feldweg rüber zum Hardtwald. Alte Pappeln haben wir dort fällen lassen. Die waren schon ziemlich abgängig und wenn einem der vielen Radfahrer ein Ast auf den Kopf gefallen wäre – sie können sich ja gar nicht ausmalen, was da wieder für Schadenersatzforderungen auf unsere Stadt …«

      Ziemlich genervt unterbrach ihn der Kommissar mit gerunzelter Stirn: »Ist ja schön, dass sie die Verkehrssicherungspflicht so ernst nehmen, aber diese alten Bäume, die wurden gehäckselt?«

      »Nein, natürlich nicht die ganzen Stämme, nur die Kronen, die dicken Äste und die feinen Zweige. Irgendwie müssen wir das Zeug ja entsorgen. Fürchterlich teuer alles. Sie glauben nicht, was die Stunde bei so einem Großhacker kostet.«

      Irgendwie konnte sich Lindt des Gedankens nicht erwehren, dass Jammern in der Führungsetage der Kommunen wohl zur Hauptaufgabe gehören musste, doch der Mann war nicht zu bremsen: »Geht alles an ein Heizkraftwerk, da bekommen wir wenigstens noch ein paar Euro dafür.«

      Das wollte der Kommissar genau wissen: »Wieso wurde dann gerade dieses Material hier nicht zu Strom und Wärme?«

      »Bisher ging alles ins Kraftwerk. Fünf große Abrollbehälter waren das vorgestern. Aber vor dem Feiertag sind wir nicht mehr ganz fertig geworden und so gab es heute früh noch mal einen Container voll. Den haben unsere Bauhofmitarbeiter gleich für Eigenbedarf abgezweigt. Da brauchen wir immer mal wieder solches Material. Als Mulchdecke gegen das Unkraut in den Grünanlagen oder um kleine Fußwege damit anzulegen … ja und auch als Fallschutz auf den Spielplätzen.«

      Der Ingenieur verzichtete glücklicherweise darauf, abermals über hohe Kosten zu jammern, weshalb Lindt gleich nachlegte: »Dieser Container muss natürlich auch untersucht werden, wo steht der denn?«

      »Der Container? Der wird wohl im Bauhof stehen … aber denken sie etwa, dass da noch mehr … bisher hörte ich nur von einem gefundenen Finger?«

      »Leider müssen wir davon ausgehen, dass hier nicht nur Holz kleingehackt wurde.«

      Sie traten dichter heran. Mittlerweile hatte die Spurensicherung schon einige weitere Klarsichtbeutel mit unförmigen, rötlich–schmierigen Gewebsfetzen gefüllt.

      Der Tiefbauer war so schockiert von dem Anblick und auch von dem Gedanken an mögliche Zusammenhänge, dass er verstummte.

      »Das würde ja heißen …«, begann er dann doch wieder.

      »Ganz genau«, bestätigte Lindt, »und deshalb müssen wir auch noch diese Hackmaschine und den Ort, wo gearbeitet wurde, ganz genau unter die Lupe nehmen.«

      Der Vorstellung, dass nicht nur Astwerk, sondern gleich ein ganzer Mensch im Einzugstrichter eines Großhäckslers verschwunden sein könnte, machte dem Mann sichtlich zu schaffen. Das Ganze auch noch im Zusammenhang mit städtischen Arbeiten in seinem Verantwortungsbereich, dieser Gedanke missfiel ihm sehr. Allerdings setzte der Kommissar gleich noch eines drauf: »Sagen Sie, fehlt eigentlich jemand in ihrer schönen Stadt?«

      Jetzt hatte es dem sonst so selbstsicheren Bauingenieur endgültig die Sprache verschlagen. Er wandte sich ab und verließ kopfschüttelnd den taghell erleuchteten Spielplatz.

      »Ich … ich kümmere mich darum …« drehte er sich nochmals um und schlüpfte schnell unter der Absperrung durch.

      Hauptkommissar Lindt informierte seine beiden Mitarbeiter, die sich bisher mit den Beamten des örtlichen Polizeipostens unterhalten hatten.

      »Das könnte passen, Chef«, wurde Jan Sternberg ganz eifrig. »Der Kollege hier hat mir gerade was von einem aufgebrochenen Lastwagen erzählt. Mit dem Fall war er heute früh beschäftigt.«

      Interessiert hörten die Kommissare sich den Bericht des Postenführers an. Der Fahrer eines über den Dreikönigstag am Waldrand abgestellten LKWs mit aufgebautem Großhacker hatte kurz nach acht Uhr am Morgen Anzeige erstattet. Das Führerhaus des Fahrzeuges war aufgebrochen und zu diesem Zweck ein kleines Seitenfenster eingeschlagen worden. Merkwürdigerweise hatte aber nichts gefehlt und es gab auch keine weiteren Schäden. Allerdings musste jemand in der Kabine gewesen sein, denn einige Gegenstände lagen nicht mehr am gewohnten Platz.

      Eine Streifenwagenbesatzung hatte sich der Sache angenommen, Fotos gemacht und versprochen, sich um die Angelegenheit zu kümmern.

      »Wird wohl kaum aufgeklärt, so was kommt hier laufend vor«, meinte der Polizist. »Wir waren uns ziemlich sicher, dass da einer mal in einem LKW pennen wollte.«

      »Oder vielleicht auch zwei«, grinste Jan Sternberg.

      »Nun sieht das Ganze ja wohl etwas anders aus«, überlegte sein Vorgesetzter und beauftragte die Spurensicherung, auch den abgestellten Container, den Großhacker und dessen Arbeitsort genauestens zu untersuchen.

      »Allerdings am besten bei Tageslicht«, überlegte er und gab Anweisung, die Örtlichkeiten so lange zu sperren und zu überwachen.

      »Wenn auch der letzte Container wie geplant im Heizkraftwerk gelandet wäre«, sinnierte Oskar Lindt, als er am späten Abend zu Hause seiner Frau vom abrupten Ende der Kegelpartie berichtete, »dann hätte die Entsorgung dieses Menschen optimal geklappt.«

      »Scheußlich«, antwortete Carla und schüttelte sich angewidert, »das mag ich mir nicht einmal vorstellen. Erst häckseln und dann verbrennen. Ob der oder die denn schon tot war, als …?«

      »Hoffentlich kann uns das Labor da weiterhelfen«, meinte der Kommissar zweifelnd, »und außerdem gibt es bisher überhaupt keinen aktuellen Vermisstenfall. Kurz gesagt, wir wissen noch gar nichts.«

      Er ahnte auch nicht, dass irgendwo in einer abgeschlossenen Garage im Rheinstettener Stadtteil Forchheim ein für den Winterurlaub fertig gepackter, zweisitziger Mercedes SLK stand. Die Carving-Ski auf der Beifahrerseite ließen keinen Platz für einen Mitfahrer, doch leider wartete der schicke schwarze Sportflitzer auch vergebens auf seinen Fahrer.

      2

      Nach einer unruhigen Nacht war der Kommissar früh auf den Beinen. Schon kurz nach sieben erschien er im Büro und konnte es kaum erwarten, dass es hell wurde, um die verschiedenen Lokalitäten bei Tageslicht zu betrachten.

      »Wenn es kein Unfall war«, überlegte Paul Wellmann auf der Fahrt, »dann haben wir es mit einem fast perfekten Verbrechen zu tun.«

      »Rückstandsfreie Beseitigung im Heizkraftwerk, ähnlich wie im Säurebad, mal was Neues.«

      »Fast hätte es geklappt. Leider hat der Bauhof dazwischengefunkt.«

      Die außergewöhnliche, winterliche Wärmeperiode schien kein Ende nehmen zu wollen.

      »Jetzt haben wir Januar und stehen in der leichten Sommerjacke hier rum«, schüttelte Wellmann den Kopf.

      Lindt gab ihm recht: »Normalerweise frieren wir um diese Jahreszeit wie die Schneider.«

      Er erinnerte sich an verschiedene ›Winter-Fälle‹, wo die Ermittlungen im Freien von schneidendem Ostwind, klirrendem Raureif oder dichtem Schneetreiben begleitet worden waren.

      Regen machte ihm nichts aus. Mit Schirm, wasserdichter Jacke und festen Schuhen konnte man sich gut dagegen schützen, aber Kälte mochte er nicht. Zumindest nicht ohne ausreichende Bewegung. Stundenlange Außentermine mit der Staatsanwaltschaft bei Minusgraden und knöcheltiefem Neuschnee …

      Er erinnerte sich und war gleichzeitig wieder dankbar, dass im Moment diese absolut untypische Wetterlage vorherrschte. Die Haselsträucher am Waldrand und die Weidenkätzchen gaben schon kräftig stäubend ihre gelben Pollenladungen in die laue Luft ab und die Knospen der Schlehdornen waren so dick geschwollen, dass es schien, als wollten die weißen Blüten jeden Moment hervorbrechen.

      ›Frühling im Januar‹, dachte der Kommissar und sog mit einem ausgedehnten Rundumblick die Örtlichkeit in sich auf. Den strauchbewachsenen Waldrand auf der südlichen