nur einige Monate in der Schweiz und entschieden sich, alsbald nach Guinea zurückzukehren. Bis auf mich. Ich entschied mich, nach Bochum zu gehen, um mein Studium dort zu Ende zu führen.
Guineische Gemeinschaft in der Schweiz 1972 bis 1977
Für Jean Claude setzte sich die unerträgliche Wartezeit fort. Jeden Monat gab es ein neues Versprechen, einmal sollte es Belgien sein, dann wieder die Schweiz und so fort. Im Sommer 1972 entschied er sich, ohne das offizielle Ende der Verhandlungen zwischen der guineischen Botschaft und den Schweizer Behörden abzuwarten, in die Schweiz zu reisen, um sich an der Universität in Genf einzuschreiben. Er kam in Genf an mit fast nichts in den Taschen, aber er fand auch hier Studenten aus Guinea, die er kannte. Bei einem von ihnen konnte er vorübergehend wohnen; er hatte keine andere Wahl. Die meisten Studierenden seiner Generation kannten sich aus ihrer Zeit im Gymnasium, denn es gab nur drei Gymnasien in Guinea. Sehr schnell stellte sich heraus, dass gerade dieser »Freund« einer von Sékou Tourés Spitzeln in Genf war. Jean Claude musste sich mit dieser unangenehmen Situation abfinden, während er sich nach einer anderen Unterkunft umschaute und vor allem nach finanzieller Unterstützung suchte. Er schrieb sich in der Fakultät der Sozialwissenschaften in Psychologie ein, blieb für ein Semester, um sich dann 1973 in Lausanne ebenfalls für das bereits in Deutschland begonnene Psychologiestudium einzuschreiben. Mit Hilfe des Honorarkonsuls von Guinea, Herrn Franzin, fand er im Stadtviertel Montely ein Appartement, zu groß für einen Studenten – zwei Schlafräume, ein sogenannter Salon (ein vergrößerter Flur, der zum Salon umfunktioniert wurde), eine kleine Küche und ein Bad. Aufgrund dieser günstigen Voraussetzungen ließ er seinen Jugendfreund Bah Souleymane, genannt Roby, der sich in der Elfenbeinküste aufhielt, kommen, damit dieser ebenfalls seine Studien in der Schweiz aufnehmen konnte.
Im Erdgeschoss, direkt am Eingang des Hauses, befand sich eine Kneipe, die sich »Chez Charly« nannte. Wenn man in die Wohnung im dritten Stock wollte, dann musste man am Eingang der Kneipe vorbei, sodass dieses Lokal zum zweiten Wohnzimmer all derer wurde, die sich in der Wohnung vorübergehend – mal länger, mal kürzer – aufhielten. Sie tranken alle sehr gerne, nur ich, genannt »Sir Lipton«, ein Freund aus der Zeit in Rom, widerstand dem Alkohol. Eine Etage unter JCs Wohnung lebte ein altes Ehepaar mit bewundernswerter Toleranz. Niemals wurde von ihnen die Polizei gerufen wegen des Lärms, der aus der oberen Wohnung, die sich zu einem Hauptquartier für Exilguineer entwickelt hatte, kam.
Sehr schnell formierte sich eine Gruppe Guineer um Jean Claude; manche waren am Ende ihres Studiums angekommen, andere studierten oder gingen anderen Beschäftigungen nach. Seine Adresse in Montely wurde zum Treffpunkt der guineischen Gemeinschaft der Schweiz und der grenznahen französischen Region und all derer, die dachten, die Welt neu zu gestalten: Afrikaner, Südamerikaner, Portugiesen. José und Nica, Studienkollegen und Freunde, ließen ihn Portugal entdecken. Es war die Zeit der Nelkenrevolution in Portugal, der Sandinisten in Nicaragua und der Sahrauis im Süden Marokkos. Die politischen Diskussionen waren anregend und endlos, vor allem wenn der Duft der Soßen, die auf dem Herd köchelten, durch die Wohnung zog. Man muss sagen, dass das kulinarische Talent des Wohnungsbesitzers bei allen Freunden hochgeschätzt war.
Jugendfoto – JC und seine Freunde (1965/66)
Während der Sommerferien kamen viele guineische Studenten aus den osteuropäischen Ländern in die Schweiz, vor allem nach Lausanne, um Ferienjobs zu finden. Einige waren Kommilitonen Jean Claudes aus dem klassischen Gymnasium in Donka (Conakry) oder alte Bekannte aus anderen Regionen Guineas. Sie kamen ohne einen Cent in der Tasche und läuteten an seiner Tür. Er stellte niemals eine Frage, sondern nahm sie auf. In der Sommerzeit sah die Wohnung wie ein Feriencamp aus. Jean Claude verbrachte in dieser Zeit seine Nächte bei Freunden oder bei Barbara, seiner späteren Frau, die nach Lausanne gekommen war, um Französisch zu lernen. Trotzdem gab es nie genug Schlafplätze für alle. Für das Essen fand man immer Mittel und Wege. Ein großer Topf mit Schweinsfüßen in Soße erfüllte selbst für die Moslems, die in der damaligen Zeit wenig praktizierend waren, seinen Zweck. Auch das künstlerische Talent einiger erlaubte es, die Töpfe zu füllen. Alain Zayat und »Gaspard« fertigten an manchen Abenden naive Bilder mit afrikanischen Motiven, keiner wusste, woher ihr Talent als Maler stammte. Andere, talentiert als Verkäufer, fuhren am darauffolgenden Tag aufs tiefe Land und verkauften die Ergebnisse des Vorabends mit mehr oder weniger Erfolg. Ihre Rückkehr wurde ungeduldig erwartet, denn ein Teil der Einnahmen wurde für die abendliche Kochaktion genutzt. Der Rest wurde meist am gleichen Abend ausgegeben, in der Piano-Bar »l’AMIRAL« bei Johny, einem Bruder aus dem Maghreb, der mit einer seltenen Freundlichkeit ausgestattet war. Diejenigen, die keinen Schlafplatz bei Jean Claude gefunden hatten, behalfen sich durch eine Eroberung des Abends.
All dies führte immer wieder zu mehr oder weniger großen finanziellen Sorgen für Jean Claude als verantwortlichem Mieter des Appartements. In der Wohnung gab es ein Telefon, das für jedermann zugänglich war. Dies hieß, dass er regelmäßig Telefonrechnungen über mehrere Hundert Schweizer Franken erhielt. Eines Tages waren es mehr als tausend Franken, daraufhin ließ er das Telefon entfernen. Da es zu dieser Zeit noch keine Mobiltelefone gab, musste von da an jeder, der telefonieren wollte, in eine Telefonzelle gehen.
Während dieser Zeit in Lausanne trieb Jean Claude regelmäßig Sport, Basketball – sein Lieblingssport – mit seiner Unimannschaft und Fußball in der Afrika-Mannschaft von Lausanne. Die Treffen der Mannschaften Genf gegen Lausanne fanden auf einem Platz im Park von Vidy statt. Die Spiele steigerten sich so manches Mal zu einem folkloristischen Vergnügen. Sobald der Abpfiff ertönte, stürmten alle ins »Chalet«, eine Pizzeria, um ihren Durst zu stillen, und Jean Claude vergnügte sich am »Baby Foot« (Tischfußball).
Wenn man eine offizielle Erlaubnis der Regierung Guineas für die Fortführung des Studiums in der Schweiz hatte, bekam man ein monatliches Stipendium von etwa 280 bis 300 Franken. Leider erreichte diese eher mäßige Unterstützung die Studierenden nicht. Jean Claude erhielt dieses Geld nur drei oder vier Monate lang. Im Juli 1973, als er zur Hochzeit seines Freundes und Unterstützers Jean Camara nach Rom fuhr, nahm er die Gelegenheit war, sich beim Botschafter Guineas über diese Situation zu beschweren, der ihm dann den Vorwurf machte, sich nicht rechtzeitig gemeldet zu haben und die Buchhaltung zu einer freundlichen Geste beauftragte. Die Geste war lächerlich.
Wenn es sein Studienzeitplan zuließ, machte er hier und dort kleine Jobs an Samstagen, um seine finanzielle Schieflage etwas zu verbessern. Eines Tages fand er eine Arbeit in einer Fabrik für Schmiermittel, die auch Reinigungsmittel verkaufte. Er verdiente 80 Franken pro Tag. Diese Summe wurde ihm am Ende des Tages bar ausbezahlt. Diese Konditionen machten die Arbeit für einen Studenten reizvoll, auch wenn sie schmutzig war. Wenn er am Abend nach Hause kam, gab er einen Teil des Geldes für das Essen seiner Besucher aus. Die Arbeit wurde in einer staubigen Lagerhalle durchgeführt, in der alte Klamotten nach bestimmten Kategorien sortiert werden mussten. Manchmal überließ er einem Freund seinen Arbeitsplatz, damit dieser sich etwas Geld verdienen konnte. Ein alter guineischer Beamter, der geflohen und ohne einen Cent in Lausanne gestrandet war, erzählte mit großer Begeisterung von einem Geschenk des Himmels. Jean Claude hatte ihm damit die Möglichkeit gegeben, eine Zugfahrkarte von Genf nach Paris zu kaufen, um sich einige Nächte in einem Hotel zu leisten und Freunde zu treffen. Jean Claude – charmant, klug und aufgeweckt mit einem angenehmen und Vertrauen erweckenden Äußeren – ließ die meisten Frauen nicht unberührt. Die Besitzerin und Chefin dieses Unternehmens verfiel dem Charme dieses höflichen jungen Mannes mit guten Manieren, der es sehr gut verstand, eine Freundschaft zu pflegen und zu halten. Die Dame war zwar 20 Jahre älter, aber sehr elegant, gutaussehend und geistreich. Auch war sie sehr großzügig; zu Jean Claudes Geburtstag lud sie seinen engeren Freundeskreis in ein gutes Restaurant ein. Man feierte fröhlich und ausgelassen. Zwei kluge Köpfe neckten und maßen sich, und dieses Spiel machte ihnen ungeheuren Spaß. Das gab den Geburtstagen einen besonderen Charakter. Auch Jahre später, wann immer Jean Claude in die Schweiz kam, besuchte er diese Dame und unterhielt diese Freundschaft bis an sein Lebensende. Seine Beziehung zu einer Italienerin war ganz anders: sehr theatralisch und kurz. Jedoch, selbst in diesen Augenblicken der Sorglosigkeit blieb »die Deutsche«, die in den Augen der