auf einmal verwandelte sich der eiserne Griff in einen lebendigen Aal, quietschte ihm aus der Hand und verschwand in der Wasserrinne neben der Straße.
»Auch das noch!« schrie Bengele, immer mehr vom Zorn erfaßt. – »Jetzt muß ich mir schon mit den Füßen helfen.«
Er nahm einen Anlauf und tat einen kräftigen Tritt gegen die Türe. Da gab ein Brett nach, der Fuß ging durch und blieb wie ein Nagel im Holze stecken. Vergeblich waren alle Anstrengungen des Hampelmannes; er brachte sein Bein nicht mehr heraus.
Mit einem Fuß auf dem Boden stehen und mit dem andern in einer Türe festgeklemmt sein, ist kein Vergnügen. Aber Bengele mußte aushalten.
Beim Morgengrauen wurde endlich die Türe geöffnet. Die wackere Schnecke war in neun Stunden vom vierten Stock herunter gekrochen; sie hatte sich wirklich beeilt.
»Was machst du denn mit dem Fuß in der Türe?« fragte sie Bengele.
»Das war eine dumme Geschichte. Schau mal, liebe Schnecke, ob du mir nicht heraushelfen kannst.«
»Mein Lieber, da muß ich schon den Schreiner kommen lassen; auf solche Arbeit verstehe ich mich nicht.«
»Dann geh und bitte die Mutter Fee, daß sie mich losmache.«
»Die Herrin schläft und will Ruhe haben.«
»Aber ich kann doch nicht den ganzen Tag wie ein Nagel in der Türe stecken!«
»Zähle zur Unterhaltung die Käfer, die auf der Straße vorbeilaufen!«
»Bring mir lieber etwas zu essen, ich bin halbverhungert!«
»Sofort!« sagte die Schnecke.
In der Tat kam sie nach drei Stunden wieder und trug eine Silberplatte auf dem Kopf. Darauf lag ein Brötchen, ein Stück Fleisch und vier schöne Aprikosen.
Für Bengele war das der erste Trost nach dem vielen Unglück. Aber auf seine Freude folgte sogleich die bitterste Enttäuschung: das Brot wurde in seiner Hand ein Stein, das Fleisch verwandelte sich in rostiges Eisen und die Aprikosen erwiesen sich als bunte Glaskugeln.
Der Hampelmann schäumte vor Zorn. Er faßte die Platte und wollte sie mit dem ganzen Inhalt hinaus auf die Straße werfen. Doch die Kräfte gingen ihm aus; ohnmächtig sank er zusammen und war wie tot.
Als Bengele wieder zu sich kam, lag er in seinem Bette. Die Mutter Fee saß neben ihm und sprach:
»Mein Kind, du bist sehr unartig gewesen; die Strafe dafür hast du heute nacht erhalten. Ich verzeihe dir deinen Leichtsinn; aber dies ist das letzte Mal.«
Bengele weinte und küßte der guten Mutter die Hand. Er versprach ihr fest, daß er keine Streiche mehr mache, und wurde sehr ernst.
Die gute Fee machte ihm neue Kleider, und Bengele ging wieder zur Schule. Bis zum Schlusse des Schuljahres lernte er mit großem Fleiße und war musterhaft brav.
In der Prüfung wurde er belobt und erhielt ein schönes Buch als Preis.
Die Mutter Fee war sehr zufrieden und sprach zu ihm:
»Von mir sollst du die schönste Gabe empfangen; morgen will ich deinen Herzenswunsch erfüllen. Nun verdienst du es nicht mehr, ein Hampelmann zu sein; über Nacht sollst du ein Knabe werden. – Wir machen morgen nachmittag ein kleines Fest in unserem Garten. Du darfst deine Schulkameraden dazu einladen. Es gibt Kaffee mit Kuchen, Butterbrot und Honig.«
Unbeschreiblich groß war Bengeles Freude. Was er als Hampelmann verübt und ausgestanden hatte, das alles soll vergangen und vergessen sein. Morgen fängt er als Knabe ein neues, glückliches Leben an.
Kein Hindernis schien mehr im Wege; aber ... In Bengeles Leben gab es immer wieder ein » Aber«, das alles Schöne verdarb.
Einunddreißigstes Stück.
Freund Röhrle.
Nach dem Mittagessen wollte Bengele seine Freunde im Städtchen aufsuchen und zum Feste laden.
Vor dem Weggehen mahnte ihn die Fee und sprach: »Achte darauf, daß du vor Dunkelheit wieder zu Hause bist!«
»In einer Stunde bin ich zurück«, sagte der Hampelmann zuversichtlich.
»Versprich nicht zu viel, Bengele! – Wer zu viel verspricht, hält gewöhnlich wenig.«
»Aber ich nicht! – Und erst, wenn ich ein Knabe bin ...«
»Abwarten! – Jetzt bist du noch ein Hampelmann. Wenn du heute nicht gehorchst, ist es dein größter Schaden.«
»Warum?«
»Wer nicht hören will, muß fühlen.«
»Das ist wahr. Ich habe es genug erfahren. Aber ich mache keine dummen Streiche mehr.«
»Abwarten!«
Bengele verabschiedete sich von der guten Mutter, sang und sprang und ging zum Hause hinaus.
In einer Stunde hatte er wirklich all seine Freunde eingeladen. Die meisten nahmen gerne an; manche ließen sich auch bitten. Doch als sie hörten, daß es dickgestrichene Butterbrote mit Honig gebe, sagten sie gerne zu. Äußerlich zierten sie sich freilich und meinten: »Wir wollen dir deine Freude nicht verderben.«
Bengeles bester Freund war Friedrich. Die Knaben nannten ihn nur den » Röhrle«. Er war ein dünnes, zartes Kerlchen, aber in allen Streichen durch wie ein Blasröhrle. Gerade deshalb liebte ihn Bengele mehr als alle andern. Er hatte ihn auch zuerst einladen wollen, aber er traf ihn nicht zu Hause. Auch ein zweites und drittes Mal war sein Gang vergeblich.
Nun suchte der Hampelmann seinen Röhrle in allen Winkeln und Ecken, wo sie miteinander gespielt hatten. Schließlich fand er ihn vor dem Städtchen hinter der Scheune eines Bauernhofes.
»Röhrle«, rief Bengele schon von weitem, »wo steckst du nur? – Was treibst du denn hier außen?«
Röhrle hatte ein schlechtes Zeugnis erhalten und fürchtete sich vor seinem Vater, der abends nach Hause kam. Er antwortete seinem Freunde:
»Ich warte bis Mitternacht, um auszureißen.«
»Wohin?«
»Weit, weit fort!«
»Dreimal schon habe ich dich daheim gesucht.«
»Warum?«
»Hast du es noch nicht gehört, was morgen geschieht? – Weißt du nicht, was ich werden soll?«
»Was?«
»Morgen hat es mit dem Hampelmann ein Ende, und ich werde ein Knabe wie du und alle andern.«
»Ich gratuliere!«
»Also morgen kommst du zum Feste.«
»Ich habe dir schon gesagt, daß ich ausreiße.«
»Wann?«
»Bald!«
»Wohin?«
»In ein fremdes Land, ins schönste Land der Welt!«
»Wie heißt es?«
»Faulenzerland! – Willst du nicht mitgehen?«
»Nein!«
»Sehr dumm, Bengele! – Es wird dich einmal reuen. Faulenzerland ist das schönste Land der Welt. Schulen und Bücher sind dort verboten. Wer lernt, wird bestraft. Jeden Tag ist schulfrei. Die großen Ferien gehen vom 1. Januar bis 31. Dezember. – Das ist ein Leben nach meinem Geschmacke.