Christoph Busch

EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA


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guineischen Gesellschaft findet. Religiöse Konflikte gab es nicht und gibt es auch heute nicht. Man verhält sich tolerant und respektvoll gegenüber anderen Glaubensformen.

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      JC (links) mit Gérard, Pierre und vier seiner Halbgeschwister

      Jean Claude analysierte das Scheitern der Ehe seiner Eltern ohne Schuldzuweisungen. Die Mutter, zu stark und unabhängig, um in das Schema einer traditionellen Frauenrolle zu passen; der Vater, der damit nicht umgehen konnte. Es konnte nicht gut gehen. Auch er heiratete einige Jahre nach der Scheidung wieder. Die sechs Halbgeschwister, die aus dieser Ehe hervorgingen, standen in engem Kontakt zu den Söhnen von Fatou. Nach dem Tod des Vaters kümmerten sich Jean Claude und seine Mutter so gut sie konnten um die Halbgeschwister und die Stiefmutter.

       Eine Gesellschaft in Angst

      Zurück zu unserer Reise nach Guinea. Wir erlebten eine Gesellschaft, die von Angst geprägt war. Ich wusste nicht genau, was vor sich ging, wir spürten aber die angespannte Atmosphäre. Fatou war mit allem, was sie sagte, sehr vorsichtig, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, denn man wusste nie, ob man auf einer schwarzen Liste von Sékou Touré stand oder nicht. Wichtige Dinge wurden nachts erledigt; viele Leute schliefen nachts kaum, aus Angst, sie könnten abgeholt werden und im Gefängnis verschwinden. Gérard, der jüngere Bruder von Jean Claude, betäubte seine Hilflosigkeit mit Alkohol. Er hatte sein Jurastudium beendet, war aber ohne klare Vorstellung, was er damit anstellen sollte. Zwei Jahre später, 1980, kam er nach Deutschland, weil er dem Druck der politischen Situation und der Dominanz seiner Mutter nicht mehr standhielt; er hoffte, in Deutschland bei seinem Bruder sein Leben neu zu erfinden, was ihm leider nicht gelang. Wir flogen voller unterschiedlichster Eindrücke, aber auch mit einer gewissen Erleichterung, dass alles gut gegangen war, zurück nach Frankfurt.

      Jean Claude zwischen Frankfurt und Conakry

      JC begann seine Arbeit im Psychosozialen Zentrum in Frankfurt-Eschersheim im Juni 1980. Der Leiter des Zentrums war Carlos Corvalan, ein Chilene, der mit seiner Frau und seinen Kindern als politischer Geflüchteter in Frankfurt gestrandet war und dann unter dem Dach des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau (DWHN) dieses Zentrum aufgebaut hatte. Jean Claudes Arbeitsfeld war vorwiegend die Beratung und Therapie afrikanischer Flüchtlinge. Zu dieser Zeit waren es viele Geflüchtete aus Eritrea, aber auch Menschen, die aus anderen afrikanischen Ländern kamen. Weitere Aufgaben waren die Zusammenarbeit mit Sozialamt, Ausländeramt, Rechtsanwälten und nichtstaatlichen Organisationen sowie Öffentlichkeitsarbeit und das Mitwirken bei Tagungen – regional und überregional. Schon in dieser Zeit machte sich JC einen Namen, häufig wurde sein Rat eingeholt, sobald es sich um Fragen zu Flüchtlingspolitik und Fluchtursachen handelte.

       Beispiele von Kalendereintragungen: Zwischen all den rein beruflichen Einträgen steht am

       9. März 1984 – Josefs Geburtstag – Sau abholen!

      Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, Josefs Geburtstag war ein guter Grund, um ein Spanferkel am Spieß im Garten in der Grempstraße zu braten. Jean Claude und Josef waren schon während seiner Studienzeit in Lausanne Freunde geworden; sie hatten sich 1975 bei einem Fest in Höchst kennengelernt und pflegten das gleiche schwerwiegende Hobby »Fußball«. Ria, seine Frau, und ich machten damals gemeinsam die Ausbildung zur Ergotherapeutin. Eine langanhaltende intensive Freundschaft entwickelte sich.

       24. März 1984 – Tod Sékou Tourés während einer Herzoperation in den USA

      Anfang April 1984 reiste JC zum ersten Mal nach 15 Jahren Exil nach Hause nach Conakry. In dieser Zeit kam unser drittes Kind im Haus in der Grempstraße in Frankfurt-Bockenheim zur Welt – Hausgeburt – Jean Claude war noch in Conakry. Er kam zwei Tage danach zurück und war glücklich und voller Begeisterung, zum einen, weil er nach zwei Söhnen endlich eine Tochter hatte, und zum anderen, weil die neue Situation in seinem Heimatland ihn überwältigte. Er schmiedete Pläne und wollte mitwirken an der Neugestaltung seines Landes. Im Sommer planten JC und der Frankfurter Filmemacher Malte Rauch eine Reise nach Conakry, um einen Film über Guinea zu drehen.

      Ein Exposé wurde entwickelt, und die Planungen für den Film nahmen konkrete Formen an. Im Oktober oder November wurde ein weißer Ford-Kleinbus nach Conakry verschifft, um mit dem Filmteam durchs Land fahren zu können. Jean Claudes Mutter sorgte vor Ort für die notwendigen Vorbereitungen. Am 24. November flog das gesamte Filmteam nach Conakry – Anfang Dezember 1984 folgte ich mit Nima, unserer kleinen Tochter.

      Von nun an ging alles Schlag auf Schlag. Jean Claude lernte während eines Interviews den Staatschef Lansana Conté4 kennen und wurde Anfang Dezember 1984 zum Staatssekretär in dessen Kabinett ernannt, zuständig für die Guineer im Ausland, zugeordnet dem Außenministerium.

       MALTE RAUCH

       Der Film »Frankfurt – Conakry, Rückkehr ins Land des Elephanten« entstand kurz vor der Ernennung Jean Claudes zum Staatssekretär in der Regierung Lansana Contés in Conakry. Malte Rauch schrieb im Juli 2018 den Text »Über meinen Freund«.

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      Malte Rauch mit seiner Lebensgefährtin Eva Voosen

      Geboren in Frankfurt am Main, hat dort studiert und für die Studentenzeitung diskus als Redakteur gearbeitet. Redakteur beim hr-Jugendfunk und Autor beim hr-Schulfunk. Dann einige Jahre festangestellter Producer / Scriptwriter beim BBC Worldservice in London und Korrespondent für französische und deutsche Zeitungen. Danach permanenter Vertreter und Filmreportagenmacher aus Paris für das neue WDR-3 Kulturmagazin Spectrum. Buchautor für Europäische Verlagsanstalt und Rowohlt. Danach und seither freier Dokumentarfilmemacher für Das Erste, ZDF, arte, WDR, Channel Four und das Kino – aus Europa, Afrika (öfters zusammen mit Jean Claude), USA und Asien. Lehrbeauftragter an der Frankfurt University of Applied Sciences.

      Über meinen Freund

      Es ist lange her, kommt mir aber vor wie gestern: Ich rief eine Telefonnummer an, die auf einem Plakat der Buchhandlung »Land in Sicht« im Nordend stand; ein Film über Sékou Touré und Guinea wurde dort angekündigt, aber ohne Angabe eines Datums. »Ich interessiere mich für den Film«, sagte ich zögerlich am Telefon »und würde gerne wissen, wann das stattfindet«. Ich telefoniere ungern mit Leuten, die ich nicht kenne. Das mag seltsam klingen, aber noch heute spüre ich eine heitere Überraschung und freudige spontane Vertrautheit, die die Stimme am anderen Ende der Leitung in mir ausgelöst hat. Ob das was werde mit der Aufführung und wann, sei noch unklar, sagte die Stimme, aber es sei wunderbar, dass ich mich dafür interessiere, und sie würden mir auf jeden Fall Bescheid sagen, wenn es soweit sei.

      Ich habe den Film nie gesehen, aber später zusammen mit Jean Claude Diallo (der am anderen Ende der Leitung war) mehrere Dokumentarfilme gemacht, die alle inspiriert und beflügelt waren von dieser lebhaften und fröhlichen Neugierde auf die Welt und die, die darin leben. »Die Welt lebbarer machen« war eine seiner genialen Wortschöpfungen. Wenn wir mit den Filmen über Guinea oder über Flüchtlinge an Diskussionsveranstaltungen – meistens im Rahmen der Kirche – teilnahmen, war seine These, dass man statt Entwicklungshilfe lieber dafür sorgen sollte, dass das Leben hier bei uns in Europa lebbarer, gerechter und sinnvoller gemacht wird; und da die Afrikaner sowieso alles nachmachen, was aus Europa kommt, so Jean Claude, werden sie sich auch an dieses Vorbild halten und sich gemeinsam mit uns weiterentwickeln.

      »Das Eiapopeia vom Himmel, womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen Lümmel,« nach Heinrich Heine, – das war nicht Jean Claudes Ding bei seiner Arbeit in der Evangelischen Kirche; er redete gern Tacheles. Als er gefragt wurde, ob man nicht den armen Hungernden in Afrika helfen müsste, sagte er, dass