Gustav Weil

Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten


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die ohne Kutscher auf den Ruf gehorchten. Wenn sie dann recht in der Einsamkeit angelangt war, schlug sie das Lederwerk zurück, das das Klavier einhüllte, und fing an zu spielen. Rings um den ganzen Wald aber waren große Tafeln errichtet, auf denen zu lesen stand, daß es jedermann aufs strengste verboten sei, diesen Wald zu betreten. Es war sehr wunderbar, wenn die weißen Einhörner so verständig in den weichen Sandwegen den Wagen einherzogen und die Prinzessin dazu eifrig Klavier spielte, daß es durch den Wald schallte.

      Eines Tages kam sie mit dem ersten Buch zu Ende. Am folgenden Morgen zog sie ihr neues Kleid an, das sie zum letzten Weihnachten bekommen hatte, setzte ihre kleine Sonntagskrone mit den Diamanten auf und fuhr mit dem zweiten Buch in den Wald.

      Auf dem schönsten freien Platze, der im Walde zu finden war, ließ sie die Einhörner halten. Sie schlug das Buch auf und fing an zu spielen.

      Wie klang das herrlich durch den Wald, es stieg von dem Klavier auf wie ein Springbrunnen von Wohllaut und breitete sich aus ringsum. Bei den ersten Tönen standen alle Blätter im Walde still und lauschten, und alle Blumen, die in der Knospe waren, fingen an zu blühen. Dann schwoll es immer schöner an, und die Schmetterlinge hörten auf zu flattern und die Käfer auf zu kriechen. Aber als die Prinzessin weiterspielte, verstummten alle Vögel, kamen leise geflogen, setzten sich auf die Bäume, die um den freien Platz standen, und hörten zu.

      Dann hörten die Rehe und Hirsche auf zu äsen und die Hasen auf, Purzelbäume zu machen, und kamen herbeigelaufen und horchten. Immer herrlicher und voller erklang es, die Töne brausten durch die Wipfel und schwammen hinaus ins freie Land, und wer es hörte, der ließ alles stehen und liegen und folgte ihnen nach. Sie drangen hinauf zu den Türmen der Astronomen und schwebten in die dumpfigen Studierzimmer der anderen. Die Astronomen hörten auf zu rechnen, wenn auch eben gerade das Fazit kommen wollte, die anderen legten die Feder oder das Buch fort und gingen sofort dem holden Klange nach. Selbst der große Denker hörte mitten im Satze auf zu denken und wanderte, wie er ging und stand, dem Walde zu.

      Der König war gerade dabei, sich zu rasieren, er stand in seinem Brokatschlafrock mit seiner Hauskrone auf dem Kopfe vor dem Spiegel und hatte gerade die eine Hälfte seines Bartes abgeschabt, als mit einem Male das herrliche Klingen durch das offene Fenster hereingeschwebt kam. Er legte sofort das Messer aus der Hand, wischte sich den Seifenschaum aus dem Gesicht, ergriff sein Spazierzepter und wanderte dem Walde zu. Unterwegs stieß er auf große Scharen seiner Untertanen, die alle den gleichen Weg zogen. Sie sprachen nicht miteinander, sondern zeigten nur zuweilen vor sich auf den Wald, woher die herrlichen Klänge kamen, und schritten wacker fürbaß.

      Unterdessen saß die Prinzessin an ihrem Klavier und spielte und wußte selber kaum, wie ihr geschah. Unter ihren Händen quoll es hervor in immer neuen Strömen von Wohllaut, und es war ihr, als würde sie emporgetragen und schwebe in einem goldenen Schimmer weit über der Welt und ihrer Niedrigkeit.

      Als nun das Stück zu Ende war, da stand das ganze Königreich versammelt um sie herum, und alle hatten Tränen in den Augen. Der alte König aber trat hervor, umarmte seine Tochter und sagte gar nichts, denn er war sehr gerührt. Dann spannten die Leute die weißen Einhörner aus und sich selber an den Wagen und brachten die Prinzessin im Triumph in die Stadt.

      Am anderen Tage aber setzte der König sich an seinen Schreibtisch und verfaßte ein weises Gesetz, in dem das Klavierspiel wieder gestattet, durch viele verständige Paragraphen aber so eingeschränkt wurde, daß es nimmermehr so entsetzliche Wirkungen wieder hervorbringen konnte, als von ihm schon dagewesen waren. Und somit ist die Geschichte vom Zauberklavier zu Ende.

      Die Elfen

      (Ludwig Tieck)

       Inhaltsverzeichnis

      Wo ist denn die Marie, unser Kind? fragte der Vater.

      Sie spielt draußen auf dem grünen Platze, antwortete die Mutter, mit dem Sohne unsers Nachbars.

      Daß sie sich nicht verlaufen, sagte der Vater besorgt; sie sind unbesonnen.

      Die Mutter sah nach den Kleinen und brachte ihnen ihr Vesperbrodt. Es ist heiß! sagte der Bursche, und das kleine Mädchen langte begierig nach den rothen Kirschen. Seid nur vorsichtig, Kinder, sprach die Mutter, lauft nicht zu weit vom Hause, oder in den Wald hinein, ich und der Vater gehn aufs Feld hinaus. Der junge Andres antwortete: o, sey ohne Sorge, denn vor dem Walde fürchten wir uns, wir bleiben hier beim Hause sitzen, wo Menschen in der Nähe sind.

      Die Mutter ging und kam bald mit dem Vater wieder heraus. Sie verschlossen ihre Wohnung und wandten sich nach dem Felde, um nach den Knechten und zugleich auf der Wiese nach der Heuernte zu sehn. Ihr Haus lag auf einer kleinen grünen Anhöhe, von einem zierlichen Stakete umgeben, welches auch ihren Frucht- und Blumengarten umschloß; das Dorf zog sich etwas tiefer hinunter, und jenseit erhob sich das gräfliche Schloß. Martin hatte von der Herrschaft das große Gut gepachtet, und lebte mit seiner Frau und seinem einzigen Kinde vergnügt, denn er legte jährlich zurück, und hatte die Aussicht durch Thätigkeit ein vermögender Mann zu werden, da der Boden ergiebig war und der Graf ihn nicht drückte.

      Indem er mit seiner Frau nach seinen Feldern ging, schaute er frölich um sich, und sagte: wie ist doch die Gegend hier so ganz anders, Brigitte, als diejenige, in der wir sonst wohnten. Hier ist es so grün, das ganze Dorf prangt von dichtgedrängten Obstbäumen, der Boden ist voll schöner Kräuter und Blumen, alle Häuser sind munter und reinlich, die Einwohner wohlhabend, ja mir dünkt, die Wälder hier sind schöner und der Himmel blauer, und so weit nur das Auge reicht, sieht man seine Lust und Freude an der freigebigen Natur.

      So wie man nur, sagte Brigitte, dort jenseit des Flusses ist, so befindet man sich wie auf einer andern Erde, alles so traurig und dürr; jeder Reisende behauptet aber auch, daß unser Dorf weit und breit in der Runde das schönste sey.

      Bis auf jenen Tannengrund, erwiederte der Mann; schau einmal dorthin zurück, wie schwarz und traurig der abgelegene Fleck in der ganzen heitern Umgebung liegt; hinter den dunkeln Tannenbäumen die rauchige Hütte, die verfallenen Ställe, der schwermüthig vorüber fließende Bach.

      Es ist wahr sagte die Frau, indem beide still standen, so oft man sich jenem Platze nur nähert, wird man traurig und beängstigt, man weiß selbst nicht warum. Wer nur die Menschen eigentlich seyn mögen, die dort wohnen, und warum sie sich doch nur so von allen in der Gemeinde entfernt halten, als wenn sie kein gutes Gewissen hätten.

      Armes Gesindel, erwiederte der junge Pachter, dem Anschein nach Zigeunervolk, die in der Ferne rauben und betrügen, und hier vielleicht ihren Schlumpfwinkel haben. Mich wundert nur, daß die gnädige Herrschaft sie duldet.

      Es können auch wohl, sagte die Frau weichmüthig, arme Leute seyn, die sich ihrer Armuth schämen, denn man kann ihnen doch eben nichts Böses nachsagen, nur ist es bedenklich, daß sie sich nicht zur Kirche halten, und man auch eigentlich nicht weiß wovon sie leben, denn der kleine Garten, der noch dazu ganz wüst zu liegen scheint, kann sie unmöglich erhalten, und Felder haben sie nicht.

      Weiß der liebe Gott, fuhr Martin fort, indem sie weiter gingen, was sie treiben mögen, kommt doch auch kein Mensch zu ihnen, denn der Ort wo sie wohnen ist ja wie verbannt und verhext, so daß sich auch die vorwitzigsten Bursche nicht hingetrauen.

      Dieses Gespräch setzen sie fort, indem sie sich in das Feld wandten. Jene finstre Gegend, von welcher sie sprachen, lag abseits vom Dorfe. In einer Vertiefung, welche Tannen umgaben, zeigte sich eine Hütte und verschiedene fast zertrümmerte Wirthschaftsgebäude, nur selten sah man Rauch dort aufsteigen, noch seltener wurde man Menschen gewahr; jezuweilen hatten Neugierige, die sich etwas näher gewagt, auf der Bank vor der Hütte einige abscheuliche Weiber in zerlumptem Anzuge wahrgenommen, auf deren Schooß eben so häßliche und schmutzige Kinder sich wälzten; schwarze Hunde liefen vor dem Reviere, in Abendstunden ging wohl ein ungeheurer Mann, den Niemand kannte, über den Steg des Baches und verlor sich in die Hütte hinein; dann sah man in der Finsterniß sich verschiedene Gestalten, wie Schatten um ein ländliches Feuer bewegen. Dieser Grund, die Tannen und die verfallene Hütte machten wirklich in der heitern grünen