Bernd Leix

Hackschnitzel


Скачать книгу

      Der Polizist des örtlichen Postens, der die Anzeige wegen des aufgebrochenen Lastwagens bearbeitete, übernahm die weiteren Erklärungen. Er berichtete, wo das Fahrzeug gestanden hatte, daneben der große Haufen mit grobem Astwerk, der noch zu zerkleinern war und dahinter der lange Abrollcontainer, in den die Holzspäne geblasen wurden.

      »Ein extra Motor, nur für den schwedischen Hacker, hat mir der Fahrer erklärt, 500 PS, mehr als die LKW-Maschine hat, aber damit können auch Stämme bis 60 Zentimeter Durchmesser völlig mühelos zerkleinert werden.« Die Faszination für die Großtechnik war dem Beamten am Gesicht abzulesen.

      »Wo finden wir das Fahrzeug denn im Moment?«, wollte Lindt wissen.

      »Um zehn gestern Morgen war der hier fertig und ist dann nach Muggensturm weitergefahren. Dort am Kieswerk hat er noch den ganzen Tag gehackt. Der Firmenchef ist natürlich ziemlich sauer, weil wir seine Maschine am Abend von den Rastatter Kollegen sicherstellen ließen. Kostet immerhin hundert Euro in der Stunde, da kommen die gleich mit Verdienstausfall und drohen mit ihren Anwälten.«

      Lindt nickte. Wie Firmen auf polizeiliche Ermittlungen reagierten war für ihn nichts Neues und trotzdem legte er Wert darauf, dass alle nötigen Untersuchungen mit größter Sorgfalt durchgeführt wurden.

      »Die Kollegen von der SpuSi Rastatt sind sicherlich bereits dort und wir fahren auch gleich hin, aber etwas Zeit brauche ich hier schon noch«, kratzte sich der Kommissar am Hinterkopf und lehnte in aller Ruhe an seinem Dienstwagen, um die erste Pfeife dieses Morgens zu stopfen.

      Es war völlig windstill und so bildete der Rauch des Presstabaks eine regelrechte Nebelwand um Oskar Lindt. Seine Mitarbeiter brauchten den nach nirgendwohin gerichteten, ganz ausdruckslosen Blick des Kommissars nicht weiter zu interpretieren, um zu wissen, dass sie ihren Chef jetzt besser nicht störten. In solchen Situationen bat er immer darum, einige Minuten nicht angesprochen zu werden.

      Das Bild eines Tatorts möglichst vollständig im Kopf zu haben, war seiner Meinung nach die wichtigste Voraussetzung, um sich den Ablauf der Geschehnisse mit allen entscheidenden Einzelheiten vorstellen zu können.

      Der Kommissar entfernte sich von seinen Kollegen, ging ein Stück entlang des Weges, verschwand im Unterholz und machte einen großen Bogen um die eifrig suchenden Techniker der Spurensicherung. Mehrere hundert Meter weiter hinten tauchte er wieder auf, ging im sandigen Ackerboden durch die grünen Halme des schon knöchelhoch aufgekeimten Winterweizens und blieb dazwischen immer wieder stehen.

      Wellmann und Sternberg störten sich nicht an diesem recht unkommunikativen Verhalten ihres Chefs, das man auf den ersten Blick doch für reichlich merkwürdig halten musste. Sie hatten sich schon lange an seine unkonventionellen Methoden gewöhnt, aber auch die Beamten der Schutzpolizei, die den altgedienten Kriminalkommissar nur selten zu Gesicht bekamen, warteten respektvoll bei ihrem Wagen, bis er seinen Rundgang beendet hatte.

      Wer Oskar Lindt war und welche erstaunlichen Erfolge die Jahrzehnte seiner Ermittlungsarbeit zierten, das wusste im Umkreis von Karlsruhe selbst jeder neue Streifenpolizist bereits nach wenigen Wochen.

      »Wir können dann …« Er hatte seinen von reichlichen Pausen unterbrochenen Spaziergang beendet und war wieder bei den Kollegen eingetroffen.

      »Auf jeden Fall ein ungestörter Ort, um mal eben kurz eine Hackmaschine anzuwerfen und einen Menschen in kleinfingerlange Stücke zu zerlegen«, gab Paul Wellmann seine Einschätzung der Lokalität zum Besten und auch Jan Sternberg stimmte ihm zu: »Von der Stadt her nicht einsehbar, auch keine öffentlichen Straßen oder einzelnen Häuser in der Nähe – wenn also nicht gerade ein Bauer mit dem Traktor, ein Radfahrer oder sonst ein Herr ›Zufall‹ daher kommt, ist so eine Leiche hier ruckzuck zerkleinert.«

      »Na dann wollen wir mal hoffen, dass es diesen Herrn ›Zufall‹ tatsächlich gibt und er sich auch noch bei uns meldet«, brummte Lindt, ohne weiter auf die Äußerungen seiner Kollegen einzugehen. Er gab Gas und setzte den weinroten Dienstwagen Richtung Muggensturm in Bewegung.

      Viel zu sehen gab es dort nicht, außer den Kriminaltechnikern der Rastatter Kripo, die sich gründlich mit dem imposanten, dreiachsigen Lastwagen beschäftigten, der auf dem Gelände eines Kieswerks darauf wartete, sein zerstörerisches Werk wieder aufzunehmen. Da das Fahrzeug jetzt im Nachbarlandkreis stand, leisteten die dortigen Kollegen Amtshilfe und übernahmen die Spurensicherung.

      »Wir sind jetzt so weit«, kam einer der Männer im weißen Tyvek-Overall auf die Karlsruher Kriminalisten zu. »Führerhaus und Kran-Kabine können wir schon wieder freigeben. Die Walzen am Einzug, die Schwungscheibe mit den Hackmessern und den Auswurfschacht haben wir auch bearbeitet.«

      »Den Greifer vorne am Kran?«, wollte Lindt wissen und zeigte auf die stählernen Zangen. Der Kollege nickte – »Nichts dran, fertig!« – und gab dem ungeduldig wartenden Maschinisten ein Zeichen, dass er seine Arbeit fortsetzen konnte.

      Das laute Grollen der startenden Motoren ließ jedes weitere Gespräch verstummen. »Bei 500 PS bebt der Boden«, schrie Jan Sternberg seinem Chef ins Ohr. Es dauerte eine Weile bis die Hackerscheibe im Innern der Maschine die nötige Drehzahl erreicht hatte, doch dann brach das lärmende Inferno erst richtig los.

      Mit dem langen Kranausleger wurde ein ganzer Erlenstamm mit sämtlichen Ästen dran von einem seitlichen Stapel aufgehoben und in den stählernen Schlund seiner Maschine geschoben. Die beiden stacheligen Einzugswalzen zerrten den Baum in wenigen Sekunden hinein und mit infernalischem Krach zerhäckselten die scharf geschliffenen Hartmetallmesser das Holz. In hohem Bogen spuckte ein Auswurf die Hackschnitzel in den bereitstehenden Container.

      Während der technikbegeisterte Jan Sternberg mit leuchtenden Augen die gewaltige, schwedische Maschine bei der Arbeit betrachtete, schauten sich Lindt und Wellmann nur gegenseitig an. Jeder wusste, was der andere jetzt dachte. Statt eines Baumstammes sahen sie einen menschlichen Körper zwischen den Stacheln der beiden Walzen verschwinden. Wellmann schüttelte seinen Kopf, wie wenn er dieses schreckliche Bild abschütteln wollte.

      Oskar Lindt biss fester auf das Mundstück seiner Pfeife, wandte sich ab und als sie wieder im Wagen saßen, meinte er nur tonlos: »Hoffentlich war er schon tot!«

      Nach dem möglichen Tatort am Waldrand und der Besichtigung des Großhackers hatten Lindt, Wellmann und Sternberg am späten Vormittag auch noch den großen Stahlcontainer in Augenschein genommen, der im Bauhof der Stadt Rheinstetten abgestellt und noch zu über drei Vierteln mit Holzhackschnitzeln gefüllt war.

      Auch hier waren zwei Beamte der Spurensicherung schon seit dem frühen Morgen am Werk und suchten penibel das gesamte Material durch.

      »Sieht wirklich sehr nach Nadel im Heuhaufen aus«, war der Kommentar von Jan Sternberg gewesen, doch Paul Wellmann hatte verbessert: »Wenn schon, dann Finger im Holzhaufen! Vielleicht taucht ja noch einer auf. Die Gerichtsmedizin würde es uns auf jeden Fall danken, wenn sie nicht nur lauter unförmige Gewebefetzen untersuchen müsste.«

      »Mafia, ganz klar organisierte Kriminalität«, lautete die Einschätzung von Sternberg, als das Dreier-Team gegen Mittag wieder im Karlsruher Polizeipräsidium eingetroffen war, um die bisherigen Fakten zusammenzustellen. »Früher haben die ihre Opfer im Rhein versenkt, aber heute geht es ja viel problemloser. Hacker knacken, kurzschließen, warten bis die Messerscheibe genügend Schwung hat und dann eins-zwei-drei hinein damit.«

      »Irgendwie denke ich dabei an Wilhelm Busch«, musste Oskar Lindt, der am Fenster stand, unwillkürlich lächeln. »Wenn ich mich recht erinnere, war das Ende von Max und Moritz doch ganz ähnlich. Rein in den Trichter, ab durch das Mahlwerk und hinten warteten schon die Gänse auf die Brocken.«

      »Allerdings hatten die Mühlen damals keine 500 PS«, warf Paul Wellmann grinsend ein. »Aber wir könnten uns ja jetzt SOKO Max & Moritz nennen.«

      Lindt stieß dichte Rauchwolken aus und meinte nachdenklich: »Ob auch in unserem Fall ein ›Böser‹ für seine Übeltaten bestraft wurde?«

      »Oder vielleicht waren es ja auch zwei?«

      »Das wird uns die DNA-Analyse wenigstens sagen können, aber wenn der Gen-Code