und Krieg geraten, aber zusammen bilden sie den ganzen natürlichen Menschen. Betrachten wir die Ziffer 8 mit ihrer Doppelgestalt als Lemniskate, bekommen wir ein Gespür für diese Verbindung des Gegensätzlichen.
Zeitlich gesehen ist mit der 8 alle Entwicklung vollendet und umfasst deren Totalität. Wir sprechen von «acht Tagen», wenn wir eine abgeschlossene Woche bezeichnen – hier wird Zeit zum vollendeten Zeit- «Raum». Zugleich kann aber auch Neues eröffnet werden: Am «achten Schöpfungstag» wird aus der vollendeten väterlichen Schöpfung durch die Erlösungstat Christi eine neue geboren. Zu deren Entwicklung gehört auch der «achtgliedrige Pfad» Buddhas: die Gesamtheit des rechten irdischen Tuns zur Vervollkommnung des Menschen.
Das Achteck wirkt in sich geschlossen und kommt der Kreisform schon nahe. Im Sakralbau spielt es eine große Rolle. Man denke an den Felsendom in Jerusalem mit seiner wechselhaften Geschichte, jenen Schnittpunkt der drei großen monotheistischen Religionen. Das Tor der irdischen Geburt, wo die Leiblichkeit vollendet und bereit ist, damit ein Geistwesen in sie einziehen kann als in seinen «Tempel», wird auch im Christentum mit der Acht verbunden: Taufkapellen im Namen Christi und der Auferstehung als Vollendung der irdischen Leiblichkeit sind in der Regel Achtecke, wie beispielsweise das herrliche Baptisterium in Florenz mit seinen kosmischen Mosaiken. Viele Bauten der Templer sind oktogonal, und schließlich beruht die Vorstellung, die sich Albrecht von Scharfenberg in seinem «Jüngeren Titurel» vom Gralstempel macht, auf oktogonalen Formen.
In der «Doppelzwei» oder der potenzierten Zwei haben wir die Gesamtheit der Elementarzustände und Ganzheit der Naturreiche, in der «Doppelvier» oder Acht die Krönung dieser Naturentwicklung im menschlichen Leib als dem Tempel des Geistes. Geometrisch ergibt sich der Kubus als einander gegenüberliegende Vieren im irdischen Raum. Wir werden später, im Zusammenhang mit dem Gral, noch auf die Figur des Würfels zu sprechen kommen. Mit der «Doppelacht», der potenzierten Vier, kommen wir nun noch einen Schritt tiefer in das Wesen des Leiblichen. Dieses neue Ganze ist nicht mehr Ergebnis natürlicher Entwicklung, hier steht der individuelle Menschengeist nun in der Entscheidung, Herr im eigenen Haus zu werden. Dies will der achtgliedrige Pfad, der zur Ausbildung der sechzehnblättrigen Lotusblume führt: zur Herrschaft des Geistes über den Leib.5 Dem steht gegenüber, was «die sechzehn Wege des Verderbens»6 genannt wurde: die Herrschaft des Leibes über die Seele durch die Macht der Instinkte, die Kapitulation der Menschlichkeit vor den Kräften der tierischen Natur und damit der sukzessive Verlust aller Entwicklungsmöglichkeiten. «Es gibt sechzehn Gruppen menschlicher Instinkte und Leidenschaften und so gibt es auch sechzehn Tiergruppen.»7 Unter anderem in den Vorträgen zum Lukas-Evangelium hat Rudolf Steiner auf die Bedeutung des achtgliedrigen Pfades hingewiesen: «Heute ist die Menschheit darauf angewiesen, nach und nach diesen achtgliedrigen Pfad geistig-seelisch sich anzueignen … Sie ist so weit gediehen, wie sie gediehen ist in der Entwickelung der sechzehnblättrigen Lotusblume, die eines der ersten Organe ist, deren sich die Menschen in der Zukunft bedienen werden. Wenn aber dieses Organ entwickelt sein wird, dann wird eine gewisse Herrschaft des Seelisch-Geistigen über das Physische eingetreten sein.»8
Die Begegnung der beiden Kulturkreise, des Orients und des Okzidents, kann in konstruktiver und in destruktiver Form geschehen. In den heranrückenden Truppen Friedebrants gegen die acht Tore auf der einen Seite und den Heeren Isenharts bei der Belagerung der acht Tore auf der anderen Seite haben wir es mit einer destruktiven Doppelung zu tun. Durch sechzehn Tore kann jetzt das Verderben eindringen. Der Zerstörung und der physischen Gewalt, symbolisiert durch das Wappen der Gegner, den durchstochenen Ritter, versucht Belakane sich durch eine Anbindung an das Geistige zu erwehren, was in ihrem Wappen, der erhobenen Schwurhand, zum Ausdruck kommt. Mit dem Verlust Isenharts ist das geistige Band aber zerrissen, die Seele ist führungslos. Der Konflikt wäre unlösbar und müsste unweigerlich ins Verderben führen, träte nicht Gachmuret an die Stelle Isenharts. Diese geistige Nachfolge wird – allerdings erst im Nachhinein und in durchaus fragwürdigem Zusammenhang – bildhaft symbolisch durch die Übernahme des diamantenen Helms, des «Adamas», ausgedrückt.
Diamant und Bocksblut
Nach seinem sieghaften Kampf tritt Gachmuret ein gewaltiges Erbe an. Er gewinnt nicht nur das Land Zazamanc durch die Ehe mit der Königin, er wird auch Herr über das Reich Isenharts, das er als Lehen vergibt. Als Zeichen besonderer Ehrerbietung wird ihm sogar dessen Rüstung zugesprochen, die der Schotte Friedebrant für seinen Vetter in Verwahrung hat. «Auf Erden gab es nichts vergleichbar Gutes (ûf erde niht sô guotes was)», heißt es an späterer Stelle.9 Das Besondere an ihr ist der Helm: ein «Adamas», ein diamantener Helm, der seinen Träger unverwundbar macht. Die für das Licht des Kosmos durchlässige, edle Substanz ist zugleich unüberwindbarer Schutz gegen alle irdisch-materiellen Anfechtungen. Hätte Isenhart seine Rüstung nicht im Übermut abgelegt, um Belakane gefällig zu sein, hätte ihn nicht der Tod ereilen können. Es liegt nahe, in dem «Adamas» nicht nur den härtesten Edelstein Diamant zu sehen, sondern auch eine Anspielung auf den Namen des Urmenschen und dessen ursprüngliche kosmische Geistverbundenheit.
Als Gegenstück zum Diamanthelm können wir die aus einem Rubin gefertigte Krone der Königin ansehen. Verstehen wir hier den Rubin im Sinne des Prologs als die wahre innere Schönheit der Seele, so sehen wir, wie dieses Edelste der menschlichen Seele dem Haupt zugeordnet ist und als Zeichen der Würde getragen wird. Damit korreliert der Adamas, dessen lichte Klarheit jede Tat begleitet, durch dessen Reinheit und Festigkeit («stæte gedanken») das kosmische Sternenlicht hindurchfunkelt und der menschlichen Seele den rechten Weg weist. Egoistischer Übermut und geistiger Hochmut korrumpieren diese Verbindung, wodurch das kosmische Denken erstirbt. Jetzt steht die Seele allein und ohne Schutz. Man hat viel darüber gerätselt, was man unter dem Namen «Belakane» verstehen könnte. Naheliegend ist in unserem Zusammenhang eine Wortbildung mit dem französischen bzw. romanischen Wortstamm mit «bel», das bedeutet «schön», und was das «kane» betrifft, ist es durchaus denkbar, dass Wolfram auf «kone» anspielt, was mittelhochdeutsch «Gattin, Ehefrau» heißt. Dann ist «Belakane» durchaus sachgemäß als die «schöne Ehefrau» zu verstehen, und somit wäre vom Namen her auch angedeutet, dass sie nicht allein, ohne die andere Hälfte zu denken ist.
Der Sucher aus dem Abendland, der Mensch aus Anschaue, tritt die Erbschaft der Weisheitskräfte des Morgenlandes an und begabt sie mit neuen, frischen Lebenskräften. Die Farbe, die Wolfram zur Charakterisierung Gachmurets bevorzugt, ist Grün, die Farbe des Lebens. «Noch grüner als ein Smaragd war all sein Reitzeug, mit dem Glanz von Achmardi. Das ist ein Seidenstoff, daraus ließ er sich den Waffenrock und den Überwurf machen: er ist noch schöner als Samt. Darauf genäht ein Anker aus Hermelin und goldene Schnüre daran geflochten.»10 Mehrmals, so auch als er für Belakane in den Kampf reitet, wird wiederholt, dass die Pferdedecke aus grünem Samt ist und sein Waffenrock aus grüner Seide, man könnte Gachmuret geradezu als den «Grünen Ritter» bezeichnen. Mit unerschöpflicher Lebenskraft begabt, immer in Bewegung, auf rastloser Suche nach dem Grund des Daseins – vielleicht ist bei dem Namen an mhd. «gach», «eilig, schnell, hastig» zu denken – begegnet er in der Seele Belakanes der altorientalischen Sternenweisheit.
Gachmuret erhält die Rüstung allerdings erst, nachdem er seine Frau schon verlassen hat und sich auf hoher See befindet. «Ein großes Wunder»11 nennt Wolfram diese Übergabe auf dem Meer. Der Adamas, der nach dem Tod Isenharts vor den Augen der Menschen verborgen wurde, tritt in dieser «zufälligen» Begegnung auf dem Meer wieder in die Sichtbarkeit und soll seine traditionelle Funktion wieder aufnehmen, unverletzlich zu machen. Doch das Vermächtnis erscheint jetzt nicht mehr ganz rechtmäßig. Nicht nur die heimliche Flucht und die Untreue gegen Frau und Kind hinterlassen Zweifel an Gachmurets Integrität, die Übergabe ist zudem noch mit seinem Versprechen verknüpft, Belakane eine versöhnende Botschaft Friedebrants zu überbringen, wenn er sie wiedersehe. Gachmuret weiß aber sehr wohl, dass er Belakane in absehbarer Zeit nicht – wenn überhaupt jemals – wiedersehen wird, womit sich somit sein Schuldenkonto noch erhöht. Man ahnt den Zusammenhang mit seinem frühen Tod: Der Adamas wird ihm in dieser eigensüchtigen Verfassung keinen Segen bringen. –
Entwickeln wir diesen Zusammenhang noch weiter und greifen