Waffe, um die Dämonen von München zu bezwingen, wird aber mit George Best aus dem eigenen Nachwuchs kommen.
Vom Büro auf den Platz
In England dürfen Jugendspieler, die aus Irland und Schottland stammen, erst ab 17 Jahren Ausbildungsverträge bekommen. Die Vereine müssen nachweisen, dass die Jungen kein Geld erhalten und einer „ordentlichen“ Arbeit nachgehen. So verlangen es die Fußballverbände Schottlands und Irlands, die befürchten, dass die finanzkräftigeren englischen Vereine ihre Nachwuchsspieler-Pools plündern.
Best und der gleichaltrige John „Fitzie“ Fitzpatrick aus Aberdeen arbeiten im Büro der Manchester Ship Canal Company. Wenn die anderen Jungs trainieren, müssen der Ire und der Schotte Handlangerarbeiten erledigen. Beide sind total unzufrieden. Sie sind nicht zum größten Fußballklub der Welt gekommen, um lediglich zweimal die Woche zu trainieren, am Dienstag- und Donnerstagabend. Best: „Ich musste Tee kochen, aber ich wollte Fußball spielen. Ich wollte jeden Tag mit den anderen Jungs trainieren.“
Schließlich hat United ein Einsehen. Man besorgt den beiden Schein-Jobs bei einem Elektrounternehmer, der United unterstützen will und dessen Geschäft in der Nähe des Trainingsgeländes „The Cliff“ liegt. Best und Fitzpatrick checken dort um neun Uhr ein, wie die übrigen Beschäftigten. Aber während die anderen an ihren Arbeitsplatz gehen, spazieren die beiden Nachwuchsfußballer wieder zur Tür hinaus und zum „Cliff“. Best: „Wir hatten bekommen, was wir wollten: Wir trainierten nun mit dem Rest der Jungs fulltime.“ Nach dem Training geht es zurück in den Betrieb, um ordnungsgemäß auszuchecken.
United begeht damit einen klaren Verstoß gegen die Bestimmungen der FA. Aber der Klub will Best nicht ein weiteres Mal verlieren und ist sehr darauf bedacht, dass der Junge sich wohlfühlt. Um etwaigem Heimweh zu begegnen, dürfen die Eltern auf Klubkosten nach Manchester fliegen und ihren Sohn besuchen. Ein bisschen arbeiten müssen Best und Fitzpatrick aber auch weiterhin. Als Nachwuchsspieler haben sie die Schuhe der Profis zu putzen. Best sieht zu, dass er die von Harry Gregg bekommt.
Der Wochenlohn des Pseudo-Elektrikers beträgt vier Pfund, einen Shilling und neun Pence. Drei Pfund werden an die Eltern geschickt. Best: „Wir waren nicht arm, aber wir hatten nie viel Geld. Jeder musste etwas zum Haushalt beitragen, und drei Pfund waren für meine Mutter viel Geld.“ Dem jungen George bleiben pro Woche ein Pfund, ein Shilling und neun Pence. „Ich dachte, ich wäre reich. Der Klub bezahlte für alles: Unterkunft, Mahlzeiten, Busfahrkarten. Wenn wir ausgingen, konnte ich mir sogar einen Drink leisten.“ Zu dieser Zeit bestand dieser Drink noch aus einer Cola, einer Tasse Kaffee oder einem kleinen Glas Bier mit Limonade.
Im Youth Team freundet sich Best u.a. mit dem gut drei Monate älteren David Sadler an. Viele halten Sadler für den Nachwuchsspieler, dem am ehesten zuzutrauen ist, dass er es in die 1. Mannschaft schafft. Das vielseitige Talent ist deutlich größer und kräftiger als Best. Als United den Banklehrling 16-jährig von Maidstone United holte, galt er als das begehrteste Talent im Land. Sadler zieht bald ebenfalls bei Mrs. Fullaway ein und bleibt dort sechs Jahre lang Bests Zimmergenosse.
„Ich habe immer nur seinen Arsch gesehen“
Im Frühjahr 1963 gibt es noch keine Anzeichen dafür, dass Best bei United der Durchbruch gelingen kann. Vater Dickie wird ungeduldig und möchte, dass George zurück nach Belfast kommt und einen ordentlichen Beruf erlernt. Aber an seinem 17. Geburtstag gibt United Best einen Vertrag. Sein Wochenlohn steigt auf 17 Pfund. Best: „Ich fühlte mich wie ein Millionär.“ Später kauft er sich sein erstes Auto, einen Austin Martin 1100. Die dafür fälligen 400 Pfund zahlt er cash.
Am 14. September 1963 gibt George Best 17-jährig sein Liga-Debüt. Es ist der 7. Spieltag, und United empfängt West Bromwich Albion. Gut 50.000 Zuschauer sind ins Old Trafford gekommen. Busby schickt eine Aufstellung aufs Feld, in der sechs Spieler Iren sind oder irische Vorfahren haben: die Nordiren Gregg und Best, die Südiren Cantwell und Foulkes sowie die irischstämmigen Crerand und Stiles.
Best besetzt den rechten Flügel. Sein Gegenspieler ist der walisische Internationale Graham Williams, der nicht nur gut acht Jahre älter ist, sondern auch mit der Statur eines Rugbyspielers beeindruckt. Aber Debütant Best lässt sich von dem beinharten Linksverteidiger nicht einschüchtern. Der Youngster düpiert den Schrank nach allen Regeln der Fußballkunst.
Williams hat insgesamt 26-mal für Wales gespielt. 1966 und 1968 ist er Kapitän der West-Bromwich-Elf, die den Ligapokal bzw. den FA-Pokal gewinnt. Aber in Erinnerung bleibt er vor allem als Bests erstes Opfer im englischen Profifußball. Noch Jahre später flucht Williams: „Zeigt mir endlich mal ein Foto von dem Kerl, ich habe damals immer nur seinen Arsch gesehen.“
United schlägt West Bromwich mit 1:0. Torschütze ist Bests Kumpel David Sadler, der schon vor ihm bei den Profis debütiert hatte. David Meek schreibt über das Spiel im „Manchester Evening“: „Man konnte davon ausgehen, dass der junge George Best einen müden Kick aufhellen würde. Trotz der Feuerprobe, nach nur drei Spielen mit der Reserve in der Profiliga starten zu dürfen, und trotz eines mörderischen Duells mit Außenverteidiger Graham Williams plus einer schmerzhaften Verletzung am Knöchel spielte Best beherzt und lieferte eine sehr ordentliche Partie ab. Keine der Zusatzbelastungen konnte den Blick auf sein Naturtalent verstellen. Ich weiß, dass Manager Matt Busby sich schon darauf freut, den Belfaster Jungen neben Law in die Mannschaft zu stellen, um diesen zu unterstützen. Ich bin da ganz seiner Meinung – es sind tolle Aussichten, die selbst den grauesten Spielen Farbe geben dürften.“ Best selbst ist überrascht, wie leicht ihm sein Debüt als Profi und in der Liga gefallen ist. Er habe nur „dieselben Sachen gemacht, die ich schon seit meiner Kindheit gemacht habe“.
Am Tag des Best-Debüts erobern die Beatles, die „Fab Four“, mit dem Song „She loves you“ die Spitze der englischen Charts. Die Beatlemania läuft nun auf vollen Touren. Ein Zufall mit – retrospektiv – symbolischer Bedeutung, denn gut zwei Jahre später wird man George Best den „fünften Beatle“ taufen.
Zunächst aber verschwindet Best erst einmal wieder im Youth Team. Zum Weihnachtsfest darf er nach Belfast reisen – trotz des engen Terminkalenders der Profis. Der Junge ist unsicher, ob er es wirklich schaffen kann und ob Busbys Interesse an ihm nicht schon wieder erloschen ist. Doch als United am zweiten Weihnachtstag in Burnley mit 1:6 unterliegt, schickt Busby ein Telegramm in den Burren Way: George möge seinen Urlaub abbrechen und sofort nach Manchester zurückkehren.
Zwei Tage nach der deftigen Klatsche in Burnleys Turf Moor kommt derselbe Gegner ins Old Trafford. Busby verzichtet auf die etatmäßigen Flügelstürmer Albert Quixall und Shay Brennan und ersetzt sie durch den 17-jährigen Best und den 16-jährigen Liverpooler Willie Anderson. United schlägt Burnley mit 5:1, und Best erzielt sein erstes Tor für die Profis.
Damit hat er sich einen Stammplatz in Busbys Elf gesichert. In den verbleibenden 17 Ligaspielen dieser Saison ist Best 15-mal dabei. United beendet die Spielzeit 1963/64 hinter dem FC Liverpool als Vizemeister; gegenüber dem Vorjahr ist dies eine Verbesserung um 17 Plätze. Außerdem läuft Best in der ersten Jahreshälfte 1964 siebenmal im FA Cup auf, wo man im Halbfinale an West Ham United scheitert (1:3), sowie zweimal im Europapokal der Pokalsieger. In seiner ersten Profisaison stehen unterm Strich 26 Einsätze und sechs Tore.
Von den älteren Mitspielern verehrt Best einen besonders: Paddy Crerand. „Er war unser Maschinenraum. Sein Einfluss und seine Bedeutung kann man mit Eric Cantona vergleichen. Paddy war nicht der Schnellste, aber das musste er auch nicht sein. Er wusste, wie man den Ball die Arbeit machen ließ. Sein Passspiel war überragend.“ Crerand rechnet sich an, dass er von den Spielern der 1. Mannschaft der Erste gewesen sei, der Bests Potenzial erkannt habe.
Erster Titel und erstes Besäufnis
In der Saison 1963/64 gewinnt Best auch seine erste Trophäe mit United. Am Anfang des Aufstiegs der ehemaligen „Busby Babes“ hatte der prestigeträchtige FA Youth Cup gestanden, ein nationaler Wettbewerb für den U18-Nachwuchs. 1952/53 bis 1956/57 war United hier Seriensieger gewesen, doch anschließend hatte man nicht einmal mehr das Finale erreicht.
Anders 1964. Im Halbfinale trifft United auf den Lokalrivalen City, der ein überragendes Team hat. Trotzdem