Martin Oesch

Tatort Bodensee: Der Fall Winterbergs


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noch exklusiv?«

      »Wenn du auf eine Bestätigung der Polizei oder Staatsanwaltschaft verzichten kannst …«

      Fromm überlegte kurz. Was war das wert? Die Beamten aufscheuchen, auf die Gefahr hin, dass eine Stunde nach der Anfrage eine Medienmitteilung rausging und es alle hatten. Nein: Einmal in zehn Jahren wollte er eine Geschichte für sein Blatt allein. Er drehte sich ein weiteres Mal in seinem Bürostuhl, um etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Mach’s! Ohne Bestätigung. Wenn du der Quelle vertraust, vertrau ich dir.«

      Tschanz war überrascht von seinem Chef. »Ich geh noch schnell für kleine Jungs, hole einen Kaffee und mach mich an die Arbeit.« Fromm war die Reihenfolge zwar zutiefst zuwider. Aber er schwieg. »Uhrenvergleich: 17.13 Uhr. In zwei Stunden treffen wir uns wieder hier. Bereit zur Abnahme!«

      Christina friert

      Tag der Verhaftung

      Natürlich war das für mich ein Schock! Wo denken Sie hin? Robert kam im Wagen mit den Beamten von der Brauerei zurück aufs Schloss. Wortlos ging er an mir und der Haushälterin Monika vorbei nach oben. In der ersten Etage hörte ich eine Tür knallen. Der kleine dicke Kommissar und das dünne Etwas an seiner Seite standen verlegen herum.

      »Können wir Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Ich hätte mich für die blöde Frage ohrfeigen können.

      »Danke. Aber wir hatten bereits das Vergnügen.«

      »Darf ich fragen, was los ist?«

      »Ihr Mann begleitet uns auf den Posten. Haben da noch das eine oder andere zu klären.«

      Da standen wir und schwiegen. So eine Szene sieht man ja häufig in Krimis im Fernsehen. Aber wenn man selber drinsteckt, ist es doch ganz anders. Tausend Gedanken, das sag ich Ihnen. Da ging oben zum Glück endlich die Tür und beendete das Schweigen. Robert kam mit einer Reisetasche in der Hand nach unten. Das war ein komisches Signal. Seit wann reist man zu einer Befragung mit Gepäck?

      »Bereit.« Im Vorbeigehen gab mir Robert einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nickte der Monika zu. Und weg waren die drei. Vielleicht hätte ich da einschreiten müssen. Mit Anwälten drohen, mich vors Auto werfen. Aber der Schock, Sie wissen. Robert war so beherrscht, als hätte ihm jemand den Stecker gezogen. Keine Energie mehr, kein Widerstand. So kannte ich ihn gar nicht.

      Natürlich vermutete ich, dass es etwas mit dem »Ableben« der Kuratorin zu tun hatte. Vielleicht eine Befragung wegen des Geldes, schließlich unterstützte Robert das Projekt monetär großzügig. Aber weshalb die Reisetasche?

      Der 12. Januar war ein kalter, ungemütlicher Wintertag. Und als Robert Conradsberg verließ, schien die Temperatur noch um einige Grade mehr zu fallen. Mich fröstelte. Monika und ich schauten wortlos dem Auto nach, als es gemächlich die Schlosseinfahrt hinunterfuhr. Ich spürte, dass nun ein neues Kapitel in unser aller Leben aufgeschlagen wurde. Darf ich ehrlich zu Ihnen sein? Der Gedanke gefiel mir.

      Fette Schlagzeile

      BRAUEREIKÖNIG VERHAFTET

      Nach langem Feilschen einigten sich Tschanz und Fromm auf die Schlagzeile der morgigen Titelgeschichte. Tschanz wollte erst den Namen »Winterberg« unterbringen. Fromm riet davon ab. Danach flocht er zusätzlich zweimal den Begriff »Unschuldsvermutung« in den Text ein. Natürlich setzte sich Fromm durch und Tschanz leistete ungewöhnlich wenig Widerstand. »Gute Arbeit, Oliver!« Fromm rang sich nach seinem Kompliment noch ein Lächeln ab. »Da bleiben wir jetzt dran, an der Geschichte. Also ich mein: Du bleibst da dran. Exklusiv. Hörst du? Der Winterberg hängt an deinem Haken. Nach dem Artikel ist er geliefert. Der Schlossherr von Conradsberg hinter Schloss und Riegel. Was für eine grandiose Fallhöhe.«

      Tschanz drehte lustlos sein Plastiklöffelchen in der Kaffeebrühe. »Recherchier den aus!« Fromm geriet in Fahrt. »Ich wette, der hat noch mehr Dreck am Stecken. Garantiert!« Da war sie dahin, die Unschuldsvermutung. »Frag Geschäftspartner, ehemalige Angestellte, Geliebte! Dreh jeden Stein um!« Fromm schien nach Jahren der routinierten Lethargie auf der Redaktion einer Lokalzeitung aufzuwachen. Er fühlte sich ein bisschen wie damals, als er mit dem Journalismus begonnen hatte, die Ressourcen noch nicht auf ein Minimum zusammengekürzt waren, es noch Zeit gab, Geschichten zu recherchieren. Heute bestand der Rechercheaufwand großenteils darin, im Internet anderen über die Schulter zu schauen. Der fleißigste Mitarbeiter hieß »copy paste«. Doch jetzt trieben sie für einmal die Sau durch das Dorf. Deshalb irritierte es Fromm, wie wenig Euphorie Tschanz an den Tag legte. »Oder willst du, dass ein anderer die Geschichte weiterverfolgt?«

      »Nein, sicher nicht! Ich mach das. Es ist nur …«, Tschanz suchte offensichtlich nach Worten. »Gustav, ich habe grad auch einen persönlichen Trauerfall zu bewältigen.«

      Chefredaktor Fromm hielt einen Moment inne und schaute irritiert zu seinem Angestellten. »Sag nur, das stimmt, was alle erzählen.«

      »Ja.«

      »Die Amélie und du?«

      »Befreundet.«

      »Eng?«

      Tschanz schwieg.

      »Wie eng?«

      Oliver Tschanz stand auf, verließ das Redaktionsbüro und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Fromm pfiff leise durch seine Zähne, was in etwa mit »verdammt und zugenäht« zu übersetzen war. Er war sich sicher, Tschanz würde nicht allzu lange trauern und schon bald die nächste Schlagzeile im Fall Winterberg liefern.

      Monikas Geständnis

      Ja gut, ganz sauber war das nicht. Aber es wäre ohnehin rausgekommen, eher früher als später. So ein Winterberg verschwindet nicht von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche und niemand merkt’s. Und für mich sind 100 Franken viel Geld. Genau: die Augenzeugen-Hotline des Anzeigers. »Sehen Sie etwas, was alle interessiert? Werden Sie Leser-Reporter! Telefonieren und kassieren.«

      Wissen Sie, ich werde anständig bezahlt von den Winterbergs. Zweimal im Jahr mach ich kurz Ferien und fahre nach Hause, nach Altötting. Ich habe dort noch einen jüngeren Bruder, der den Hof meiner Eltern übernommen hat. Den besuche ich und kann dort umsonst wohnen. Den Hunderter bekommt er das nächste Mal, weil essen tu ich auch immer gratis. Höchste Zeit, ihm was zu spendieren. Ich bin nämlich ein guter Mensch, im Herzen.

      Deshalb habe ich kein schlechtes Gewissen. Das ist doch kein Verrat, das ist, wie soll ich sagen: Monetarisierung von Wissen. Und glauben Sie mir, ich habe lange genug zugeschaut und geschwiegen. Da hat sich ein gewisser Nachholbedarf gebildet, angestaut, wenn Sie wissen, was ich meine. Außerdem habe ich dem Winterberg ja nicht geschadet damit, oder? In die Schwierigkeiten hat der sich schließlich selbst gebracht, Häuptling Silberlocke, wie wir Angestellten ihn halb scherzhaft, halb bewundernd hinter vorgehaltener Hand nennen. »Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht«, das passt doch super zu einem Brauereikönig? Der Journalist am Telefon war übrigens sehr freundlich und hat hoch und heilig versprochen, dass niemand meinen Namen erfährt, auch nicht sein Chef. Der Quellenschutz sei eines der höchsten Güter und so. Ich glaub dem Herrn Tschanz vom Anzeiger. Darum war ich auch einverstanden, mich einmal mit ihm zu treffen, in den nächsten Tagen.

      Es wird gerichtet

      Fünf Tage nach dem Mord

      »Mein Mandant äußert sich nicht weiter zum Tötungsdelikt Cohen.« Bevor der Winterberg vor Gericht eine Szene macht, wollte Sebastian Hess Zeit gewinnen und gleichzeitig die Veranstaltung so kurz wie möglich halten. Gertrud Hofstetter, die zuständige Haftrichterin, schaute über den Rand ihrer Lesebrille. Erst auf Winterberg, der schweigend auf den Boden starrte, dann zu Hess. »Nun gut, wie Sie meinen.« Hofstetter sah sich kurz die Akten durch und fuhr fort: »Wenn ich die Sachlage richtig überblicke, bestreitet Robert Winterberg nicht, am fraglichen Abend …«, sie konsultierte kurz eines der Blätter, die vor ihr ausgebreitet lagen, »… am Donnerstag, dem 10. Januar 2019, im Kunstmuseum Kreuzlingen Amélie Cohen getroffen zu haben. Das beweisen im Übrigen auch die Bilder der Überwachungskamera, die im Eingangsbereich