Bernd Leix

Hackschnitzel


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sind das nur die Fälle aus unserem Landkreis. Vielleicht kam der Mann ja von außerhalb.«

      »Denkst du schon wieder an die Mafia?«, warf Paul Wellmann ein.

      »Ach so, wegen dem schwarzen Jackett meinst du? Aber dann hätten wir auch eine Sonnenbrille finden müssen«, lachte der KTU-Chef.

      »Also bitte, Ludwig, jetzt aber mal wieder den nötigen Ernst bei der Arbeit!«

      »Und wenn er gar nicht vermisst wird?«, überlegte sich unterdessen Jan Sternberg. »Vielleicht lebte er allein, Single, geschieden oder was weiß ich.«

      »Aber am Arbeitsplatz, da müsste doch jemand was merken?«, gab Wellmann zu bedenken.

      »Freiberufler, Künstler, Durchreisender … wer weiß?«

      »Stimmt«, nickte Oskar Lindt. »Da ist alles Mögliche denkbar. Wir müssen einfach die gesamten Spuren und Hinweise abarbeiten. Irgendwo findet sich was. Das ganz perfekte Verbrechen gibt es nicht, davon bin ich fest überzeugt.«

      »Ja, Chef«, gab ihm Sternberg recht. »Hackschnitzel verbrennen im Kraftwerk, das wäre perfekt gewesen.«

      Lindt stimmte zu: »Das heißt wiederum, der oder die Täter hatten vermutlich keine Ahnung, dass das Material für einen Spielplatz gebraucht wurde.« Er besann sich einen Moment. »Oder es war ihnen egal. Vielleicht ging es ja nur darum, eine Leiche so unkenntlich wie möglich zu beseitigen – wer weiß?«

      »Eines haben wir aber noch nicht bedacht«, meldete sich Paul Wellmann wieder zu Wort. »Auch wenn irgendeiner den LKW geknackt hat – um die ganze Maschinerie anzuwerfen, braucht es einiges an technischem Verständnis. Also ich wüsste nicht, wie man so ein Monstrum startet.«

      »Richtig Paul. Wieder ein wichtiger Aspekt, um den Täterkreis einzugrenzen. Vielleicht müssen wir doch noch mal diese Hackerfirma genauer unter die Lupe nehmen. Zumindest aber war es jemand, der sich mit LKWs oder Großgeräten auskannte.«

      »Zudem muss er gewusst haben, dass die Maschine dort arbeitet und …«, Wellmann machte eine Gedankenpause, »… wo sie über den Feiertag geparkt ist.«

      »Und wenn das alles nur ein Zufall war? Vielleicht so: Zwei Männer müssen eine Leiche beseitigen …«

      »Also bitte, Jan, das klingt aber sehr nach einem amerikanischen Billig-Krimi!«

      »Lassen Sie mich doch mal fertig überlegen, Chef. Die wollten im Wald ein Loch graben, kommen aber mitten in der Nacht an diesem Holzhackmaschinchen vorbei und ändern kurz entschlossen ihren Plan. Einer der beiden ist technisch begabt, Baggerfahrer oder so, also Scheibe einschlagen, Maschine anwerfen und ruck-zuck ist die Arbeit erledigt. Längst nicht so ermüdend wie ein Loch auszuheben.«

      »Du schaust einfach zuviel Fernsehen«, meinte Lindt schmunzelnd. »Vor allem die falschen Serien. Zuviel Action, zuwenig Hirn. Ich finde, du solltest dich mal an die Arbeit machen, was deinen Vorschlag mit den Vermissten betrifft. Der hat mir doch wesentlich besser gefallen, als die Theorie von den zwei Männern, die zufällig mit einer Leiche im Kofferraum vorbeikommen.«

      »Aber ganz ausschließen, dass es sich so zugetragen hat, können wir auch nicht«, musste Sternberg doch noch das letzte Wort haben.

      3

      Oskar Lindt spürte, dass es Zeit wurde, sich dem Sachverhalt von einer unkonventionellen Seite zu nähern. Nicht, dass er der KTU, den Pathologen und ihren peniblen Untersuchungen misstraut hätte, aber als kreativer Querdenker, wie ihn ein früherer Polizeipräsident einmal halb bewundernd und halb mit disziplinarrechtlich erhobenem Zeigefinger bezeichnet hatte, fühlte er, dass es einen anderen Zugang, einen anderen Lösungsansatz geben musste.

      Er beschloss die Sandsteinmauern des Präsidiums zu verlassen und auf Außenermittlung zu gehen. So sagte er zumindest. Wellmann und Sternberg kannten diesen Ausdruck aber nur zu gut als Umschreibung für einen ausgedehnten Spaziergang, bei dem ihr Chef alleine sein wollte.

      »Bei dem tollen Wetter …«, begann Jan Sternberg.

      »Ja, genau«, unterbrach ihn Lindt schnell, denn er hatte keine Lust auf Begleitung. »Paul und du, ihr könntet auch raus und euch um die Vermisstenliste kümmern.«

      Er hatte schon oft darüber nachgedacht, aber noch nie eine wirklich passende Erklärung dafür gefunden, warum er manchmal einfach alleine sein musste. Vielleicht, damit er sich voll konzentrieren konnte? Lindt wusste es nicht, doch schon oft war er bei seinen einsamen Spaziergängen plötzlich auf Zusammenhänge gestoßen, die ihn in den Ermittlungen entscheidend vorwärts brachten.

      So wollte er es auch jetzt versuchen und ließ sich in die weichen Sitzpolster seines dunkelroten Citroen XM sinken, den er als Dienstwagen fuhr. Ein unkonventionelles Fahrzeug, gewiss, keines aus der langen Liste der deutschen Behördenwagen und zudem hatte es einmal mehrere Kilo Kokain in den ausgehöhlten Polstern seiner Rückbank versteckt gehabt, aber Lindt liebte den französischen Charme des beschlagnahmten Wagens und seinen unübertroffenen Fahrkomfort. Er war immer noch stolz darauf, dass er den gepflegten Sechszylinder von der polizeieigenen KFZ–Werkstatt ergattern konnte.

      Heute aber schien es so, als wollte das Auto ein Eigenleben entwickeln und wieder seine Heimat ansteuern. Der Kommissar war einfach ohne Ziel losgefahren und irgendwie, er wusste selbst nicht wieso, an der Rheinfähre bei Neuburgweier gelandet. Auf der anderen Seite des breiten Stroms war zwar noch nicht Frankreich, aber bis zur Grenze fehlten nur ein paar Kilometer.

      Lindt blieb am badischen Ufer des Flusses, parkte und nahm den Weg auf dem vorderen Hochwasserdamm. Die ungeheuren Wassermassen, die sich nach Norden wälzten, faszinierten ihn stets aufs Neue und manchmal sorgte ein Frachtschiff für Abwechslung.

      Sand und Kieselsteine knirschten deutlich hörbar unter den Sohlen seiner stabilen braunen Halbschuhe und zügig ausschreitend genoss der Kriminalist das ungewöhnlich warme Wetter, dessen Ende allerdings für den übernächsten Tag vorhergesagt worden war.

      Ab und zu blieb er stehen, schaute auf ein vorbeifahrendes Schiff oder auch nur auf den Strom.

      ›Eine besonders perfide Art, jemanden loszuwerden‹, kam ihm schon nach wenigen hundert Metern das Bild des holzfressenden Großhackers wieder in den Sinn.

      Er wandte seinen Blick hinüber zum Auewald und betrachtete die hohen Pappeln, die ihre unbelaubten, silbergrauen Kronenäste jetzt hoch in den Himmel streckten. Solche oder ganz ähnliche Bäume mussten es auch gewesen sein, die am Tatort gefällt worden waren.

      Der Kommissar stellte sich vor, wie bei den Stämmen mit über einem Meter Durchmesser eine orangefarbene Motorsäge angesetzt wurde. Es war sicherlich ein schweres Gerät und besaß ein silbrig blitzendes Metallschwert, über das die scharf geschliffene Sägekette sauste und sich in das weiche Holz der schnell gewachsenen Bäume fraß. Auch den tropischen Urwaldriesen trachteten die Holzfäller mit derartig monströsen Kettensägen nach dem Leben.

      Ein lauter Achtungsruf ertönte und im Zeitlupentempo neigte sich der dreißig Meter hohe Baum. Im Fallen nahm er Fahrt auf, wurde schneller und schneller und die ausladende Krone zerbarst schließlich mit infernalischem Krachen auf dem Asphalt des Feldweges.

      Lindt rieb sich die Augen, schaute wieder zu den alten Pappeln und freute sich, dass die stolzen Bäume alle noch standen.

      Seine Einbildungskraft hatte ihm einen Streich gespielt. Nein, er war nicht dort, wo der Holzhäcksler vor wenigen Tagen gearbeitet hatte, sondern immer noch einige Kilometer weiter westlich auf dem sonnigen Rheindamm.

      Hatte das Verbrechen etwa direkt mit den Baumfällarbeiten zu tun? Der Kommissar schaute wieder aufs Wasser, begann fast automatisch Tabak in einen Pfeifenkopf zu drücken und grübelte weiter.

      Die Arbeiten waren von der Gärtnergruppe des Städtischen Bauhofs durchgeführt worden. Ein auf Baumpflege spezialisierter Mitarbeiter hatte die Pappeln präzise gefällt, das Nutzholz abgetrennt und die sperrigen Äste etwas kleingesägt.

      So stand es in Paul Wellmanns Notizen von der Ortsbesichtigung.

      Als