Will Berthold

Adams Letzte


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das war unsere Lady von vis à vis?« fragte Casagrande.

      »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich nicht ganz sicher bin«, schränkte Whitehead abermals ein, »aber die Ähnlichkeit ist wirklich frappant.«

      »Was für ein Thema!« rief Casagrande überschwenglich. »Welch’ einmalige Story! Ein Mann schreitet Arm in Arm mit seiner größten und letzten Liebe durch die Paradiese dieser Erde — Bali, Tahiti, Hawaii, Mauritius, Bora-Bora …« Er steigerte sich förmlich in einen Trockenrausch hinein. »Alle Frauen seines Lebens werden zu einer einzigen, der letzten, der endgültigen, der er vielleicht gerade noch rechtzeitig begegnet ist. Und die ungleichen Liebenden halten zusammen, trotz des gewaltigen Altersunterschieds, trotz aller Zweifel. Jeden Morgen geht für sie die Sonne auf und erhebt sie turmhoch über Gesellschaftstratsch, Familienquerelen, den beträchtlichen Altersunterschied mit seinen Problemen und die eigenen Ängste.« Seine Augen glänzten, er hatte rote Flecken im Gesicht und sprach wie im Fieber weiter: »Das werde ich schreiben, George. Das muß ich einfach! So eine Geschichte, großartig und tragisch, voller Glanz und Elend …«

      »Und dann geht die goldene Abendsonne im Meer unter«, brachte ihn der Gnom aus Zürich wieder auf die Erde zurück, und die anderen mußten ihr Lachen unterdrücken.

      »Was meinst du, George?« fragte Casagrande unbeirrt.

      »Laß dich nicht aufhalten«, erwiderte Bannister.

      »Einen Titel hätte ich auch schon«, fuhr der Mann aus Monte Carlo fort. »Adams Letzte«, stellte er bedeutungsvoll fest. »Wie findest zu ihn?«

      »Auf Anhieb gut«, erwiderte der Amerikaner. Er klopfte dem Autor auf die Schulter. »Aber beginn’ bitte nicht jetzt in der Hotelhalle mit dem Schreiben. Laß uns heute abend in Ruhe darüber sprechen. Immer, wenn es dich so gepackt hat, ist es ein ganz großer Wurf geworden.«

      »Ich bitte die Herren, mich für ein paar Minuten zu entschuldigen.«

      Casagrande erhob sich und nickte der Runde höflich zu.

      »Er ist ja mächtig in Fahrt«, stellte Odermatt fest.

      »Als Verleger kann ich mir nur die Hände reiben«, versetzte Bannister. »Offensichtlich hat mein Starautor die Heldin seines nächsten Romans bereits gefunden.«

      »Hoffentlich schreibt er ihn nur und erlebt ihn nicht auch noch«, bemerkte Ponsardin anzüglich.

      »Warum eigentlich nicht?« fragte der Gnom aus Zürich.

      »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand«, erwiderte der Verleger. »Cecils Leben ist schon chaotisch genug. Nichts könnte er weniger gebrauchen als eine weitere Scheidung. Sechs Ehen«, stellte er fest, was ohnedies jeder wußte. »Aber mit seiner jetzigen Frau ist er schon zum zweiten Mal verheiratet«, versuchte Bannister den Leumund seines Hausautors zu verbessern. »Sie hat das Zeug dazu, seine letzte zu sein — und zu bleiben.«

      An den umliegenden Tischen mußte man das Gespräch mitgehört haben, aber die Auslöserin des Ganzen wirkte weiterhin so uninteressiert und unbeteiligt, als wolle sie damit demonstrieren, daß sie ein kurzsichtiger, schwerhöriger Greis verwechselt haben mußte.

      2

      Der Dezember war keine ideale Ferienzeit für die Algarve, den Garten Portugals, aber Lulu Casagrande, die dritte und sechste Frau des bekannten Romanciers, hatte bei ihrem Kurzurlaub mit dem Wetter Glück gehabt — wieder einmal war der Aberglaube der Einheimischen, in ihrem gesegneten Land überwintere die Sonne, gerechtfertigt worden.

      Die mittelgroße Blondine auf Zeit hatte überraschend ihre Freundin Milena, die gerade ihr neues Ferienhaus an der Algarve einrichtete, angerufen und sich für ein paar Tage angesagt. Auch wenn die Freundinnen jeden Tag Zeit für eine Partie Golf fanden, hatte die Gastgeberin von vornherein angenommen, daß Lulu nicht nur wegen des königlichen Spiels in Europas südwestlichste Ecke geflogen war. Gelegentlich wirkte die Besucherin wie auf der Flucht vor sich selbst.

      Milena wartete darauf, daß die gebürtige Wienerin ihr Problem offenbaren würde, aber entgegen ihrer offen-burschikosen Art schwieg sich Lulu aus, wobei allerdings auffiel, daß sie Cecil nicht ein einziges Mal erwähnte, wiewohl sie sonst beständig über ihren Mann sprach. Längst hatte sie einen Teil seiner Egozentrik angenommen.

      Morgen würden sie von Faro aus zurückfliegen. Die Koffer waren bereits gepackt. Sie nahmen den Lunch in Albufeira ein, in einem kleinen Lokal im maurischen Stil — eine Imitation natürlich —, um dann nach kurzer Rast zum Abschiedsmatch nach Vale do Lobo zu fahren, in die Wolfsschlucht. Die Sonne hatte sich durch den Schönwetterdunst gekämpft und feierte ihren Durchbruch.

      Die Freundinnen hatten spät gefrühstückt und wollten nur eine Kleinigkeit zu sich nehmen, aber aus der Küche kam der betörende Duft der Amêijoas na cataplana, einer algarvischen Spezialität aus Muscheln, Schinkenspeck, Wurst, Paprika, Knoblauch, Zwiebeln und Chilisoße, raffiniert aufeinander abgeschmeckt. Sie gaben der Versuchung nach und nahmen sich auch noch die Zeit zu einer Flasche Vinho Verde, an dem Milena nur nippte.

      Am Steuer wirkte sie heute gelassener als sonst. Die Mittdreißigerin galt als streng, verschlossen, sehr ordentlich und ein wenig humorlos. Irgendwie war sie das genaue Gegenteil ihrer um elf Jahre älteren Begleiterin, die sich gerne salopp und frivol gab: Sie war offensichtlich auch hier bei ihrem Mann in die Schule gegangen. Man sah ihr an, daß sie — wie ein tödliches Kompliment lautet — einmal eine sehr attraktive Frau gewesen sein mußte. Wenn die Sechsuhdvierzigjährige, deren Sprechweise ihre österreichische Herkunft verriet, am Abend zurechtgemacht war und das Kunstlicht ihr schmeichelte, brillierte sie noch immer als Nachtschönheit. Mit ihrem Charme und Witz schlug sie gelegentlich auch jüngere Rivalinnen aus dem Feld. Sie konnte sich verspielt und verträumt geben wie eine Rokoko-Dame, um sich im nächsten Moment wie ein ordinäres Marktsweib zu gerieren. Bei feinen Leuten wurde sie gerne vulgär, bei einfacheren kehrte sie gelegentlich die »grande dame« heraus. Lulu sah nicht aus, als hätte sie in ihrem Leben viel ausgelassen. Sie war überall zu Hause, wenn man damit in erster Linie die Golfplätze, Bridge-Clubs, Pferderennbahnen, Theater- und Buchpremieren meinte. Man sagte ihr nach, daß sie keine Hemmungen hätte, zu vorgerückter Stunde einen Jungen anzumachen und ihn als Bettgefährten dann eine Nacht lang ordentlich durchzuwalken. Ob es nun stimmte oder nicht, man traute es Lulu jedenfalls zu, und das belustigte sie mehr, als es sie erzürnte. Auch ein schlechter Ruf verpflichtet.

      Der weiße SL passierte ausgedehnte, nahtlos ineinander übergehende Mandelhaine. Die Landschaft sah aus wie gemalt, von einem einfallsreichen Künstler. »Was meinst du«, schwärmte Milena, »wie das in sechs Wochen blühen wird: Wohin du siehst, ein einziger weißer Teppich.« Sie stellte fest, daß ihre Begleiterin zerstreut wirkte. »Könntest du nicht im Februar wiederkommen?« fragte sie. »Glaub’ mir, es ist ein einmaliges Erlebnis, und du weißt, Lulu, wie sehr du mir jederzeit willkommen bist. Ich bin hier ja ganz allein, Hans-Egon ist in Düsseldorf geschäftlich unabkömmlich und meine Tochter wieder in ihrem Schweizer Internat.«

      »Wenn es sich machen läßt, herzlich gerne, meine Liebe«, entgegnete die Golfpartnerin. »Aber ich fürchte, daß mir keine sehr angenehme Zeit bevorsteht.«

      »Sorgen?«

      »Probleme«, antwortete Lulu. »Es heißt — ja, eigentlich nur ein Problem, aber immer dasselbe —«

      »Cecil?«

      Sie nickte.

      »Du hast Ärger mit ihm?« fragte Milena behutsam.

      »Mit einem Mann wie Cecil hat man doch immer Ärger.«

      »Aber doch wohl auch Freude?«

      Die Frau des Schriftstellers schwieg, zündete sich eine Zigarette an und musterte ausgiebig die Orangenplantage, die sie gerade passierten, und betrachtete dann auch die riesigen Schirmpinien im Hintergrund. »Einmal mußt du es ja erfahren«, begann sie dann. »Ich bin Cecil auf ein paar schlimme Sachen gekommen; seitdem leben wir getrennt.«

      Sie waren höchst ungleiche Freundinnen; jede eigentlich das Gegenteil der anderen. Wo sie sich auch zeigten, fragte man sich, warum