Christoph Busch

EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA


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Druck auf den anderen aus. Ich war verliebt, wusste aber, wenn ich Forderungen an ihn stellen würde, dann würde ich ihn verlieren.

      Natürlich gab es auch Probleme. Er lebte in einem mehrsprachigen Umfeld, Deutsch, Französisch und mehrere afrikanische Muttersprachen. Ich sprach etwas Englisch aber kein Französisch. Wenn Freunde aus der Heimat zu Besuch kamen, wurde Französisch, Fula oder Susu2 gesprochen. Ich verstand kein Wort und ärgerte mich maßlos, manchmal fuhr ich dann gekränkt nach Hause und dachte an Trennung, aber nach längerer Überlegung verwarf ich diese Gedanken, da mir dieser Mann zu wichtig war, um ihn so schnell aufzugeben.

      Ich hielt an dieser Beziehung von Anfang an fest. Woher kam die Sicherheit, dass er der Mann meines Lebens war? Ich weiß es heute noch nicht genau, es war einfach so. Vielleicht weil ich ahnte und hoffte, durch ihn eine andere und neue Welt kennenzulernen, eine Welt, von der ich als Jugendliche bereits geträumt hatte. Ich komme aus der fränkischen Provinz und war überwiegend in klösterlichen Internaten und bei Verwandtschaft groß geworden. Meine Kenntnisse über andere Menschen und Kontinente stammten vorwiegend aus Karl Mays gesammelten Werken, die ich in meiner Jugend verschlungen hatte. Später beim Lesen von Max Frisch und Hermann Hesse verstärkte sich das Gefühl, dass das Leben mehr sein musste als das, was ich bisher in meiner kleinen Welt zwischen Ippesheim (mein Heimatdorf in Mittelfranken), Würzburg und Aschaffenburg kennengelernt, erlebt und erfahren hatte. Seine Lebensvorstellungen waren damals noch davon geprägt, nach dem Studium in die Heimat zurückzukehren. So lebte er im Jetzt und im Hier. Auf seinem Schreibtisch im Studentenwohnheim stand das Bild einer jungen hübschen Frau. Auf meine Frage, wer das denn sei, antwortete er: Sie ist meine Schwester. Ein halbes Jahr später stand das Foto nicht mehr an seinem Platz, es war nirgendwo zu sehen. Als ich ihn fragte, warum das Foto verschwunden war, erzählte er, die junge Frau auf dem Foto sei nicht seine Schwester, sondern seine Verlobte, eine alte Schulfreundin aus dem Gymnasium. Er erklärte dann auch, dass diese Beziehung sehr kompliziert und sie – die Verlobte – zu weit weg in der Heimat sei. Danach sprachen wir nicht mehr darüber. Es war das erste Zeichen einer Veränderung.

      Die Studienzeit in Deutschland war kurz. JC hatte gerade sein Vordiplom in Psychologie abgeschlossen, als die guineische Botschaft in Bonn alle Studierenden in der damaligen BRD und in ganz Westeuropa aufrief, ihre Gastländer zu verlassen und nach Rom zu reisen, um dort auf weitere Anweisungen zu warten. Dies bedeutete für alle Studierenden aus Guinea eine tiefgreifende Entscheidung: das nicht abgeschlossene Studium aufgeben, nicht wissen, wie alles weitergehen wird, eine unsichere Zukunft, aber dafür die Sicherheit, dass die Familie in Guinea keine Repressalien zu befürchten hat? Oder an Ort und Stelle bleiben, das Studium zu Ende bringen, mit der Hoffnung leben, dass der Familie nichts passieren wird und nach dem Studium dann in Ruhe nach Hause zurückkehren?

      JC glaubte, die politische Lage in seinem Heimatland sehr gut zu kennen. Beeinflusst durch ein revolutionär geprägtes Elternhaus, in dem Frantz Fanons Schriften Pflichtlektüre für alle waren, und den in Deutschland erlebten Zeitgeist der 1968er Jahre, verließ er Deutschland 1971 Richtung Rom, um von dort aus möglichst schnell in ein anderes Land geschickt zu werden und das Studium fortsetzen zu können. In Italien begann eine Zeit des Wartens, der Frustration und der Erkenntnis, dass die Wahrheit viele Gesichter hat und manches dieser Gesichter sich bei genauer Betrachtung zur Fratze verwandelt.

       ANSOUMANE CAMARA

       Jean Claudes Freund Ansoumane Camara, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, beschreibt in seinen Erinnerungen die gemeinsame Zeit in Italien und die darauffolgenden Studienjahre in der Schweiz. Der Text wurde im Juni 2016 von ihm in Französisch verfasst und von mir ins Deutsche übersetzt.

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       Ehemaliger Mitarbeiter der UNO in Genf in den Bereichen Finanzen und Budgetierung. Studium und Ausbildung in Guinea, Deutschland und Schweiz (jetzt im Ruhestand). Langjähriger Freund JCs seit ihrem gemeinsamen Aufenthalt in Rom.

      Wichtige Entscheidungen für eine unklare Zukunft

       Wartezeit in Rom 1971/1972

      Die »Landung« des portugiesischen Militärs in Kooperation mit der guineischen Opposition am 22. November 1970 in Conakry, der Hauptstadt Guineas, mit dem Ziel, das Regime Sékou Touré3 zu stürzen, hatte unerwartete Konsequenzen für die Studenten und Praktikanten Guineas in West-Deutschland und West-Europa zur Folge.

      Nachdem Sékou Touré überzeugt war, dass die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Länder Komplizen und somit beteiligt an diesem Überfall von außen waren, beendete er die diplomatischen Beziehungen zu diesen Ländern. Man schloss mehrere guineische Botschaften, unter anderem auch die in Bonn. Der Botschafter und sein Personal gingen nach Rom. Die Studenten und Praktikanten in der BRD wurden im Sommer 1971 von der guineischen Regierung aufgefordert, die BRD zu verlassen und in Rom auf weitere Instruktionen zu warten. Somit wurden sie zu Leidtragenden eines Vorfalls, mit dem sie nichts zu schaffen hatten. Ein Rundschreiben aus Rom forderte sie auf, sofort Deutschland zu verlassen und so schnell wie möglich nach Rom zu kommen. Jean Claude gehörte zu ihnen. Er war einer der ersten, der diesem Aufruf folgte. In Rom wurde er von einem Freund der Familie (Jean Camara) aufgenommen, der als Berater an der Botschaft Guineas in Rom tätig war und ihn während seines Aufenthalts in Rom unterstützte.

      Die Ankunft der vielen jungen Guineer in Rom führte zu erheblichen Problemen – Unterkunft und Versorgung waren nicht sichergestellt; es gab keine finanzielle Unterstützung durch die Regierung in Conakry. Es stellte sich heraus, dass der Abzug der Studenten aus der BRD ein Willkürakt des Botschafters Seydou Keitas war, der die Regierung in Conakry vor vollendete Tatsachen stellte. Die Studenten befanden sich, nachdem ihre kleinen Ersparnisse aufgebraucht waren, in einer prekären finanziellen Situation. Es war ein glücklicher Zufall, dass die damals sehr bekannte Balletttruppe aus Guinea, »Les Ballets africains de Guinee«, ebenfalls in Rom gestrandet war. Die Mitglieder dieser Gruppe unterstützten die mittellosen Studenten, indem sie sie häufig zum Essen einluden.

      Bei Jean Camara, der zu dieser Zeit noch unverheiratet war, konnte Jean Claude essen, wohnen und sich finanziell über Wasser halten. Einige Studentinnen und Studenten, zu denen zwei junge rebellische und feministische Frauen aus Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) gehörten, fanden sich dort ebenfalls regelmäßig zum gemeinsamen Essen ein, und Jean Claude heizte durch seine provokante Meinung immer wieder die Diskussionen an. Der Aufenthalt in Rom war von absoluter Unsicherheit bestimmt. Es war Dezember 1971, und es gab noch keine Entscheidung über die Zukunft der Studenten aus Guinea, die sich in Rom befanden. Mussten sie zurück nach Guinea oder konnten sie ihr Studium in einem anderen Land weiterführen, zum Beispiel im damaligen Ostblock, der das Regime in Guinea unterstützte? Unter diesen Bedingungen entschieden sich einige Studenten, auf eigenes Risiko nach Deutschland zurückzukehren.

      Manche Gepflogenheiten eines totalitären Regimes spiegeln sich wider im Verhalten der betreffenden Gesellschaft; Bespitzelungen und Misstrauen machten sich innerhalb der Gruppe bemerkbar. Es stellte sich bald heraus, dass der guineische Botschafter die Verunsicherung der wartenden Studenten und Praktikanten für seine eigenen politischen Zwecke benutzte. Es fanden immer häufiger Versammlungen statt, um auf die Studenten Einfluss zu nehmen. Die offizielle Adresse für alle war die Botschaftsadresse. Briefe, die aus Deutschland kamen, wurden schlecht verschlossen dem eigentlichen Empfänger übergeben, sodass jeder sofort wusste, dass die Briefe geöffnet und gelesen worden waren. Diese Tatsache und die allgemeine schlechte Situation der Studenten provozierten heftige Reaktionen innerhalb der Gruppe. Jean Claude nutzte sein Talent als Mediator, um die Gruppe zu beruhigen und die Situation zu entschärfen. Durch diesen Einsatz wurde er innerhalb der Gruppe sehr bekannt. Die Wartezeit in Rom war endlos. Monate vergingen, bis endlich das Dekret »Responsable Suprême de la Revolution« (Sékou Touré) eintraf. Es durften acht Studenten in West-Europa (nicht in der BRD) bleiben und ihr Studium fortsetzen; zu ihnen gehörte Jean Claude. Alle anderen mussten sofort zurück nach Guinea. Die Gruppe, die ihre Ausbildung im Post- und Telekommunikationswesen machte, fand Ausbildungsmöglichkeiten in der