Dietrich Schulze-Marmeling

George Best


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Park in Ballymacarret und ist East Belfasts erster internationaler Fußballer. Blanchflower ist weder muskulös noch schnell, seine Stärken sind ein gutes Passspiel und ein weit überdurchschnittliches taktisches Verständnis – nicht unbedingt typische Eigenschaften für einen britischen Fußballer. In den Reihen von Tottenham Hotspur avanciert er zu einem der größten Spieler der Klubgeschichte. 1958 und 1961 wählen ihn die englischen Journalisten zum „Fußballer des Jahres“. Für viele East Belfaster Kicker der Generation Best ist Blanchflower das Vorbild. So wie er wollen sie eines Tages auch im englischen Profifußball reüssieren.

      Blanchflower gefällt Dochertys angriffsorientierte Philosophie: „Eine von Peters ersten Anweisungen lautete: Warum sollen wir verteidigen, wenn wir mit acht oder neun Toren verlieren? Warum greifen wir nicht an und verlieren mit acht oder neun Toren? So wurden wir eine Angriffsmaschine und überraschten damit viele Gegner.“ Es grenzt an ein Wunder, was Docherty aus einem begrenzten Pool von Spielern formt. Unter ihm erleben der Fußball in Nordirland und die Nationalelf einen Popularitätsschub, der auch den jungen George Best mitreißt.

      Der Schüler Best

      George ist ein intelligenter und guter Schüler. Besonders gut präsentiert er sich in den Fächern Schreiben (100 von 100 Punkten), Englisch (92) und Mathematik (92). Seine Hausarbeiten werden als „exzellent“ bewertet, sein Benehmen ebenso. Zunächst besucht George die Nettlefield Primary School in der Nähe der Woodstock Road und unweit der Donard Street, wo die Großeltern Withers leben. Da Dickie und Anne Best beide arbeiten, isst er dort häufig zu Mittag. Zur Schule muss George den Bus nehmen. Auf dem Weg von der Haustür zur Haltestelle und vom Bus bis zum Schultor dribbelt er mit einem Tennisball.

      1957 schafft Best in seiner Klasse als einziger von 44 Schülern das berüchtigte „Eleven Plus Examen“ (11-plus) und sichert sich damit ein Stipendium für den Besuch eines Gymnasiums. Diese Prüfung löst in vielen Familien einen enormen Stress aus. Sie ist eine brutale Selektion mit weitreichenden Folgen für den weiteren Werdegang der Kinder. Besonders Arbeiterfamilien ohne die Tradition einer höheren Schulbildung sind häufig überfordert. Viele der Kinder, die am 11-plus scheiterten, litten noch viele Jahre später darunter. So zum Beispiel der Labour-Politiker John Prescott, 1997 bis 2007 Großbritanniens stellvertretender Premierminister. Prescott konnte nie vergessen, dass sein Bruder für das bestandene 11-plus ein Fahrrad geschenkt bekam, während er ohne fahrbaren Untersatz blieb.

      Im Burren Way Nr. 16 nimmt man die Prüfung gelassen. Dickie Best: „Wenn das 11-plus anstand, erzählte ich meinen Kindern: ‚Ob ihr es schafft oder nicht, ist ohne Bedeutung für unsere Gefühle für euch. Wir lieben euch immer. Gebt einfach euer Bestes. Das ist alles, was ihr tun könnt.“ Auch drei der fünf Geschwister bestehen später das 11-plus. Eine Schwester scheitert nur, weil sie in der Prüfungsphase schwer erkrankt.

      Best wechselt nun zur Grosvenor High School, vergleichbar einem deutschen Gymnasium. Viele der talentierten Arbeiterkinder, die die 11-plus-Hürde übersprangen, hassten es, dass sie nun von ihren Freunden getrennt wurden. Sie fühlten sich nicht wohl in einem sozialen Milieu, in dem sie eine Minderheit waren.

      George Best ist nicht der einzige spätere Prominente, dem es so ergeht. Auch Neil Kinnock, 1983 bis 1992 Vorsitzender der Labour Party und im Unterhauswahlkampf 1987 Margaret Thatchers Gegenspieler, mag seine neue Schule nicht und verlässt sie wieder.

      „Proddy Bastard“

      Für George Best gibt es aber noch weitere Gründe, warum er die höhere Lehranstalt bald ablehnt. Wie auf den besseren, protestantischen Schulen in Nordirland üblich, ist hier Rugby Schulsport Nummer eins. Best spielt gerne und gut Rugby, trotz seiner schmächtigen Statur. Manchmal klettert er sogar über die Mauer des Rugby-Stadions Ravenhill, um ein Spiel zu sehen. Nordirlands größtes Rugby-Stadion, Heimstadt des Ulster Rugby Teams, liegt nur einen langen Ball entfernt von seinem Elternhaus. Aber Rugby ist nicht Soccer. Und die Menschen, die Rugby spielen, gehören einer anderen Klasse an als die Soccer-Spieler.

      Außerdem befindet sich die Schule außerhalb East Belfasts, an der Roden Street auf der anderen Seite des Flusses Lagan. Es gibt einen katholischen und einen protestantischen Teil der Roden Street, die später durch die Stadtautobahn (Westlink) voneinander getrennt werden. Grosvenor High School liegt zu Bests Schulzeit noch im katholischen Abschnitt (1958 wird sie in den protestantischen Osten umziehen), der bereits zu West Belfast gehört, dem größten katholischen Siedlungsgebiet in der nordirischen Metropole. Nach Ausbruch der „Troubles“ avanciert dieser Teil der Stadt zu einer Hochburg der IRA.

      Auf dem Weg von der Bushaltestelle zur Schule muss Best also durch katholisches Gebiet laufen. Seine Schuluniform macht ihn als Protestanten identifizierbar, und häufig wird er belästigt. Best: „Grosvenor High School lag in der Mitte einer katholischen Gegend. Die Kinder von den anderen Schulen wie Sacred Heart erkannten an meiner Schuluniform, dass ich Protestant war. Sie warteten auf mich und beschimpften mich als ‚Proddy Bastard‘. Sie versuchten, mir meinen Schal und meine Schulmütze abzunehmen.“ Nach der Schule passt Best genau die Ankunft des Schulbusses ab. Wenn der hält, ruft er den katholischen Jungs noch einige Schmähungen zu, fängt an zu rennen und springt auf den abfahrenden Bus, der ihn zurück in den sicheren Osten bringt. „Es war nicht nett, aber es war ein gutes Sprinttraining für mein Fußballspiel.“

      „Wolves“ und „Busby Babes“

      Der junge George Best ist nicht nur ein Fan von Glentoran, sondern auch der Wolverhampton Wanderers. Aus dem „Belfast Telegraph“ schneidet er die Spielberichte der beiden Teams aus und klebt sie in ein Heft ein. 1954 sind die „Wolves“ mit attraktivem Offensivfußball englischer Meister geworden. Im selben Jahr konnten sie in ihrem Stadion Molyneaux unter Flutlicht Honved Budapest (mit Puskás und Co.) und Spartak Moskau mit 3:2 bzw. 4:0 bezwingen. Der „Daily Mirror“ kürte danach die Wanderers zur weltweit besten Vereinsmannschaft. Nach den Pleiten, die das englische Nationalteam im Jahr zuvor gegen die ungarische Nationalelf erlebt hatte, waren Wolverhamptons Triumphe gegen die Teams aus Mittel- und Osteuropa Balsam auf die verwundete englische Fußballseele.

      Auch 1957/58 und 1958/59 wird Wolverhampton Meister. Manager der „Wolves“ ist Stan Cullis, der eine moderne Version des „kick and rush“ spielen lässt. Cullis selbst spricht von „wissenschaftlichem kick-and-rush-Fußball“. Er analysiert Spiele und befasst sich intensiv mit taktischen Fragen, was in England zu dieser Zeit nur wenige tun. Die „Wolves“ spielen ansprechender und moderner als viele andere englische Teams; zudem fühlt sich Best von ihren goldenen Trikots angezogen, die vor allem bei den internationalen Matches unter Flutlicht zur Geltung kommen. Zwar ist ihr Fußball ein gutes Stück von dem entfernt, was zur gleichen Zeit das blutjunge Team von Manchester United zeigt, die nach ihrem Manager Matt Busby benannten „Busby Babes“. Dennoch dienen die Wolverhampton Wanderers als Vorbild für einige der kommenden United-Stars, darunter auch George Best.

      Bests zweite Quelle der Inspiration ist die nordirische Nationalelf. Am 6. November 1957 schlägt Nordirland England in London mit 3:2. Bei den „Three Lions“ sind von den „Busby Babes“ Duncan Edwards, Roger Byrne und Tommy Taylor dabei. Auch bei den Nordiren stehen Busby-Spieler auf dem Feld: Keeper Harry Gregg und Jackie Blanchflower, der jüngere Bruder von Danny Blanchflower, der bereits im Alter von 16 Jahren nach Manchester gegangen ist. Mit Jackie, Danny und dem für Sunderland spielenden Billy Bingham sind im Wembleystadion drei Fußballer auf dem Rasen, die aus East Belfast stammen. Einziger Katholik im nordirischen Team ist der in der nordirischen Grenzstadt Newry geborene Peter McParland von Aston Villa.

      Harry Gregg wird den jungen Best in Manchester noch erleben und ihn ein wenig an die Hand nehmen. Geboren in Tobermore, einem loyalistischen Dorf im Süden der nordirischen Grafschaft Derry, ist Gregg das Produkt einer „Mischehe“: Der Vater war Protestant, die Mutter Katholikin. Erzogen wird er protestantisch, was ihn nicht daran hindert, Fan von Celtic Glasgow zu werden. Der Grund ist Celtics Torhüter Johnny Thompson, Greggs Vorbild: „Bei meiner Erziehung hätte ich ein Fan der Rangers werden müssen, aber Johnny war mein Held, und wegen ihm wurde Celtic mein Team.“ Nach einem Zusammenprall mit einem Rangers-Spieler im Glasgower Derby 1931 war Thompson auf tragische Weise ums Leben gekommen.

      George Best ist elf Jahre alt, als ein schweres Unglück die