saßen im Fond, eng umschlungen, stumm, voll Freude aneinander, überwältigt von der Erwartung aufeinander. Die letzten Monate hatten das Leben eines Mannes umgekrempelt, dessen Ziel und Befähigung es immer gewesen war, Umsätze zu steigern, Innovationen vor der Konkurrenz herauszubringen, Gewinne zu erhöhen und durch Investitionen seinen Konzern in eine fortgesetzte Expansion zu treiben. So hatte es Martin Laimer immer gehalten, von kleinen Anfängen bis in eine unerwartet schwindelnde Höhe — aber seit er Ilonka kannte, wertete der Unternehmer die Erfolge von gestern und heute — sein Lebenswerk — nur noch als einbringliche Ersatzbefriedigung — wie vor ihm Phil Palance, dem Laimer als Geschäftsfreund verbunden war und der ihm, so absurd es auch schien, den Weg zu Ilka geebnet hatte.
Es war vor knapp sechs Monaten gewesen. Die 747 befand sich auf einem ihrer ersten Atlantikflüge. Die Touristenkabine war fast ganz ausgebucht, im First-Class-Abteil vorne klafften einige Lücken. Martin Laimer, dem Pendler zwischen den Kontinenten, war — wie allen anderen Passagieren — die junge, alleinreisende Frau bereits aufgefallen, bevor sie von der Stewardeß zu einem der bequemen Sessel in seiner unmittelbaren Nachbarschaft eingewiesen wurde. Er grüßte die Mitreisende mit einem höflichen Kopfnicken und einem knappen Lächeln. Laimer begegnete ihr so wie allen Menschen seiner Umgebung: höflich, doch distanziert. Er empfand es als angenehm, daß sie nichts dazu tat, diesen unpersönlichen Status zu ändern. Der Spitzenmann der elektronischen Industrie haßte es, von Menschen, die er nicht kannte, in Gespräche verwickelt zu werden, die ihn nicht interessierten. Später amüsierte ihn, wie die junge Frau die mehr oder weniger geschickten Annäherungsversuche männlicher Mitpassagiere ins Leere laufen ließ; sie wirkte dabei weder arrogant noch schnippisch — sie zeigte Haltung, Reserve, Individualität.
Das konnten auch andere Damen vorweisen, aber wenige im Alter dieser jungen Frau im anthrazitfarbenen Reisekostüm. Diese Beobachtungen machte der Unternehmer mehr aus Gewohnheit, denn aus Neugier. Erst viel später kam ihm der Verdacht, daß ihn die ungewöhnliche Passagierin neben ihm vom ersten Moment an beschäftigt haben könnte.
Wenn es der Fall war, hatte Martin Laimer jedenfalls nichts dazu getan, weder stumm mit den Augen und schon gar nicht mit Worten. Der Mann aus New York und Düsseldorf, zu Hause in aller Welt, flog zum erstenmal mit einem Jumbo-Jet und begann die Annehmlichkeiten des Riesenvogels zu genießen. Das Düsengeräusch war gedämpft, Windböen konnten dem Großraumflugzeug weit weniger anhaben als anderen Maschinen, und oben, über eine Wendeltreppe erreichbar und gleich hinter dem Cockpit, erwartete die Erste-Klasse-Passagiere eine kleine Cocktailbar. Der Vielbeschäftigte empfand es als angenehm, nicht, weil er sich aus Trinken viel gemacht hätte, sondern weil er nicht stundenlang im Sessel sitzen, sondern sich während des Fluges an Bord ein wenig bewegen konnte.
Seine schöne Nachbarin las das »Time«-Magazin; er empfand es wohltuend, daß sie nicht rauchte und auch den von der Stewardeß angebotenen Sekt zurückwies, wiewohl er ihr kaum so nahe kommen würde, daß ihn Nikotinatem und Alkoholgeruch stören könnten. Sie las interessiert und intensiv und wirkte dabei intelligent, doch durchaus nicht intellektuell.
Sie griff nach der nächsten Zeitschrift: »Fortune«, das bekannte US-Wirtschaftsmagazin.
Sie sah auf das Titelblatt — und stutzte, betrachtete den Mann auf dem Cover mit den buschigen Augenbrauen und den vollen, leicht gewellten Haaren.
»Sind Sie das?« fragte sie und hob die Zeitschrift so, daß der Mitreisende sich wie in einem Spiegel sehen konnte.
»Ganz recht«, bestätigte er, offensichtlich erstmals mit der »Fortune«-Titelstory konfrontiert. »Aber sagen Sie es bitte nicht weiter.« Seine Nachbarin nickte ihm zu. »Ich hab’ dieses Exemplar druckfeucht am Airport erworben«, erklärte sie. »Sorry — aber jetzt werde ich mich mit Ihrem Steckbrief befassen.«
Martin Laimer hatte natürlich gewußt, daß die Zeitschrift demnächst einen Artikel über ihn bringen würde, aber er war ein Mann, der nicht selbst las, sondern lesen ließ — dafür hatte er eine Presseabteilung. Erst wenn sie ihn darauf aufmerksam machte, daß eine Veröffentlichung wichtig sei, befaßte er sich mit ihr.
Fünf Monate lang haben wir uns um ein Gespräch mit dem Außenseiter, Aufsteiger und Tycoon der elektronischen Branche bemüht Fast erschien es uns leichter, an den US-Präsidenten in Washington oder an den Papst in Rom heranzukommen als an Mr. Laimer in New York. Schließlich stellte er sich diesem Gespräch unter der Auflage, daß es nicht länger als dreißig Minuten dauere. Daß es dann doch siebenundvierzig wurden, verdanken wir ausschließlich der Tatsache, daß einer unserer Reporter als ausgesprochener Computer-Freak auftreten konnte.
Der einundsechzigjährige Alleinherrscher eines erstaunlichen Konzerns wirkt zehn Jahre jünger, hat graue Augen und trägt grundsätzlich nur blaue Anzüge, als litte er an einer Art Matrosen-Sehnsucht. Sicher würde er auch als Seemann auf der Kommandobrücke stehen.
Im Gespräch erweist sich Mr. Laimer als abwartend, konzentriert, wie auf dem Sprung. Er reist mit einem US-Paß oder mit deutschen Personalpapieren; er ist ein deutscher Amerikaner oder ein amerikanischer Deutscher, vermutlich weiß er das selbst nicht genau, weil ihm die Zeit fehlt, darüber nachzudenken. Der Unternehmer, eine repräsentative Erscheinung, wirkt durchaus unauffällig.
Vor zwanzig Jahren hatte ›Siemens‹, der mächtigste deutsche Elektro-Trust, versucht, die Einzelfirma Laimer aufzukaufen und ihn als Berater auf Lebenszeit zu gewinnen. Der Alleinherrscher rang erbittert um seine Selbständigkeit und setzte sich schließlich durch.
Vor zehn Jahren wollte der US-Riese IBM Mr. Laimers Lebenswerk schlucken, aber da war der Brocken bereits zu groß geworden. Tatsächlich hat der Mann aus Germany, der in seinen Anfängen von den Fachleuten nicht ernst genommen worden war, inzwischen seiner Konkurrenz das Fürchten beigebracht. Im Krokodilsteich dieser Branche braucht Mr. Laimer sich heute nicht mehr zu ängstigen, aufgefressen zu werden; eher beißt schon er selbst einem anderen Reptil ein Bein ab …
Die Leserin mit den sanftbraunen Augen und den halblangen Haaren blätterte um.
»Schlimm?« fragte der Passagier neben ihr.
»Keineswegs«, erwiderte sie. »Durchaus schmeichelhaft — bis jetzt«, entgegnete sie und las weiter:
Mr. Laimer macht Riesengewinne, aber Geld hat für ihn nur den Zweck, seinen Konzern immer weiter zu vergrößern. Seine schon manische Arbeitswut erlaubt ihm kein Privatleben. Er kommt so wenig zum medizinischen Check-up wie zum süßen Leben. Über den Tycoon, seit zwei Jahren Witwer, gibt es nicht einmal Gerüchte, Affären betreffend. Er ist, wieman in seiner Heimat sagt, ein Dickschädel, der sich ungern in seine Geschäfte hineinreden läßt, aber dabei auch nicht der unnahbare Boß. Er hat sich eine Crew erstklassiger Entwicklungs-lngenieure herangebildet. Er verwöhnt — zum Ärger anderer Firmen — seine Mitarbeiter durch einzigartige Sozialleistungen, nicht nur pekuniär, sondern auch psychologisch; so steht er zum Beispiel jeden Tag beim Lunch in Reih und Glied am Eßbüfett und weigert sich, bevorzugt bedient zu werden.
Privatleben, wie gesagt: Fehlanzeige. Die einzige Tochter des Unternehmers und sein Enkelkind leben in Deutschland — es besteht Grund zur Annahme, daß er seine Entwicklung-Ingenieure und Direktoren häufiger sieht als seine nächsten Angehörigen …
»Hier«, sagte die Mitreisende und schob Laimer die »Fortune«-Ausgabe mit dem Datum von heute zu. »Sie sind ja fast schon eine Legende, Mr. Laimer.«
Eine halbe Stunde später saßen der Mann und die Schöne nebeneinander an der Cocktailbar und tranken Kaffee. Sie führten ein Gespräch, das zunächst vorwiegend aus Pausen bestand. Der erfolgreiche Unternehmer hatte wenig Erfahrung im Umgang mit Frauen, aber er war ein ausgezeichneter Menschenkenner; schon bald fiel ihm bei dieser Endzwanzigerin eine Ausstrahlung von Schwermut und Einsamkeit auf.
»Pardon, Mr. Laimer«, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken erraten. »Ich bin ziemlich ungesellig. Ich war früher nicht so, aber —« Sie wollte abbrechen, doch ihr Begleiter ermunterte sie zum Weitersprechen. »Ich habe vor einem Jahr einen Freund verloren — eigentlich war er für mich viel mehr als ein Freund — und ich komme über den Verlust einfach nicht hinweg.«
»Es tut mir leid«, erwiderte der Mann im