dem Niveau in England und Schottland lagen, sind vorbei. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Belfasts Schlüsselindustrien in eine schwere Krise geraten. Belfasts zweite große Werft Workman & Clark, die zu den „ersten Sechs“ im Vereinigten Königreich gehörte, musste 1937 schließen. Und im Nordirland der Nachkriegsjahre liegt das durchschnittliche Einkommen um ein Drittel unter dem im restlichen Vereinigten Königreich. 1951 sind 36 Prozent aller Beschäftigten in Belfast Frauen, darunter auch viele verheiratete. Eine hohe Quote für diese Zeit und ein so religiöses Land wie Nordirland.
Dickie Best lernt seine künftige Frau Anne Withers bei einer Tanzveranstaltung in der Willowfield Unionist Hall in der Woodstock Road in East Belfast kennen. Am 30. Juni 1945 heiraten die beiden und beziehen ein kleines Reihenhaus in der Jocelyn Street in East Belfast, einer Nebenstraße der Woodstock Road. Die Miete erweist sich aber als zu teuer für das junge Paar, weshalb es nach knapp einem Jahr Unterschlupf bei Annes Eltern in der Donard Street sucht, nur einen Steinwurf entfernt von der bisherigen Wohnung.
Sowohl Dickie wie Anne sind sportlich aktiv. Er ist ein respektabler Fußballer, der bis zu seinem 37. Lebensjahr für diverse Amateurklubs kickt. Meistens als Linksverteidiger, also auf der Position der späteren Gegenspieler seines Sohnes. Dickie ist von gedrungener Gestalt, agil, bissig, schnell und mit beiden Füßen stark am Ball. Anne Best ist eine exzellente Hockeyspielerin, die mehrfach zu Sichtungslehrgängen der nordirischen Auswahl eingeladen wurde. Aber während des Krieges fanden keine Länderspiele statt.
Am 22. Mai 1946, elf Monate nach der Heirat, kommt das erste Kind zur Welt. Es ist ein Junge, der nach seinem Großvater mütterlicherseits auf den Namen George getauft wird. Weitere fünf Kinder folgen: Carol (1947), Barbara (1952), die Zwillinge Julie und Grace (1963) und schließlich Ian (1967).
Cregagh
Im Januar 1949 ziehen Dickie und Anne Best mit dem zweieinhalbjährigen George und seiner Schwester Carol ins Cregagh Housing Estate, ein öffentliches Wohnungsbauprojekt. Die moderne Nachkriegssiedlung besteht aus zweigeschossigen Reihenhäusern mit Flachdächern, was für Belfast neu ist. Aus heutiger Sicht wirken die Häuser sehr bescheiden, aber das Bad ist nicht mehr draußen im Hinterhof, was damals fast schon als luxuriös gilt. Anfangs beträgt die Miete 14 Shilling (= 70 Pence) pro Woche. Später wird den Mietern die Möglichkeit geboten, die Häuser zu erwerben. Die Bests residieren im Burren Way Nr. 16.
Cregagh ist eine überwiegend protestantische Siedlung. Allerdings lebt hier zunächst noch eine zahlenmäßig bedeutendere katholische Minderheit, was der Randlange geschuldet ist. George Bests jüngere Schwester Barbara: „Burren Way war eine freundliche Straße. Wir hatten gute Nachbarn, Katholiken und Protestanten. Wir spielten miteinander und waren miteinander befreundet.“ Religiöses Sektierertum sei in ihrer Familie nicht vorgekommen. George berichtet, im Haus nebenan hätten Katholiken gewohnt. „Die Frau, Melda hieß sie, war die beste Freundin meiner Mutter.“ Auf der Straße hätten sich die Kinder ab und an Schimpfwörter zugerufen. „Du warst entweder ein ‚Fenier‘ oder ‚Proddy Dog‘. Halt so Dinge, die Kinder sich gegenseitig zurufen.“1 Mehr wäre aber nicht gewesen.
Aufgrund der segregierten Wohnkultur wirkt Belfast wie ein Konglomerat aus Kleinstädten. Das Leben der Familie Best spielt sich fast ausschließlich im Osten ab und hier auch nur in dem Dreieck Cregagh Housing Estate, Donard Street und „Oval“.
Presbyterians
Best beschreibt seine Familie als „religiös“. Seine Eltern seien Free Presbyterians gewesen. Nordirlands protestantische Community teilt sich in Anglikaner (Church of Ireland), Presbyterianer (Presbyterian Church of Ireland), Methodisten (Methodist Church of Ireland) und Freie Presbyterianer (Free Presbyterian Church). Die Free Presbyterian Church ist eine reformierte Freikirche mit weltweit über 100 Gemeinden, die Mehrheit davon in Nordirland. Sie spaltete sich in den 1950ern von der Presbyterian Church ab, sieht sich in der Tradition von Johannes Calvin, John Knox und den amerikanischen Puritanern, lehnt rigoros Vergnügen wie Alkohol, Glücksspiel oder Tanz ab, geißelt Homosexualität als Sünde, ist militant antikatholisch und gegen die Ökumene und macht aus dem Sonntag den trostlosesten Tag der Woche. Kurzum: Die Free Presbyterians sind die härteste und bigotteste Fraktion im religiösen Spektrum Nordirlands. Ihr Anführer war ein halbes Jahrhundert lang der Prediger Ian Paisley, der während der „Troubles“ zu einer der bedeutendsten politischen Persönlichkeiten Nordirlands aufsteigt. Denn Paisley war auch noch Boss der Democratic Unionist Party (DUP), die sich 1971 rechts von der Ulster Unionist Party etablierte, die dadurch ihren Charakter als Einheitspartei der nordirischen Protestanten/Unionisten verlor. Zu den Hochburgen der DUP gehören die Arbeiterbezirke East Belfasts. Aber nur eine Minderheit der hier lebenden DUP-Wähler und Anhänger sind Free Presbyterians.
Für das Religiöse in der Familie ist der Großvater mütterlicherseits zuständig, George Withers, bei dem die junge Familie Best die Sonntage verbringt. George Best und seine Geschwister müssen an diesem Tag in die Kirche und anschließend in die Sonntagsschule. Das Fußballspielen ist untersagt, ebenso der Besuch eines Fußballspiels. Letzteres fällt nicht schwer, denn der protestantisch dominierte Fußballverband lässt am Sonntag den Spielbetrieb ruhen. In Belfast wird am Tag des Herrn nur im katholischen Westen gegen den Ball getreten – allerdings ist es hier Gaelic Football. Soccer gibt es nur „unten“ in der „katholischen“ Republik. So bleibt als einzige Frischluftaktivität ein gesitteter Gang durchs Viertel. Georges Schwester Barbara Best erinnert sich: „Spielen war am Sonntag untersagt. Aber wir durften am Nachmittag einen Spaziergang unternehmen.“ In Großvater Withers vier Wänden geht es auch nicht lustiger zu. Der Fernseher bleibt ausgeschaltet, was George und seine Geschwister aber unterlaufen, indem sie die Glotze heimlich einschalten und wechselweise vor dem Fernsehzimmer Wache schieben.
Der Politik- und Sportjournalist Eamon McCann zieht Bests Behauptung, seine Eltern seien Free Presbyterians gewesen, in Zweifel. Dass Vater Dickie und Sohn George Fußball spielten, würde hierzu nicht passen. Auch dass Dickie Best schon mal ein Bierchen trinkt, im Gegensatz zu Anne, die lange Zeit Abstinenzlerin ist, widerspricht dem gängigen Bild vom Evangelikalen.
Barbara Best berichtet, man habe sonntags die Ravenhill Presbyterian Church in der Ravenhill Road besucht, unweit vom Haus des Großvaters in der Donard Street. In derselben Straße liegt auch die Martyrs Memorial Free Presbyterian Church, die 3.000 Frömmlern Platz bietet und in der Paisley predigt. Allerdings ist dieser Klotz erst 1969 eröffnet worden, weshalb keine Verwechselung vorliegen kann. Denn 1969 ist Best bereits 23, seit acht Jahren in Manchester und besucht Nachtklubs anstatt Kirchen. Möglicherweise hat George Best also in seiner Erinnerung einiges durcheinandergebracht: die Presbyterian Church of Ireland, die Free Presbyterians sowie die DUP.
Oranier Orden
Dickie Best ist Mitglied im Oranier Orden. Der 1795 gegründete Orden ist ein exklusiv protestantischer Männerbund, der die Vorherrschaft des Protestantismus gegenüber dem Katholizismus verteidigt. Als klassenübergreifende Allianz mischt der Orden vor allem in Belfast mit, wenn Arbeitsplätze und öffentlicher Wohnraum vergeben werden. Sein Name geht auf Wilhelm III. von Oranien zurück, der 1690 den katholischen Stuart-König Jakob II. und dessen irisch-katholische Truppen in der Schlacht am Boyne besiegte und dadurch die protestantische Präsenz und Vorherrschaft in Ulster zementierte.2 Ein Ereignis, das alljährlich am 12. Juli – „The Twelfth“ – mit großen Umzügen gefeiert wird, bei denen viel Alkohol im Spiel ist und es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Bewohnern katholischer Viertel kommt.
Seinerzeit ist der Großteil der protestantischen Männer im Orden organisiert. Dies gilt auch für die Arbeiter von Harland & Wolff; rund um „The Twelfth“ ruht die Arbeit auf der Werft. George Best: „Wenn du ein Protestant warst, dann bist du – wie ich – dem Orange Order beigetreten. Mein Vater und mein Großvater waren beide Grand Master ihrer lokalen Loge.“ Der junge George wird Mitglied im Junior Orden. Am 12. Juli darf er mitmarschieren und mithelfen, das riesige und schwere Banner zu tragen. Dickie schenkt seinem Sohn eine Schärpe der lokalen Loge, die heute im Museum of Orange Heritage im Schomberg House ausgelegt ist, dem Hauptquartier der Grand Orange Lodge of Ireland.3 Schomberg House liegt nur einen Steinwurf von Bests Elternhaus entfernt.
Außerdem gehören Vater und Großvater auch