Will Berthold

Adams Letzte


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hageren als schlanken Figur, dem Haarknoten und den ein wenig hektischen Bewegungen kaum das berüchtigte Kompliment machen. Ihr Anblick überforderte die Vorstellung, sie könnte einmal jung, hübsch und lebenslustig gewesen sein.

      Milena lebte wie in freiwilliger Quarantäne, in einem Getto des Wohlstandes, uninteressiert an Affären und Skandalen. Bei ihr war alles geregelt. Sie war eine Fetischistin der Ordnung, dabei zufrieden, denn ihrer Meinung nach hatte sie alles, was zum Leben gehörte: Einen unterwürfigen Ehemann, eine gehorsame Tochter, einen überaus erfolgreichen Vater. Ehe, Erziehung und Familie waren für sie selbstverständliche Pflichtübungen. Sie war wohl ihrer Mutter nachgeraten, von der sie auch den Vornamen geerbt und an ihre Tochter, Milena III, weitergegeben hatte. Für Lulu und auch ihren Mann zeigte sie eine unbegreifliche Schwäche, eine für sie untypische Toleranz; sie billigte den Casagrandes zu, daß sie nicht wie die Deutlers lebten.

      Manchmal kamen Milena Zweifel über ihr monotones Leben, und sie fragte sich, ob ihr Mann nicht doch nur ein Schlappschwanz und Mitgiftjäger, ihre Ehe ein Zustand zwischen Frost und Frust, ihre Tochter nicht gehorsam, sondern nur farblos sei und sie selbst womöglich eine unterkühlte Frau.

      Mit Martin Laimer, dem Tycoon eines Elektrokonzerns, eher in der Welt anzutreffen als zu Hause, verband Milena eine sachliche Beziehung; vielleicht konnte man zu so einem Berserker der Tüchtigkeit und Übervater gar kein herzliches Verhältnis haben. Auch zu ihrer vor zwei Jahren verstorbenen Mutter hatte Milena keine besonders enge Bindung unterhalten, was sie sich bereits zu ihren Lebzeiten manchmal vorgeworfen hatte: Und jetzt stellte sie fest, auch ihre fünfzehnjährige Tochter schien sich genauso zu entwickeln.

      »Ihr werdet also Weihnachten nicht zusammen sein?«

      »Kaum.«

      »Willst du nicht die Festtage bei uns in Düsseldorf verbringen?« fragte die Gastgeberin.

      »Nein, Milena, vielen Dank. Ich werde bei meinem Anwalt in Frankfurt die Scheidung einreichen — ich fürchte, das muß über das US-Generalkonsulat gehen, da wir beide ja Papier-Amerikaner sind — und dann nach Wien weiterfliegen.«

      »Ich weiß ja nicht, was vorgefallen ist«, erwiderte die Freundin, »aber du wirst schon nicht zu voreilig sein, Lulu.«

      »Diesmal ist der Bruch irreparabel«, entgegnete Lulu zornig. »Ich hab’ Cecil gründlich satt. Ich bin am Ende.«

      »Aber er ist wirklich ein gefragter Autor —«

      »Schreiben kann er, das stimmt«, räumte Lulu ein. »Das ist aber auch alles.« Sie steigerte sich in den Zorn hinein. »Ich mag eine alte Kokotte sein, wie er mir schon vorgeworfen hat, aber er ist ein Schwein — und Schweine müssen bluten. Und das heißt blechen in seinem Fall.« Sie bemerkte Milenas angewiderten Gesichtsausdruck. »Sei nicht so zimperlich. Einmal muß es heraus, sonst ersticke ich noch daran. Die Welt ist nicht so heil, wie du dir einbildest — du hast ja keine Ahnung vom Leben, Milena«, setzte die Blondine angriffslustig hinzu. »Ich kann ihn wirklich nicht mehr ausstehen. Alle drei, vier Monate eine neue Affäre, eine schlimmer als die andere.« Ihr Gesicht war gerötet. »Und kostspieliger; Cecil ruiniert sich noch total, nur um den späten Casanova zu spielen.«

      »So schlimm ist es doch wohl nicht«, schränkte die Frau am Steuer ein. »Vielleicht nur eine gewisse Image-Pflege.«

      »Schön wär’s — nimm seine letzte, diese abgetakelte Operetten-Soubrette, vier Jahre älter als ich, eine richtige Sacharin-Göschen. Versteh’ mich, Milena. Sicher wäre es nicht angenehmer, wenn er hinter jungen Mädchen herlaufen würde, aber wenigstens natürlicher. Männer sind nun mal so; aber diese gottverdammten alten Schicksen, mit denen er sich herumtreibt und denen er Altäre baut, machen ihn nur lächerlich. Und Lächerlichkeit tötet. Jungen Frauen geht Cecil geflissentlich aus dem Weg«, setzte sie hinzu. »Warum wohl?«

      Die brünette Fahrerin schüttelte den Kopf.

      »Ich kann’s dir sagen: Entweder kommt sein Schmäh bei den Jüngeren nicht an — oder er hat Angst, sich bei ihnen zu blamieren.«

      »Mein Gott«, erwiderte die Freundin, »du solltest Cecil gekannt haben. Du bist doch schon zum zweiten Mal mit ihm verheiratet —«

      »Und zum letzten Mal«, versetzte Lulu voller Ingrimm. »Damals, als ich mich von ihm noch mal überreden ließ, war ich gerade ziemlich parterre und auch noch jünger und vital genug, seine ständigen Eskapaden durchzustehen — und dann die Trümmer seiner Hausaltäre beiseite zu räumen. Aus. Vorbei. Mir geht es jetzt nur noch darum, daß er büßen muß, was er mir angetan hat.«

      »Ich bedaure das sehr«, erwiderte Milena. »Ich finde es schrecklich und hoffe, daß das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.«

      Die Frau am Steuer war froh, als sie zur prächtigen Golfanlage von Vale do Lobo einbog und die Ankunft das unangenehme Gespräch beendete. Die Parkplätze waren dicht besetzt, aber sie hatte sich telefonisch eine Startzeit reservieren lassen. Milena wurde mit großer Aufmerksamkeit behandelt; diesmal galt die Reverenz nicht ihrem gesellschaftlichen Rang, sondern ihrem Status als vorjährige Clubmeisterin. Sie hatte ein einstelliges Handikap, das auch noch in der unteren Hälfte, und das zählte unter Golfern mehr als die wirtschaftliche Potenz ihres Vaters.

      »So, Lulu«, ermunterte Milena am Abschlag Nummer eins ihren Gast. »Nun beruhig’ dich bitte und konzentriere dich auf unser Abschiedsspiel.« Sie hatte noch nie ein Match gegen die Freundin verloren, nicht einmal an einem schlechten Tag.

      Vor ihnen war ein Flight mit vier Engländern. Die Briten ließen sich sehr viel Zeit, vor allem beim Putten auf dem Grün. Als die Gentlemen merkten, daß sie die beiden Damen aufhielten, ließen sie die Clubmeisterin und ihre Mitbewerberin passieren.

      Sie kamen jetzt zügig voran, auf dem am Meer gelegenen Golfplatz mit seinen welligen Hügeln, errichtet vom besten Golfplatz-Architekten, den es gibt, der Natur. Wiewohl Emotionen bei diesem Sport immer schädlich sind, verschaffte der ausklingende Grimm Lulus Schlägen größere Längen als sonst.

      Sie erreichten den berühmtesten und meistfotografierten Abschlag der Welt, das Hole sieben, unter Golfern so bekannt wie das Straßburger Münster unter Touristen: Man mußte den Ball durch eine Lücke zwischen zwei Felsen im Atlantik schlagen und die Mitte eines Hintergrunds anvisieren, an dem sich das endlose Blau des Himmels unter dem beifälligen Gluckern der Wellen mit dem weiten Grün vereinigte. Die Wienerin spielte heute mit mehr Glück als Disziplin. Milena war perfekt; vielleicht betrachtete sie Golf ebenfalls als eine Pflichtübung. Sie würde wieder gewinnen, aber heute knapper als sonst.

      Am nächsten Dreier-Hole schlug die Düsseldorferin den Ball ein paar Meter zu kurz. Ihre Partnerin setzte den Drive zu weit links an, aber der Wind vom Atlantik trieb den Ball genau in die Mitte; er prallte gegen die Fahne und fiel ins Loch. Zum ersten und vermutlich auch zum letzten Mal hatte Lulu in ihrer Golferinnen-Laufbahn ein As geschossen, das größte Erfolgserlebnis eines Golfers auf dem grünen Parcours.

      Milena applaudierte stürmisch.

      Auch die Engländer hinter ihnen eilten herbei und teilten die Begeisterung.

      Nach dem Spiel hatten alle Gäste des Clubhauses die Pflicht, der »Hole-in-one«-Schützin zu gratulieren und das Recht, auf ihre Kosten reichlich Champagner zu trinken. Die Herren, bereits umgezogen, trugen einheitlich dunkelblaue Blazer mit ihren heimatlichen Clubabzeichen; ihre Begleiterinnen waren in zwangloser Aufmachung. Das Gespräch brodelte mehrsprachig durcheinander. Wetter-Flüchtlinge aus ganz Europa — Briten, Skandinavier, Franzosen, Schweizer, Österreicher, Deutsche — bildeten nach den Kelten, Römern, Mauren, Kreuzfahrern, Franzosen und den portugiesischen Flüchtlingen aus Angola und Moçambique die letzte und willkommenste Invasion der herrlichen Küstenland-Schaft.

      Ein Golfer kennt das Handikap seines Partners so gut wie eine Filmdiva die Liebhaber ihrer Rivalinnen. Je niedriger es ist, desto höher steht der Spieler in der Rangliste und um so mehr Schläge muß er einem weniger Angesehenen vorgeben; gelegentlich kommt es dabei am Abschlag eins zu Rechenfehlern. Ein Golf-Crack erzielt natürlich leichter ein As als ein Durchschnittsspieler, aber ein Zufallscoup wird ganz besonders zelebriert. Wer den Haupttreffer in der Lotterie gewinnt, braucht