Lächeln. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie mit meinem Privatleben belästige — ich spreche nie darüber, ich hab’ auch keinen Menschen, an den ich mich wenden könnte —«
»Sie sagten, ein Geschäftsfreund von mir?«
»Ja«, erwiderte sie und setzte mit einem traurigen Lächeln hinzu: »Mr. Palance hat gelegentlich über Sie gesprochen.«
»Palance?« Laimer fixierte seine Gesprächspartnerin, als sähe er sie zum ersten Mal. »Dann sind Sie —«
»— die Frau, derentwegen Phil das Ruder seiner Firma aus der Hand gegeben hatte. Ich heiße Ilonka Bauer und mache mir große Vorwürfe, daß ich ihn nicht davon zurückgehalten habe.«
»Unnötig«, entgegnete der frühere Geschäftsfreund. »Phil war alt genug, um zu wissen, was er tat. Und Sie sind noch so jung und —« Erstmals ohne Absicht legte er seine Hand auf ihren Arm, sie zog ihn nicht zurück. »Wenn sich Phil noch äußern könnte«, setzte er nachdenklich hinzu, »meinen Sie, er würde die letzte Zeit mit Ihnen gegen sein vorheriges Leben eintauschen wollen?«
»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Ilonka mit glänzenden Augen. »Trotzdem — vielleicht würde er — andernfalls noch leben —«
Laimer hatte bei der Palance-Beerdigung gefehlt, weil er zu dieser Zeit von Geschäftsgesprächen in Peking festgehalten wurde. Als er aus dem Reich der Mitte zurückkehrte — selbstverständlich mit drei neuen Verträgen — war er ungehalten über das unverschuldete Versäumnis. Zum Erstaunen seiner Mitarbeiter fuhr er noch vor der angesetzten Konferenz mit Blumen auf den Armenfriedhof von Brooklyn. Und jetzt saß Martin Laimer der jungen Frau gegenüber, die Phils letzte Liebe gewesen war, seine größte — seine endgültige.
»Ja, Mrs. Bauer«, bestätigte er. »Phil war einer unserer wichtigsten Zulieferanten, aber darüber hinaus wurden wir mit der Zeit auch so etwas wie Freunde.«
»Vielleicht eine Art Wahlverwandtschaft«, versetzte Ilonka.
»Sie sind ja ein verteufelt kluges Kind«, entgegnete er.
»Ist man mit neunundzwanzig noch ein Kind?«
»Sorry«, entschuldigte er sich. »Sicher nicht.«
Laimer hatte morgen eine wichtige Geschäftsbesprechung in Frankfurt. Um den Zeitunterschied zu verkraften, flog er in solchen Fällen einen halben Tag früher als unbedingt nötig. Statt sich, wie sonst, auszuruhen, lud er Phils letzte Liebe zum Abendessen ein.
»Ich hoffe, Sie mißversteher mich nicht«, legte er die Grenzen fest. »Ich habe es immer als bedrückend empfunden, daß ich von Phil keinen Abschied genommen hatte — und Sie brauchen vielleicht einen Menschen, mit dem Sie über ihn sprechen können.«
»Ich verstehe Sie sehr wohl, Mr. Laimer«, entgegnete Ilonka. »Und ich möchte Ihnen herzlich danken.«
Von da ab begann für beide eine seltsame Zeit. Sie näherten sich einander auf großen Umwegen, voller Hemmungen. Zwar verabredeten sie sich immer wieder, aber dabei schienen sie sich irgendwie aus dem Weg zu gehen. Laimer sah, wie die junge Frau noch immer unter dem plötzlichen Tod eines Unersetzlichen litt, und es beeindruckte ihn ungemein. Takt und Pietät schlossen eine bestimmte Art von Annäherung an Ilonka aus.
Der Himmelsstürmer war in seinem Leben nicht immer der absolute Mönch gewesen, als den man ihn schilderte — auch Mönche können sündigen, wenn auch selten und unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Laimer spürte zunehmend Verliebtheit und Mißtrauen gegen eine so früh Perfekte, vor allem aber Mißtrauen gegen sich selbst, weil er an Ilonka keine Fehler entdeckte.
Er hatte sie nie beim Lügen oder auch nur beim Flunkern ertappt. Was immer sie tat oder sagte, war überlegt, mitunter sogar überlegen. Immer mehr entsprach sie dem Traumbild einer Frau. Aber hatte er sich denn jemals ein weibliches Idol zurechtgelegt? Wenn der Mensch sich seinen Gott schnitzt, wird es ein Götze. Huldigte der Selfmademan bereits einer Art Heidenkult? Oder Hexenkult? Oder Liebeskult? Martin Laimer begann zu rechnen; er brauchte keines seiner Produkte, um auf den genauen Altersunterschied zu kommen, Er fühlte sich jung und gesund, doch nun hingen auf einmal die Jahre an ihm wie Trimmgewichte.
Sie kam, sah und siegte — über seine Zweifel und Befürchtungen.
Ihr Wunsch, sich diskret zu treffen, kam ihm entgegen. Und Ilonka wurde immer reizvoller, unwiderstehlicher und bei aller Anpassung dominanter. Die Gegenwart geriet zum Duell mit seiner Vergangenheit. Der Traum vom neuen Leben vergriff sich an seinem bisherigen Lebenswerk. Da Laimer keinen Weg sah, der zu Ilonka führen könnte, trug er den berühmten Kampf mit den Windmühlenflügeln aus: Don Quichotte mußte ihn verlieren, aber er spürte, daß er ihn eines Tages gewinnen könnte — auch wenn es ein Pyrrhus-Sieg würde.
Inzwischen waren die beiden echte Freunde geworden, die mit der Zeit mehr über sich sprachen als über den toten Phil Palance. Einer der albernsten Gemeinplätze ist zugleich einer der zutreffendsten: Das Leben geht weiter. Und so avancierte Laimer vom Tröster zu einem Kandidaten.
Ilka mußte es längst bemerkt haben, aber sie tat nichts dagegen. Schlag um Schlag zertrümmerte Martin Laimer die Tabus seines Lebens: Er liebte, wohl zum erstenMal stand er zwischen himmelhoch jauchzend — zu Tode betrübt. Im Gegensatz zur Anfangszeit ihrer Bekanntschaft machte er jetzt zwei Schritte vor und nur einen zurück — und der scheinbar an der Torheit gestorbene Phil Palance klopfte ihm dabei wie ein Komplize auf die Schulter.
Martins Körper putschte gegen seine Zurückhaltung. Wenn er die junge Frau ansah, spürte er eine Gänsehaut auf dem Rücken. Nachts begann er von ihr zu träumen, aber schlimmer wurde es, als er bei wichtigen Besprechungen ins Leere blickte, ihre Nähe spürte und die Freundin gewaltsam aus dem Paradies verschwommener Träume vertreiben mußte. Der Einundsechzigjährige konnte Jahre addieren und abziehen wie er wollte, der Trieb rechnete nicht nach Adam Riese.
Bisher hatte Ilka, um — wie sie sagte — ihre Selbständigkeit zu wahren, keine Geschenke außer Kleinigkeiten und Blumen akzeptiert; ihr Aufwand ließ erkennen, daß sie auf Alimentation auch nicht angewiesen war. Trotzdem fand der beherrschte Bewerber ihre extreme Zurückhaltung lächerlich und verkrampft. Er ging zu »Tiffany«, New Yorks berühmten Juwelier in New Yorks berühmtester Straße, der Fifth Avenue, und erstand ein besonders hübsch und kostspielig gearbeitetes Brillantkollier, das er geduldig unter den Kreationen, des Hauses selbst aussuchte. Auch die persönliche Zutat, ein paar herzliche Zeilen, fehlte nicht. Er ließ das fürstliche Präsent auf den Boden einer Orchideenschachtel verpacken.
Er war einer der letzten Kunden dieses Tages gewesen und fuhr mit dem Taxi an die Ostseite des Central Parks, wo Phils morganatische Witwe ein herrliches Penthouse-Apartment bewohnte. Nach Osten und Süden hatte sie einen faszinierenden Ausblick auf Manhattans wilde Häuserschluchten und verwegene Wolkerlkratzer. Auf der Westseite wohnte sie weit über der Gipfelhöhe der Bäume, ganz im Grünen.
»Du verwöhnst mich schrecklich, Martin«, empfing sie den Freund mit ihrem betörenden Grübchen-Lächeln. »Herzlichen Dank«, setzte sie hinzu und küßte ihn auf die Wange. Sie stellte das Blumengebinde auf eine Vitrine. »Das hast du nun von deiner Verschwendungssucht«, fügte sie mit zärtlichem Tadel hinzu. »Ich muß erst eine Orchideenvase freimachen.« Mit ihrem Einfuhr lungsvermögen erfaßte Ilonka, daß der Besucher in Eile war. »Du kannst dich heute abend nicht freimachen?«
»Leider nicht«, erwiderte er. »Aber wenn du willst, könnten wir morgen nach dem Lunch Zusammensein.«
»Und ob ich das möchte«, entgegnete sie. »Hier. Ich will dir auch einmal eine Kleinigkeit schenken.« Sie überreichte Martin ihren Hausschlüssel. »Du kannst künftig kommen, wann du willst. Wenn ich nicht da bin, überlasse ich dir auf einem Zettel, wo du mich triffst.«
Es war eine Schlacht mit verkehrten Fronten. Der Unternehmer zog als Beschenkter ab, zunächst ein wenig enttäuscht, daß Ilonka das schöne Stück aus Tiffänys Kollektion nicht gleich entdeckt hatte. Aber vielleicht war es besser so, denn sie könnte zunächst zornig werden. Ilonka war sehr ordentlich; sicher würde sie die exotischen Blumen gleich ins Wasser stellen und dabei seinen Brief und sein