Will Berthold

Adams Letzte


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zu jungen Dame bei offensichtlicher Annäherung zeigte. Dann betrachtete sie den ergebenen Romancier. Es war der kritische Moment für ihn, und Casagrande hatte vor allem bei jüngeren Damen schon erlebt, daß sie nach der Präsentation sagten: »Sie sind Schriftsteller, interessant — was schreiben Sie eigentlich?«

      »Ich hab’ Sie schon gelesen, Monsieur Casagrande«, sagte die Schöne in Englisch mit einem kaum hörbaren deutschen Akzent. »Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.«

      Sie sah ihn voll an mit ihren leuchtend braunen Augen, und es war dem Romancier, als versprühten sie Funken; er müßte aufpassen, das sie bei ihm nicht in ein Pulverfaß fielen. Sie nickte ihm lächelnd zu. Ein Hauch von Herbheit ging von ihr aus, von Frühlingsfrische, von unverbrauchtem Leben.

      Sie wollte weitergehen, zögerte noch einmal.

      »Pflegen Sie Ihre Bücher eigentlich immer zu verschenken?« fragte sie.

      »Nur an Prinzessinnen«, erwiderte er. Komplimente liefen ihm flüssig über die Lippen wie edler Wein, Spätlese.

      »Da schätzen Sie mich allerdings entschieden zu hoch ein, Mr. Casagrande«, entgegnete sie mit einem Lächeln, das ihr Gesicht von innen heraus erhellte.

      »Es ist nicht wichtig, was man ist, sondern wie man von seinen Mitmenschen eingeschätzt wird, Madame«, erwiderte der Autor. »Natürlich hatte ich — wie sagten Sie — bei meiner Aufmerksamkeit einen Hintergedanken.« Er merkte, wie sie sich in Erwartung eines Angriffes versteifte. »Davon abgesehen, daß es meiner Eitelkeit guttut, habe ich ein Attentat auf Sie vor —« Casagrande brachte seine Einladung zur Lesung an, und die Schöne entspannte sich.

      »Am Freitag?« überlegte sie laut. »Vielleicht — wenn es sich ermöglichen läßt«, setzte sie unverbindlich hinzu.

      »Ich würde in der ersten Reihe einen Ehrenplatz reservieren lassen«, entgegnete Casagrande rasch. »Darf ich fragen auf welchen Namen?«

      Ihr Lächeln war eine höfliche Absage.

      »Soll ich den Stuhl für Mrs. Sphinx belegen lassen?« startete er einen zweiten Anlauf. »Wir alle zerbrechen uns den Kopf, wer Sie sein könnten —«

      »Besten Dank für Ihr Interesse«, ließ sie ihn wieder abblitzen. »Verraten Sie mir wenigstens, was Sie sind — Amerikanerin, Deutsche —«

      »Well«, erwiderte sie. »Meine Mutter war Ungarin, mein leiblicher Vater Deutscher, mein Adoptivvater Amerikaner. Meine Kindheit verbrachte ich in Deutschland, in den Staaten und auch eine Weile in der Schweiz; dann zog ich nach Paris und später nach Rom.« Sie nickte ihm noch einmal zu. »So, jetzt können Sie ausrechnen, was ich bin«, sagte die junge Frau. »Und wenn Sie die Lösung gefunden haben, sagen Sie mir bitte Bescheid — ich wüßte es selbst sehr gern.«

      Sie ging zum Hotelausgang. Gäste blieben stehen; sie mußte zwischen ihnen hindurch, aber sie lief nicht Spießruten, sondern schritt durch eine Allee der Bewunderung; es war der Abgang einer Primadonna assoluta.

      »Erstaunlich, was?« sagte der Hotelmanager. »So langsam macht die Dame auch mich noch neugierig.«

      »Eine höchst interessante Person«, erwiderte Casagrande. »Vielen Dank noch für Ihre Hilfestellung«, verabschiedete er sich, um an seinen Tisch in der Hotelhalle zurückzugehen.

      »Leider ist unsere schöne Nachbarin gerade gegangen«, empfing ihn Odermatt.

      »Ich hab’ die Dame soeben getroffen und zu meiner Lesung eingeladen«, entgegnete der Starschreiber mit großartiger Beiläufigkeit. »Und sie hat zugesagt?« fragte Martin Laimer.

      »Nicht direkt«, räumte Casagrande ein. »Aber welche Lady würde denn auf Anhieb ja sagen?« Er sah auf die Uhr. »Was könnten wir mit dem heutigen Abend anfangen?«

      »Ich muß mich noch vom Flug erholen«, antwortete Ponsardin. »Ich bitte mich ebenfalls zu entschuldigen«, kam von dem Industriellen Laimer eine zweite Absage. »Ich treffe mich mit einem wichtigen Thai-Geschäftsfreund. Wir wollen unsere Niederlassung in Bangkok ausbauen.«

      »Und Sie, Mr. Whitehead?« fragte Casagrande.

      »Ich bin zu alt für solcherlei Exkursionen«, erwiderte der Börsen-Jobber. »Ich überlasse sie lieber jungen Hüpfern wie Ihnen, Gentlemen.«

      Ein paar Stunden später zogen sie los, zu dritt: Casagrande, der Bangkok-Kenner, war der Lotse, sein Verleger Bannister der Aufpasser und Odermatt der Voyeur des Sündenparadieses. Sie gingen zunächst zu Fuß durch die lange Silom-Road in Richtung Lumpini-Park. Hier liegen die Geldpaläste der Banken, die diplomatischen Vertretungen und die Büros der Fluglinien. Tagsüber ist dieser Stadtteil ein strebsames Viertel, aber wenn es dunkelt, gehört es zu den noch weit strebsameren Nachtschattengewächsen.

      Obwohl sich die Tageshitze etwas abgekühlt hatte, kochte Menam-Babylon Bangkok by night: Autos jagten Fußgänger, Fußgänger waren hinter sexotischen Geschöpfen her. Die Gehsteige quollen über; lustige Thaiboys nebst hübschen Begleiterinnen mit geschlitzten Augen und geschlitzten Röcken, niedliche Teepuppen, doch grazil und springlebendig, promenierten in einem pausenlosen Strom. Ein bißchen sahen sie aus wie die junge Königin Sirikit. Wenn auch mehr schnellebig als blaublütig, machten sie deutlich, daß zwei Drittel aller Bewohner der Metropole jünger als zwanzig Jahre sind.

      Amors Abenteuerer und Amors Sehmänner pflügten sich durch das Gedränge, vorbei an Schleppern und Neppern und an den Straßenküchen, deren Duft vom Benzingestank überlagert wurde. »Mein Gott, diese Speisen müssen doch von Bakterien verseucht sein«, sorgte sich Odermatt.

      »Die kochen so scharf, daß die Bakterien kaputtgehen«, erwiderte Casagrande lachend.

      »Gilt das auch für die Mädchen?« fragte der Schweizer. »Sind die auch so scharf?«

      »Die machen sie mit Cayennepfeffer an«, behauptete der Globetrotter. »Das sind Tausenfüßlerinnen der Erotik.«

      Odermatts Zunge fuhr über die Lippen bei der Vorstellung, daß diese zierlichen Goldblumen tausend Beine haben könnten. »Das ist schon etwas anderes wie Zürich-Niederndorf«, sagte er, »Außerdem kennt einen hier kein Mensch.«

      Sicherheitshalber drehte er sich um.

      »Bis auf ein paar Tausend Rotarier«, versetzte Casagrande lachend. »Aber die treiben sich nicht hier herum —«

      »Wenigstens nicht alle«, ergänzte er boshaft.

      Die Luft war wie warmes Spülwasser, sie legte sich auf den Brustkasten, machte das Atmen schwer. Das Hemd klebte schweißnaß auf der Haut. Rundum plärrte Musik und blinzelten die Neonlichter nervös. In den Massagesalons warteten zahllose Mädchen mit Orchideen im Haar darauf, gepflückt zu werden und dabei den Farangs, den Fremden mit der weißen Haut, eine Gänsehaut zu machen.

      Die drei vom »Oriental« hatten jetzt das tiefste Pat Pong erreicht, das größte Lotterviertel der Stadt. »Wollen wir einen kleinen Umweg machen?« schlug Casagrande vor. »Ganz schnell und unverbindlich?«

      Bannister brummelte etwas Unverständliches, aber Odermatt war voll bei der Sache. Sie stiegen die Treppe hoch, erreichten den Vorraum der Erwartung: Mädchen hinter einer Glaswand, nebeneinander aufgereiht, zwitscherten wie Vögel in einer Voliere. Sie hatten winzige Bikinis an oder pompöse Abendkleider, hautenge Shorts oder selbstentworfene Phantasiekostüme. Sie waren Nummern-Girls und trugen ihre Zahl sichtbar, bereit, unverzüglich Bestellungen à la carte auszuführen — Appetithäppchen oder große Menüs, wobei jeder Bahtschein zum Handgriff würde.

      »Und die Damen nebenan«, erklärte Casagrande, dem es Freude machte, Odermatt und vielleicht auch seinen Verleger in Versuchung zu führen, »die tragen nur ein Kleid aus Wind und Himmel —«

      »Was ist das?« fragte der Bankmann kurzatmig.

      »So nennt man in der Stadt der Engel das Evaskostüm«, erläuterte der Cicerone des Lotterviertels.

      Seine Begleiter nahmen mit den Augen Maß: Bannister noch immer distanziert. Odermatt traf eine theoretische Wahl, und er konnte sich nicht