Gustav Weil

Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten


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sie ans Fenster und schlug die kleinen, blinden Scheiben ein, aber Rauch und Flammen drangen ihr entgegen, und in demselben Augenblick schoß das brennende Strohdach herab und hüllte alles in einen lohenden Flammenmantel. Noch ein kurzes, halbersticktes Kreischen, und dann war es still.

      Aber aus dem zusammenstürzenden Gebäude schoß eine riesige Flamme empor, und auf ihrer Spitze schwebte eine mächtige Eule, der Rauch und Feuer nichts anhatten. Sie flog mit gellendem Schrei dreimal um die Brandstelle und schoß dann auf Balthasar nieder und hackte nach seinen Augen. Dieser schlug nach ihr, allein er vermochte sie nicht zu treffen und sich ihrer nicht zu erwehren. »Kuwit! Kuwit!« schrie das Tier, und unermüdlich stieß es auf ihn nieder. Schon blutete sein Gesicht aus mehreren Wunden – ein Entsetzen befiel ihn, und er versuchte zu entfliehen. Wie ein gehetztes Wild rannte er in das Moor hinein, stolperte und fiel und raffte sich wieder auf, aber der wütende Vogel ließ nicht ab von ihm. Zuletzt verschwand der Gehetzte zwischen den Weidenbüschen des Moors, das Geschrei der Eule klang ferner und verstummte endlich ganz.

      Ein Weiden schneidender Korbmacher fand nach einigen Tagen Balthasars Leichnam in einem der tiefsten Moorlöcher. An der Stelle, wo die Hütte der Wetterhexe gestanden hat, ist es nicht geheuer. Man will dort auf der Brandstelle zuweilen eine schwarze, zusammengekauerte Gestalt gesehen haben, die von Zeit zu Zeit einen klagenden Schrei ausstößt wie eine Eule: »Kuwit! Kuwit!«

      Das Zauberklavier

      (Heinrich Seidel)

       Inhaltsverzeichnis

      Ganz hinten in der Welt, wo die Geographie zu Ende ist und die Weltgeschichte aufhört, lag ein sehr angenehmes Königreich. Die Untertanen waren recht artige und regierliche Leute, so daß der König morgens immer eine Stunde länger schlafen konnte als seine Nachbarkönige. Ja, zuweilen kam es vor, daß er des Vormittags, von zehn bis zwölf, wo er gewöhnlich zu regieren pflegte, mit Krone, Zepter und Reichsapfel in seinem Regiersaal saß und gar nichts zu regieren da war.

      In seinem Königreich waren die meisten Leute Gelehrte und Büchermenschen. Dies kam daher, weil es so hübsch abgelegen war und der große Spektakel, den die übrigen Menschen in der Welt machten, dort fast gar nicht vernommen ward.

      Es gab jedoch noch einige andere Leute in dem Königreich. Erstens waren da die Frauen, Kinder und sonstigen Angehörigen der Büchermenschen und zweitens Leute, die nichts Besonderes an sich hatten, wie man sie in allen Königreichen findet. Diese langweilten sich sehr oft, denn die Büchermenschen hatten niemals Zeit, sich mit ihnen zu unterhalten.

      Da begab es sich, daß aus einem sehr entfernten Königreich ein Mann einzog, der ein Klavier mitbrachte. Er verstand nun zwar nicht besonders, darauf zu spielen, allein er vermochte ihm doch einige Melodien abzukneifen, die in dem Königreich sehr beliebt waren. Dies ward bald bekannt, und in drei Tagen wußte man allgemein, daß der fremde Mann, der so weit hergekommen sei, einen Zwitscherkasten im Hause habe, auf dem er mit den Fingern Musik mache. Nun dauerte es nicht lange, da hatte jeder im Königreich, die Büchermenschen natürlich ausgenommen, die sich niemals um dergleichen bekümmerten, abends vor dem Fenster des fremden Mannes gestanden und hatte diese Zaubertöne selber gehört. Die Folge davon war, daß eine allgemeine Sehnsucht im ganzen Lande entstand, auch solche Musikkiste zu besitzen, und sich ein allgemeines Kribbeln in den Fingern regte. Nachdem man erfahren hatte, wo diese Instrumente zu haben seien, ward gleich eine ganze Schiffsladung voll bestellt, und man übte sich einstweilen auf Fensterbrettern und Kommoden, um sich wenigstens vorläufig das Kribbeln in den Fingern ein wenig zu vertreten.

      Die Klaviere kamen an und wurden bei vielen Leuten aufgestellt. Diese begannen nun darauf zu spielen, allein sie bemerkten, daß diese Instrumente auf eine besondere Weise bearbeitet sein wollten, um solche Töne herzugeben, wie man sie von ihnen erwartete. Der fremde Mann wurde um Rat gefragt, und er sagte, er kenne bei sich zu Lande einen sehr berühmten Klavierschläger, der besitze die Kunst, auch anderen Leuten diese Fertigkeit beizubringen. Den müßten sie sich verschreiben. Dieses taten sie auch, und der Mann kam und begann seine Arbeit. Sie verwunderten sich baß, als sie den zuerst spielen hörten. Der schlug das Klavicymbalum vorwärts und rückwärts und mit verbundenen Augen und zappelte dabei so mit den Händen, daß einem Hören und Sehen verging. Er bekam gleich so viel Unterricht zu geben, daß er es nicht allein bewältigen konnte und sich noch drei handfeste Gehilfen verschreiben, mußte. So geschah es, daß in diesem Königreiche das Klavierspiel in Mode kam.

      Anfangs machte es noch nicht so viel aus, daß in vielen Häusern gar kein Klavier und in anderen nur eine derartige Fingertretmaschine vorhanden war, aber dies blieb nicht so. Da die Leute sahen, wie lieblich darauf zu spielen sei, so griff es immer weiter um sich, und die Alten sagten: »Wenn wir es auch nicht mehr lernen können, so sollen es doch unsere Kinder lernen.« Und kaum hatten nun diese Würmer laufen gelernt, so wurden sie auf den Musikstuhl geschraubt und mußten Tonleitern spielen. Denn der große Klavierschläger hatte gesagt, dies seien die einzigen Leitern, die in den Musikhimmel führten. Dies ging so fort, bis es zu einem Grade gelangte, wo es staatsgefährlich wurde. Es wurden allmählich immer mehr dergleichen Leiselautfingerklopfkasten, wie sie in der Landessprache genannt wurden, im Lande aufgestellt, und es ereignete sich, daß zur Zeit der Höhe der Epidemie in einem einzigen Hause sieben Stück vorhanden waren. Wenn diese nun alle gleichzeitig in verschiedener Weise in Tätigkeit gesetzt wurden, so konnte man schon genug davon bekommen. Es war nun den ganzen Tag über in dem Königreiche ein immerwährendes Geklimper, dem man nur entrinnen konnte, wenn man in die tiefste Einsamkeit flüchtete. Es kamen betrübende Folgen zum Vorschein. Eines Tages versammelten sich sämtliche Lerchen, Nachtigallen und andere Singvögel, die in dem Reiche wohnhaft waren, in einem großen Walde und zogen gemeinschaftlich fort, denn die Konkurrenz war ihnen zu groß geworden.

      Es kamen so viele Klagen an den König, daß er das ganze Vergnügen an seinem Geschäft verlor. Wenn er früher oft von zehn bis zwölf nichts zu regieren hatte, so mußte er jetzt schon um neun Uhr in seinen Regiersaal gehen und hatte so lange zu tun, alle Beschwerden der durch das Klavierspiel geplagten Untertanen anzuhören, daß er nicht selten seine Mittagssuppe kalt werden lassen mußte. Da endlich kam eine Deputation der bedeutendsten Männer des Königreiches und stellte ihm das Elend des Landes in der beweglichsten Weise vor:

      »Majestät«, sagte der erste, »es schreit gen Himmel, und es muß ein Ende gemacht werden. Zu meinem Turm dringt es herauf, verworren wie eine Milchstraße von Tönen, und wirrt meine Gedanken durcheinander. Ich habe seit sechs Monaten keinen neuen Stern entdecken können, und wenn der, dessen Bahn ich neulich berechnet habe, wirklich so läuft, so würde er in acht Tagen das ganze Weltsystem in Grund und Boden bohren! Haben Sie Erbarmen!«

      »Majestät«, sagte der zweite, »seit dreißig Jahren suche ich den Stein der Weisen. Vor einem halben Jahre war ich ihm auf die Spur gekommen; und ich hätte ihn gefunden, da kam diese satanische Trommelmusik, und der Nebelschleier, der sich schon vor dem großen Geheimnis gelüftet hatte, schloß sich wieder zusammen, und der leitende Faden glitt mir aus den Händen und zerriß. Das Geheimnis ist mir auf ewig verloren. O ich armer, geschlagener Mann!«

      Der dritte war eben von seinen schweinsledernen Büchern aufgestanden und hatte noch die Augen voll Bücherstaub und die Ohren voll Klaviermusik; er war ganz schwindlig, daß er nicht in seinem Studierzimmer war, und konnte nichts weiter als seufzen. »Oh«, sagte er nur, aber es lag ein großer Jammer darin.

      Der vierte sah sehr niedergeschlagen aus: »O Majestät«, sprach er, »ich bin ein ruinierter Mann. Sämtliche Käsekrämer und Lichtzieher im ganzen Königreich haben mir ihre Kundschaft aufgesagt, weil ihre Kunden das Einwickelpapier, für das ich sonst die Erzählungen und Gedichte geschrieben habe, nicht mehr lesen wollen. Sie sagen, es sei zu langweilig und dumm. Aber wer kann bei dieser Musikplage etwas Vernünftiges schreiben? Wenn es nicht aufhört, muß ich verhungern.«

      Jetzt kam der fünfte daher, der sah ganz perplex aus und stierte gedankenlos vor sich hin. Zuweilen summte er in den Bart: »Didudel, dididel, didudel, dididel.«

      Als er gar nichts weiter sagte, fragte der König endlich: »Sprecht, was habt Ihr mir vorzutragen?«