Will Berthold

Adams Letzte


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Casagrande schnitt dabei nicht schlecht ab. Er fand ihn als Hotelgast wie als Romanschreiber angenehm. Jedenfalls war der Auflagen-Millionär kein Langweiler; er hielt immer Hof, das brachte Gäste, und Gäste brachten Gewinn.

      »Hier, das habe ich Ihnen mitgebracht«, sagte der Besucher und überreichte Paul Sarrasin mit großer Geste sein letztes Buch.

      »Oh, verbindlichen Dank, Monsieur Casagrande, ich bin Ihr ständiger Bewunderer. Es gibt kein Werk aus Ihrer Feder, das ich nicht gelesen hätte.« Er lächelte hintergründig. »Ich würde Ihre Romane sogar dann konsumieren, wenn Sie in anderen Hotels von Bangkok wohnten.« Der Manager schlug den Einband um und stellte fest, daß der Autor sein Geschenk bereits mit einer Widmung versehen hatte.

      »Das ist für mich sehr interessant«, erwiderte Casagrande — er ließ den Ausdruck »konsumieren« ungerügt passieren — »Wissen Sie, mein Bester, Leser sind die einzigen Kritiker, die ich anerkenne.«

      Sein anschließendes Schweigen forderte Sarrasin stumm zu weiterer Rezension auf.

      »Ich weiß, wie schwer es ist, ein breites Publikum zu fesseln«, fuhr der Manager fort: »Die Art, wie Sie Ihre Leser in Spannung versetzen, amüsieren, düpieren, verzaubern, verärgern und am Schluß wieder einsammeln — ich beneide Sie um diese geniale Fähigkeit.« Er sah, daß sein VIP-Gast zufrieden war, fürs erste wenigstens — jedenfalls war es leichter gegangen als bei anderen Autoren, die sich am liebsten nächtelang Elogen angehört hätten.

      Ein Dichter aus Nürnberg, der Stadt des Hans Sachs, des Schusters und Poeten zugleich, hatte sich zum Beispiel mündlich und schriftlich zu der Feststellung verstiegen: »Der liebe Gott und ich, wir haben den gleichen Beruf — beide erfinden wir Schicksale.« Ein anderer Autor war im Hochsommer als Weihnachtsmann verkleidet mit einem Fallschirm auf Sylt abgesprungen, ein seltsamer Reklame-Gag, mit dem er den offensichtlich eingesparten Werbeetat seines Verlages ersetzen wollte. Und ein Bestseller-Autor, in einem »Playboy«-Interview auf seine Wirkung auf Frauen angesprochen, hatte begeistert festgestellt: »Deppert vögeln könntest du dich in diesem Beruf.«

      »Er kann überhaupt nicht vögeln«, hatte seine eben verlassene und offensichtlich humorlose Ehefrau anderenorts gekontert.

      Paul Sarrasin glättete den Buchumschlag mit den Händen, verbeugte sich noch einmal dankend. »Ich hoffe nur, daß ich Ihnen auch einmal einen Stein in den Garten werfen kann«, sagte er dann.

      »Ich zeige Ihnen gleich den Gartenzaun«, drohte ihm der Gast aus Monte Carlo lachend. »Es handelt sich um eine Wette, die ich vorhin eingegangen bin.«

      »Ich stehe zur Verfügung.«

      »Sie sind vor ein paar Minuten durch die Hotelhalle gegangen«, begann Casagrande. »An unserem Nebentisch saß eine Dame allein, eine wirkliche Schönheit —«

      Der Manager nickte und lächelte. »Sie sind bereits der dritte, der mich auf sie anspricht«, antwortete er. »Die junge Lady macht Furore.«

      »Mit Recht«, bestätigte der vielgereiste Autor. »Sie ist zum ersten Mal in Ihrem Haus?«

      »In dieser Saison«, erklärte Sarrasin. »In der vorigen hat sie uns an ein paar aufeinanderfolgenden Tagen die Ehre gegeben — aber auch nur als Passantin.«

      Er sah, daß Casagrande weitere Aufschlüsse wünschte und fuhr fort: »Sie ist immer um die gleiche Zeit gekommen, gegen siebzehn Uhr, saß in der Halle, trank Tee, las Zeitungen, immer an demselben Platz — sofern er frei war — und immer allein. Sie wartete auf niemanden; sie ließ sich nicht ansprechen, weder von Herren noch von Damen. Nach etwa einer Stunde verlangte sie jedesmal ein Taxi und verschwand wie Aschenbrödel im Märchen.«

      »Aus dem Königsschloß«, hofierte Casagrande den Mann, den er brauchte. »Sie hat auch nicht telefoniert?«

      »Nein.«

      »Und sie wurde auch nicht angerufen?«

      »Einmal«, erinnerte sich der »Oriental«-Manager. »Von auswärts.« Sarrasin dachte angestrengt nach. Er hatte das fotografische Gedächtnis, über das man in seiner Branche verfügen muß. »Wie gesagt, ein Anruf von draußen. Ein Mann; er beschrieb uns die Dame, und wir schickten einen Hotelboy mit der Tafel los, um sie in der Halle zu suchen.«

      »Dabei muß doch ihr Name gefallen sein?«

      »Jetzt überfordern Sie mich aber, Monsieur Casagrande«, entgegnete der Manager. »Aber irgendwie ist mir im Gedächtnis haften geblieben, daß es ein Dutzendname war: Müller oder Miller oder so ähnlich. Es fällt mir deshalb ein, weil ich mich damals wunderte, daß eine so ungewöhnliche Frau so einen Durchschnittsnamen hat.« Er schüttelte den Kopf. »Diese Verwunderung war natürlich idiotisch«, wies er sich selbst zurecht.

      »Sagen Sie, Meister, Sie sind doch vom Fach: Hoteliers sind schließlich wahre Psychologen. Was halten Sie von dieser Vielbeachteten?«

      »Schwer zu sagen —«

      »Versuchen Sie’s.«

      Sarrasin schüttelte den Kopf. Er wollte sich nicht durch eine Fehleinschätzung blamieren.

      »Was ist sie?« fragte Casagrande. »Amerikanerin, Deutsche, Italienerin?«

      »Sie könnte auch Französin sein, sogar Südamerikanerin.«

      »Auf was würden Sie tippen?« pirschte Casagrande sich von der anderen Seite an. »Gehört sie zur Creme de la creme? Ist sie Halbseide oder sogar Halbwelt?«

      »Ich nehme nicht an, daß eine dieser drei Möglichkeiten auf sie zutrifft«, entgegnete der Manager. »Aber das ist reine Gefühlssache.«

      »Was könnte sie sein?«

      »Eigentlich alles«, spielte Sarrasin das Orakel von Delphi. »Aber wie ich Sie einschätze, Monsieur Casagrande, werden Sie die Nuß vermutlich bald geknackt haben.« Er lächelte gewinnend. »Ist das Ihre Wette?«

      »So ungefähr«, antwortete der Weltenbummler. »Ich halte am Freitag im Rahmen der Rotary-Veranstaltung eine Lesung. Ich würde die schöne Unbekannte gerne dazu einladen — ganz ohne Hintergedanken übrigens —«

      »Natürlich«, erwiderte der Direktor beflissen. Hotelmanager sind Gentleman-Kuppler.

      »Die Veranstaltung findet ja ausnahmsweise mit Damen statt. Es könnte nicht schaden, ein solches Schmuckstück im Vordergrund zu plazieren. Sie wissen ja, mein Lieber, Kunst braucht, Reklame; deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie der Dame meinen Roman mit einer Empfehlung von mir überreichen lassen würden.« Casagrande übergab ihm seinen literarischen Beitrag zur Bekämpfung der Alterungsvorgänge zwecks Erlangung langwährender Jugend.

      »Wird umgehend erledigt«, versprach der Hotelmanager, und sein Gesicht wirkte viel zu ausdruckslos, um seine Gedanken ganz zu verbergen.

      »Vielen Dank«, verabschiedete sich der Autor.

      »Ich komm’ gleich mit«, sagte Sarrasin und erhob sich. »Ich werde meine Leute noch einmal befragen. So ich fündig werden sollte — Sie sind ja noch eine Weile in der Halle?«

      Der Hotelgast nickte bestätigend und ging neben ihm in den Vorraum mit der Rezeption.

      Es war wie geprobt: Während die beiden Herren noch ein paar höfliche Worte wechselten, erhob sich Aschenbrödel und zeigte den Gästen in der Halle bislang Verborgenes. Die Dunkelhaarige war etwa einen Meter siebzig groß, sie hatte schmale Hüften, makellos geformte Beine und einen melodischen Gang.

      »Lupus in fabula«, machte der Manager seinen Begleiter auf die ihnen Entgegenkommende aufmerksam.

      Sarrasin schaltete sofort, seine Position als Hoteldirektor nutzend. »Pardon, Madame«, sprach er die Unbekannte an. »Monsieur Casagrande, der berühmte Schriftsteller, hat unser Haus beauftragt, Ihnen sein neuestes Buch zu überreichen.«

      »Mir?« fragte sie mit heller, angenehmer Stimme. »Warum?«

      »Ich nehme an, daß er es Ihnen am besten selbst erklären kann«, gab Sarrasin den Schwarzen Peter weiter. »Darf ich verstellen: Mr.