Jules Verne

Die Propeller-Insel


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ge­se­hen …«

      »Es ist gar kein Dra­che mehr, lie­be Freun­de, son­dern jetzt nur noch eine Am­pho­ra! Mit ei­ni­ger­ma­ßen ent­wi­ckel­ter Fan­ta­sie be­merkt man sie in der Hand der Nek­tar ein­schen­ken­den Hebe …«

      »Doch den­ken wir dar­an, dass in je­nem Nek­tar ver­teu­felt viel Was­ser ist«, ruft Pin­chi­nat, »und hü­ten wir uns, dass dei­ne rei­zen­de Göt­tin der Ju­gend nicht ein Sturz­bad über uns aus­gießt!«

      Das hät­te die Lage der Wan­de­rer frei­lich noch ver­schlim­mert, und tat­säch­lich fängt das Wet­ter an, mit Re­gen zu dro­hen. Die Vor­sicht treibt also zur Eile, um in Fre­schal recht­zei­tig Schutz zu fin­den.

      Man hebt den zorn­schnau­ben­den Vio­lon­cel­lis­ten auf und stellt den Brumm­bär wie­der auf die Füße. Der freund­li­che Fras­co­lin er­bie­tet sich, ihm sei­nen Kas­ten ab­zu­neh­men. Sé­bas­ti­en Zorn will das zu­erst nicht zu­ge­ben … er, sich von sei­nem In­stru­men­te tren­nen … ei­nem Vio­lon­cell von Gaud und Ber­nar­del … das heißt ja, von ei­ner Hälf­te sei­nes Selbst … Er muss sich aber fü­gen, und so­mit geht die­se kost­ba­re Hälf­te auf den Rücken des dienst­wil­li­gen Fras­co­lin über, der da­für sein leich­tes Etui ge­nann­tem Zorn an­ver­traut. Nun geht es wei­ter und ra­schen Schrit­tes zwei Mei­len vor­wärts, ohne dass sich et­was Be­son­de­res er­eig­net. Die mit Re­gen dro­hen­de Nacht wird im­mer fins­te­rer. Schon fal­len ei­ni­ge große Trop­fen, der Be­weis, dass sie aus hoch­zie­hen­den, ge­wit­ter­haf­ten Wol­ken stam­men. Die Am­pho­ra der hüb­schen Hebe un­se­res Yver­nes ent­leert sich je­doch nicht wei­ter, und die vier Nacht­wand­ler dür­fen hof­fen, Fre­schal im Zu­stan­de voll­stän­di­ger Tro­cken­heit zu er­rei­chen.

      Im­mer­hin be­darf es noch pein­lichs­ter Auf­merk­sam­keit, um auf die­ser fins­te­ren Stra­ße nicht zu Fall zu kom­men, denn ab­ge­se­hen von den tie­fen Wa­gen­spu­ren ver­läuft sie oft in schar­fen Krüm­mun­gen um vor­sprin­gen­de Fels­mas­sen oder führt ne­ben düs­te­ren Schluch­ten hin, aus de­nen der Trom­pe­ten­ton der Berg­ge­wäs­ser her­auf­schallt. Wenn Yver­nes das bei sei­ner Sin­nes­ver­an­la­gung poe­tisch fin­det, so nennt es Fras­co­lin bei der sei­ni­gen min­des­tens be­un­ru­hi­gend.

      Da­ne­ben wa­ren noch un­lieb­sa­me Be­geg­nun­gen zu fürch­ten, die die Si­cher­heit al­ler Rei­sen­den auf den Land­stra­ßen Nie­der­ka­li­for­ni­ens sehr zwei­fel­haft ma­chen. Das Quar­tett be­saß an Waf­fen aber nur die drei Vio­lin- und den einen Vio­lon­cell­bo­gen, die in ei­nem Lan­de, wo der Col­t’­sche Re­vol­ver er­fun­den und da­mals noch er­heb­lich ver­bes­sert wor­den war, doch als et­was un­zu­rei­chend er­schei­nen dürf­ten. Wä­ren Sé­bas­ti­en Zorn und sei­ne Ka­me­ra­den Ame­ri­ka­ner ge­we­sen, so wür­den sie sich je­den­falls mit die­ser hand­li­chen Schutz­waf­fe ver­se­hen ha­ben, die man dort­zu­lan­de im­mer in ei­ner be­son­de­ren klei­nen Ho­sen­ta­sche bei sich trägt. Um auch nur auf der Bahn von San Fran­zis­ko nach San Die­go zu fah­ren, wür­de sich kein wasch­ech­ter Yan­kee ohne die­sen sechs­schüs­si­gen Beglei­ter auf die Rei­se be­ge­ben ha­ben. Un­se­re Fran­zo­sen hat­ten das frei­lich nicht für nö­tig er­ach­tet. Fü­gen wir hin­zu, dass sie dar­an gar nicht ge­dacht und es doch viel­leicht zu be­reu­en ha­ben dürf­ten.

      Pin­chi­nat mar­schiert an der Spit­ze und be­hält die Bö­schun­gen der Stra­ße scharf im Auge. Wo die­se von rechts und links her sehr ein­ge­engt er­scheint, ist ein un­er­war­te­ter Über­fall we­ni­ger zu fürch­ten. Als Bru­der Lus­tig wan­delt ihn im­mer ein­mal das Ver­lan­gen an, sei­nen Ka­me­ra­den »einen ge­lin­den Schre­cken ein­zu­ja­gen«, z.B. da­durch, dass er plötz­lich ste­hen­bleibt und mit vor Schreck be­ben­der Stim­me mur­melt:

      »Halt! … Da un­ten … was seh ich da?… Hal­ten wir uns fer­tig, Feu­er zu ge­ben!«

      Plötz­lich bleibt Pin­chi­nat wie an­ge­wur­zelt ste­hen.

      Fras­co­lin tut des­glei­chen.

      Sé­bas­ti­en Zorn und Yver­nes ge­sel­len sich so­fort zu bei­den.

      »Was gibt es?« fragt die zwei­te Vio­li­ne.

      »Ich glaub­te, et­was zu se­hen …«, ant­wor­te­te die Brat­sche.

      Dies­mal han­delt es sich nicht um einen Scherz sei­ner­seits. Of­fen­bar be­wegt sich eine Ge­stalt zwi­schen den Bäu­men hin.

      »Eine mensch­li­che oder tie­ri­sche?« er­kun­digt sich Fras­co­lin.

      »Das weiß ich selbst nicht.«

      Was jetzt am bes­ten zu tun sei, das un­ter­fing sich nie­mand zu sa­gen. Dicht an­ein­an­der­ge­drängt star­ren alle laut- und be­we­gungs­los vor sich hin.

      Dicht aneinandergedrängt Dicht aneinandergedrängt

      Durch einen Wol­ken­spalt flie­ßen die Strah­len des Mon­des auf den Dom des dun­keln Wal­des her­ab, drin­gen durch die Äste der Se­quo­i­as und er­rei­chen noch den Erd­bo­den. Im Um­kreis von hun­dert Schrit­ten ist die­ser et­was sicht­bar.

      Pin­chi­nat hat sich nicht ge­täuscht. Zu groß für einen Men­schen, kann die­se Mas­se nur ei­nem ge­wal­ti­gen Vier­füß­ler an­ge­hö­ren. Doch wel­chem Vier­füß­ler?… Ei­nem Raub­tie­re?… Je­den­falls ei­nem sol­chen … doch wel­chem Raub­tie­re?

      »Zum Teu­fel mit dem Vieh«, mur­melt Sé­bas­ti­en Zorn mit ver­hal­te­ner, aber grim­mi­ger Stim­me, »und mit dem Vieh mei­ne ich mehr dich, Yver­nes! … Kannst du nicht wie an­de­re ver­nünf­ti­ge Men­schen re­den! Was ist denn das, ein Plan­ti­gra­de?«

      »Ein Tier, das auf vier Tat­zen, und zwar auf den gan­zen Soh­len läuft«, er­klärt Pin­chi­nat.

      »Ein Bär!« setzt Fras­co­lin hin­zu.

      Es war in der Tat ein Bär, und zwar ein ganz mäch­ti­ges Exem­plar. Lö­wen, Ti­gern oder Pan­thern be­geg­net man in den Wäl­dern Nie­der-Ka­li­for­ni­ens nicht. De­ren ge­wöhn­li­che Be­woh­ner sind nur die Bä­ren, mit de­nen, wie man zu sa­gen pflegt, nicht gut Kir­schen es­sen ist.

      Man