Christoph Busch

EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA


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souverän und kompetent gegenüber.

      Aber auf seinem Terminkalender in Sanski Most standen nicht nur Gespräche mit wichtigen Personen. Er nutzte vielmehr die Zeit seines Aufenthaltes vor Ort, um neue Kontakte zu knüpfen. Ihn interessierten auch informelle Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen. Ihre Erfahrungen im Jugoslawienkrieg und in der Zeit danach versuchte er zu verstehen. Ich glaube, er wollte dabei auch herausfinden, auf wen er sich hier verlassen konnte.

       Aufbruchsstimmung in Bosnien

      So fuhr er mit einem der muslimischen Bosnier ins benachbarte serbische Prijedor. Der hatte dort bereits vor dem Krieg ein Café aufgebaut und eingerichtet. Aber im Krieg selbst war er bedroht und aus seinem Café verjagt worden. Jetzt fuhr und ging der ursprüngliche Café-Besitzer zum ersten Mal wieder genau an diesen seinen früheren Ort zurück – mit Jean Claude an seiner Seite. Jean Claude fand den Kontakt zu einem nach Deutschland geflüchteten und nun wieder nach Sanski Most zurückgekehrten Automechaniker. Der war voll unternehmerischer Energie und plante, in seiner früheren Heimatstadt eine Werkstatt zu errichten. Ja, sagte das zuständige städtische Amt, das ist ja schön und gut. Aber wenn du es dir leisten kannst, eine Werkstatt zu eröffnen, dann hast du in Deutschland bestimmt viel Geld verdient und kannst nun auch deiner Stadt erst einmal eine gute Summe bezahlen. Aber wie sollte er das Geld aufbringen? Auch einen anderen Mann wollte Jean Claude Diallo kennenlernen. Der war in Omarska eingesperrt gewesen, dem, wie es hieß, schlimmsten aller serbischen Konzentrationslager. Der Mann erzählte vom Hunger, von Folter, von der ganzen Hölle, die er dort erlebt hat. Aber er redete auch davon, wie er jetzt versucht, wieder ins Leben zu kommen. Jean Claude war Psychologe. So fand er Zugang zur Arbeit einer Psychologin. »Ich arbeite mit der Cranio-Sakral-Therapie«, sagte sie. Mit diesem Ansatz bot sie Beratung und Therapie an für vom Krieg Traumatisierte. Bereits Ende der 1990er Jahre konnte man in Bosnien Hilfs- und Aufbauaktivitäten arabischer Länder bestaunen. Es waren vor allem neue Moscheen, die zahlreichen bosnischen Dörfern und Städten gespendet worden waren. Jean Claude wollte diese neuen muslimischen Gotteshäuser gerne auch von innen anschauen. So kam es zu Kontakten und Gesprächen mit Vertretern von Moscheegemeinden in ihren feinen, neuen Räumen. Und Jean Claude spürte im serbischen Prijedor eine kleine protestantische Gemeinde auf. Sie kam in einem als Gebetsraum notdürftig hergerichteten Wohnzimmer zusammen – eine kleine, ärmliche Gruppe, die noch keinen ausländischen Spender gefunden hatte.

      Bezim Hrnic war einer der neuen bosnischen Freunde. Er lud einmal in sein Zuhause ein, zum Abendessen zusammen mit seiner Familie. An diesem Abend haben wir viel gelacht über die Tücken des Alltags und über unerwartetes Glück im erlebten Mangel. Die Familie erzählte von Schulen und von Spielplätzen, und wir haben geredet von Freundschaft oder von Haustieren, von Lieblingsessen und von all dem, was junge Eltern und ihre Kinder in Sanski Most in dieser Zeit bewegte. »Fenix« nannte sich eine der wenigen größeren Initiativen in Sanski Most, die von Bosniern selbst getragen war, eine Fraueninitiative mit einem breiten Angebot. In ihrem Zentrum am Rande von Sanski Most gab es regelmäßig eine Suppenküche, Kindergruppen, medizinische Betreuung, Beratungen und anderes mehr. All das wurde bei Fenix angeboten und mit großem persönlichem Engagement von Frauen für Frauen organisiert. Zu dieser bewundernswerten Initiative hat Jean Claude regelmäßig Kontakt gehalten. Es waren informative und oft bewegende Begegnungen, die sich auf den Fahrten in oder aus Sanski Most heraus ergeben haben. Jean Claude Diallo blieb bei allem Beeindruckenden trotzdem kritisch. Einmal schimpfte er leise vor sich hin: »Ich verstehe das nicht! Diese Bosnier können noch nicht einmal in ihren eigenen Vorgärten Blumen pflanzen!« Denn er war fest davon überzeugt: Die vielen externen Hilfen sind nur sinnvoll und nachhaltig als ein Anschub. »Wenn die Hilfe von außen nur angenommen, aber nicht aufgenommen wird, dann wird das ganze schnell verpuffen. Ich hoffe darauf«, so sah es Jean Claude, »dass Bosnier in Bosnien eigene Initiativen entwickeln und dass sie selbst anpacken.«

       Brüche und Widersprüche

      Zu einem ersten Riss zwischen den Gesprächspartnern aus Sanski Most und uns Frankfurtern kam es ausgerechnet in Frankfurt. Jean Claude hatte die Gruppe aus Sanski Most nach Frankfurt eingeladen, und sie kamen tatsächlich. Bei diesen Gesprächen sollte nun die inhaltliche Konzeption für das geplante Begegnungszentrum weiter, möglichst sogar abschließend erarbeitet werden. Aber bereits zu Beginn der Gespräche entstand eine für uns nicht erklärbare Unruhe unter unseren Gästen aus Sanski Most. Bis schließlich einer der Bosnier erregt aufsprang und lautstark forderte: »Wir haben kein Interesse an einer Konzeption, wir wollen Euer Geld!« Der Widersinn dieser Forderung war schnell aufgeklärt. Denn der Geldgeber des Projektes war und blieb ja in jedem Fall die EU! Sie würde die Gelder freigeben für Hilfs- und Aufbauprojekte im zerstörten Bosnien. Zuvor war es jedoch unsere gemeinsame Aufgabe, einen entsprechenden Antrag mit Konzeption zu erarbeiten und einzureichen. Freilich blieb der einmal entstandene Unmut.

      Es gab bei der Zusammenkunft in Frankfurt ein weiteres Ereignis, das wir uns zu dem Zeitpunkt nicht erklären konnten. Bürgermeister Alagic gehörte ebenfalls zu der Delegation, die aus Sanski Most nach Frankfurt gekommen war. Doch er erschien erst zwei Tage später und berichtete, man habe ihm die Ausreise beinahe nicht genehmigt. – Warum denn das? Wir fanden keine Antwort. Die Antwort auf diese Frage kam schneller als gedacht. Die bosnische Gruppe war gerade erst wieder zurück nach Sanski Most gefahren. Da erhielt Jean Claude die Nachricht: Mehmed Alagic ist verhaftet worden! Wie bitte? Ja! Tatsächlich! Er sitzt im Gefängnis in Den Haag! Dort ist er angeklagt vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen. Diese Nachricht machte uns, die wir in dem Projekt engagiert waren, fassungslos. Der Vorwurf lautete: Alagic und seine bosnischen Truppen hätten im Bosnienkrieg gemeinsame Sache mit Mudschahedin-Truppen gemacht. Mit ihnen zusammen hätten Alagic und seine Truppen serbische Dörfer überfallen, zerstört und sie hätten in diesen Dörfern alle Einwohner getötet – Kinder, Frauen, Alte. Unglaublich! Und nun? Jean Claude erklärte das Projekt Begegnungsstätte in Sanski Most sofort für beendet. Ich glaube heute, Jean Claude konnte sich in dem Moment nicht mehr vorstellen, mit welchen Partnern aus Sanski Most er das Projekt Begegnungszentrum nun hätte realisieren sollen. Wie hätte man in Bosnien jetzt wem vertrauen können? Welche Netzwerke hatte es in der Stadt gegeben, in der Alagic Bürgermeister war? So hat sich das Fenster der Hoffnung auf einen Neuanfang in Bosnien im Zeichen der Völkerverständigung und des Dialogs von einem Tag auf den anderen fürs Erste geschlossen. Der schwere Vorwurf gegen Mehmed Alagic konnte vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht geklärt werden. Denn nur wenige Monate nach seiner Inhaftierung ist er dort an einer Krebserkrankung gestorben. Welche Rolle Alagic auch immer als General im Bosnienkrieg gespielt haben mag: Es gilt inzwischen als gesichert, dass die muslimisch-bosnische Armee im Bosnienkrieg von ungefähr 6000 Soldaten aus mehreren arabischen Staaten unterstützt worden ist. Es muss eine bunte Söldnertruppe gewesen sein – Afghanen, Tschetschenen, Pakistani, Ägypter, Irakis …

      Im Frühsommer nach all dem rief mich Jean Claude Diallo eines Tages an: »Du, Christoph. Es ist noch Geld auf dem Konto für Sanski Most. Ich möchte es persönlich dorthin bringen. Kommst Du mit?«

      Wir trafen uns in Zagreb. Barbara und Veronika waren dabei. Sie fuhren am nächsten Tag wieder nach Frankfurt. Jean Claude und ich fuhren weiter nach Sanski Most. Wieviel Geld noch auf dem Konto war und wem er davon wie viel gegeben hat, weiß ich nicht. Wir hielten uns nicht lange in Sanski Most auf. Und fuhren schon bald zum letzten Mal von Sanski Most aus wieder zurück nach Frankfurt.

      Allerdings wollte Jean Claude vor unserer Abfahrt gerne noch einen Besuch machen. Wir besuchten die junge Familie, die Familie mit den beiden Kindern.

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      Frankfurter Delegation mit Mitstreiter*innen aus Sanski Most bei der Besichtigung des Grundstückes an der Sana, auf dem das Begegnungszentrum entstehen sollte.

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      JC als junger Mann

       Wie kam Jean Claude überhaupt nach Deutschland, und wie haben wir uns kennengelernt? Jean