Dietrich Schulze-Marmeling

George Best


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Es war die größte Beerdigung in der Geschichte der irischen Insel. Die Zeremonie in der Grand Hall des nordirischen Parlaments- und Regierungssitzes wurde zum Stelldichein ehemaliger politischer Todfeinde.

      Es geht in diesem Buch nicht nur um Rückschau, sondern auch um die Frage nach der Aktualität von George Best und die Zukunft des Fußballs. Es wurde auch aus dem Gefühl heraus geschrieben, dass manches von dem, womit Best uns begeisterte, dem heutigen Fußball fehlt und wieder modern werden könnte: der Mut zum Eins-gegen-eins-Duell, zum temporären Ausbrechen aus dem Modus des Konzept- und Systemfußballs mit scheinbar endlosen Ballstafetten, der erst durch überraschende Geniestreiche so richtig an Schlagkraft gewinnt. Das Spiel benötigt nicht nur Soldaten und glatt gebügelte Akademie-Absolventen, die brav den diktierten und einstudierten Laufwegen folgen. Das Spiel benötigt auch mutige Individualisten. Spieler, die mit einem Schuss Eigensinn die gegnerische Ordnung zum Einsturz bringen, indem sie die eigene für einen Moment ignorieren. Spieler, die auch ohne Netz und doppelten Boden und ohne Absicherung durch das System mal etwas wagen.

      Wer ein Buch über George Best in die Hand nimmt, erwartet vielleicht eine Auflistung von Alkoholexzessen und Frauengeschichten. Ich habe mir diese weitgehend verkniffen, wenngleich sie ein unterhaltsames und dickes Werk ergeben würden. Zu den unangenehmen Eigenschaften meiner Generation gehört das voyeurhafte Sich-Amüsieren über gescheiterte Existenzen. Bei gleichzeitiger Stilisierung dieser Menschen zu Rebellen, mit deren Schicksal man freilich nicht tauschen möchte. „Sterbt nicht so wie ich“, ermahnte Best vom Sterbe­bett aus seine Mitmenschen. Auch wenn dies hilflos klang: Er hatte recht. Nimmt man noch eine zweite Aussage aus seinen letzten Tagen hinzu: „Vergießt um mich keine Tränen. Ich hatte ein fantastisches Leben“, dann erfolgte sein Abgang ziemlich souverän. Best hat nichts bereut. Er hat uns weder mit der Rolle des armen Opfers malträtiert, noch die des nachahmungswürdigen Helden strapaziert.

      Völlig verzichtbar waren Hinweise auf sein Sauf- und Sexleben allerdings auch nicht, da sie Bests Karriere beeinflusst haben. Sie interessierten mich, wenn sie – in der Regel ungewollt – eine kulturelle oder gar politische Message beinhalteten. Beispielsweise wenn der als Protestant und nordirischer Unionist aufgewachsene Best mit Pat Crerand unterwegs war, einem Katholiken und Sympathisanten des irischen Nationalismus. Oder wenn Best sich mit der südirischen Schauspielerin Sinead Cusack zusammentat.

      Über Best ist bislang vorwiegend aus der Perspektive Manchesters geschrieben worden: Best als der Nordire im United-Trikot. Seine nordirische Herkunft, die damit verbundenen politischen und kulturellen Prägungen und Implikationen, der während seiner Zeit bei United ausbrechende und schließlich eskalierende Bürgerkrieg und dessen Auswirkungen auf den Fußballprofi, also die Wechselwirkung zwischen Heimat und Wahlheimat, die Rezeption Bests in der nordirischen und irischen Gesellschaft (über seinen Tod hinaus), das alles wird in der Regel nur am Rande behandelt. Interessanterweise gibt es keinen nordirischen Biografen des weltweit prominentesten Nordiren – abgesehen von einem Buch seiner Schwester Barbara.

      Ich habe mich um eine andere Perspektive bemüht. Die Folien meines Schreibens waren Manchester und Nordirland, genauer Belfast. Deshalb kommt auch immer wieder die Sprache auf kulturelle und politische Entwicklungen in Nordirland. Van Morrison, Rory Gallagher, der „George Best der Bluesgitarre“, der evangelikale Prediger und unionistische Politiker Ian Paisley sowie der ehemalige IRA-Oberkommandierende, Best- und Manchester-United-Fan Martin McGuinness spielen in einigen Kapiteln ebenfalls mit. Zwar hat Best fast 90 Prozent seines Erwachsenenlebens in Manchester, London und den USA verbracht. Aber je mehr ich mich in das Thema Best vertiefte, desto klarer wurde mir, dass Best von diesem Background nicht zu trennen ist.

      Ermöglicht wurde mir diese Herangehensweise durch zahlreiche Aufenthalte in Nordirland und eine freundschaftliche Verbundenheit zu Menschen aus beiden Communities – der katholischen wie der protestantischen. Nicht zuletzt dank der Lingua franca Fußball, zu deren Grundvokabular „George Best“ gehört.

      Ich habe dies immer als ein Privileg verstanden, da diese Selbstverständlichkeit in Nordirland keine ist. Viele Menschen können oder wollen diese Normalität immer noch nicht genießen, weshalb sich ihnen die Denkprozesse in der „anderen Community“ oftmals verschließen. Trotz des Friedensabkommens von 1998 und einer interkonfessionellen Regierung leben Protestanten und Katholiken in Nordirland noch immer weitgehend getrennt.

      Den letzten Anstoß zu diesem Buch gab der Northern Ireland Milk Cup 2013, ein Turnier für junge Fußballer, das alljährlich an der nordirischen Causeway Coast ausgespielt wird und zu dessen Dauergästen der Nachwuchs von Manchester United gehört. Eines Abends diskutierte ich mit einigen Turnierorganisatoren über die Vor- und Nachteile eines „academy football“. Anlass war eine Beschwerde des Manchester-United-Coaches Paul McGuinness, Sohn von Wilf McGuinness, dem Nachfolger von Matt Busby bei United, der auch George Best trainiert hatte. Uniteds U17 wurde mit vielversprechenden Talenten wie Andreas Pereira und Joe Riley schließlich verdient Turniersieger. Manche Beobachter sahen in der Truppe eine Fortsetzung der „Class of ’64“ (mit George Best, David Sadler, John Aston) und „Class of ’92“ (mit David Beckham, Paul Scholes und Co.) – United-Jugendmannschaften, die eine neue erfolgreiche Ära bei den Profis einleiteten. Aber McGuinness gefiel nicht, dass sich seine Jungs auf dem Weg zum Titel auch mit Teams messen mussten, deren Spieler nicht von Fußballakademien kamen und Uniteds Dominanz mit ihren eigenen Mitteln begegneten. In der Regel zählten dazu eine defensiv geprägte Ordnung, eine gewisse Zweikampfhärte und Konterfußball. Wir fragten uns, ob sich ein George Best darüber beschwert hätte. Und ob die Fußballakademien ihre Schüler nicht manchmal etwas zu glatt bügeln und immer die richtige Vorbereitung auf das Profileben bieten würden. Schließlich würde die Jungs später in der Premier League und im FA Cup ebenfalls eine Reihe von Teams erwarten, die ihr Spiel nicht nach den Vorstellungen Uniteds spielen.

      Am folgenden Tag fuhren wir nach Belfast und zum Burren Way Nr. 16, dem Elternhaus von George Best. Dort trafen wir mit Robin McCabe einen alten Freund George Bests. Robin hatte zusammen mit Best für den Cregagh Boys Club gespielt. Er führte uns durchs Haus, zeigte uns den Fußballplatz, auf dem George und er einst für die Cregagh Boys gekickt hatten, sowie einige Briefe, die George ihm und der Familie aus Manchester geschrieben hatte – und die Idee zu diesem Buch war geboren.

      Mein besonderer Dank gilt daher zuerst Robin McCabe, ebenso Heather Chesney und Wendy Langham (East Belfast Partnership), Jim Sandford (Dale Farm Milk Cup, bis 2013: Northern Ireland Milk Cup), Uwe Koopmann, Uwe Renners, Christina Matthoff fürs Korrekturlesen, meinen Lektoren Bernd Beyer und Markus Montz sowie einigen Menschen, die nicht genannt werden möchten.

      Dietrich Schulze-Marmeling, April 2015

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      Dietrich Schulze-Marmeling (rechts) an Bests Elternhaus im Burren Way Nr. 16. Links steht Robin McCabe, ein alter Freund George Bests.

       KAPITEL 1

      Belfast Boy

      George Best wächst in der nordirischen Industriemetropole Belfast auf, in einer typischen protestantischen Arbeiterfamilie. Vater und Großvater arbeiten auf der Werft, engagieren sich in der Gewerkschaft und dem antikatholischen Oranier Orden. Als Kind besucht George Heimspiele des Glentoran FC. 1958 qualifiziert sich Nordirland erstmals für ein WM-Turnier, wodurch Georges Fußball­begeisterung einen weiteren Schub erhält.

      Irlands Industriemetropole

      Das erste Fußballstadion, das der junge George Best regelmäßig besucht, liegt im Osten Belfasts und heißt schlicht „Oval“. Dort spielt der Glentoran FC, zu dessen Spielen bereits Georges Vater und Großvater pilgerten. Härtester Rivale ist der Linfield FC; bei den Begegnungen beider Teams kommt es immer wieder zu Ausschreitungen zwischen den Fans. George Best bringt diese Rivalität mit der religiösen Spaltung seiner Heimat in Verbindung: „Protestanten unterstützten automatisch Linfield, aber wenn du Katholik warst, unterstütztest du Glentoran.“ Diese Erinnerung ist zwar nicht richtig. Aber sie verweist unmittelbar auf die komplizierte religiös-politische Geografie, von der Bests Heimatstadt geprägt ist.

      Belfast ist eine sehr junge Stadt. Sie wurde erst 1603