Will Berthold

Adams Letzte


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      »Es war natürlich vorhin nur ein Scherz, Mr. Laimer«, wandte sich der Mann aus Monte Carlo dann an den Industriellen. »Ich hoffe, daß ich dabei nicht zu weit gegangen bin.«

      »Seien Sie unbesorgt, Mr. Casagrande«, erwiderte der Angesprochene. »Ich würde mich schon entsprechend wehren.«

      »Davon bin ich überzeugt. Wissen Sie«, sekundierte Bannister seinem Lieblingsschriftsteller: »Ein Autor lebt immer in seiner Romanwelt, und ›Der Biß der Jahre‹ — sein letztes Buch hat den Kampf gegen das Alter zum Thema.«

      »Wie ich Mr. Casagrande einschätze, hat er ihn auch gewonnen«, erwiderte der Mann, der sich aus dem Nichts heraus durchgesetzt hatte, trocken. »Auf dem Papier«, setzte Laimer mit galliger Freundlichkeit hinzu.

      Casagrande quittierte den Volltreffer mit einem Lächeln. »Nicht nur auf dem Papier«, schnappte er sich sein Thema. »Die Wissenschaft hat gesiegt. Das biologische Alter hat das kalendarische gewaltig überflügelt. Die moderne Medizin macht es möglich. Ich weiß nicht, wie bibelfest Sie sind, Mr. Laimer, aber König David hatte sich ganz junge Mädchen in das Bett gelegt, weil er hoffte, ihr Atem würde ihn verjüngen — aber es war leichter, Goliath zu töten, als einen Jungbrunnen zu erschließen. Well, die Wissenschaft hat zunächst auch nur mit der Steinschleuder gekämpft, aber nach Jahrtausenden ihren Kampf gegen die Jahre endgültig gewonnen.« Er holte Luft und fuhr fort: »Früher war ein Fünfzigjähriger ein alter Mann, heute jedoch läßt sich ohne Übertreibung sagen: Das Leben beginnt mit Sechzig.«

      »Na, wenn das so ist«, versetzte Laimer, »werde ich unverzüglich Ihr Buch kaufen.«

      »Das brauchen Sie nicht«, erwiderte der Autor, »Ich schenke es Ihnen.«

      »Vielleicht sind Sie eine biologische Ausnahme, Monsieur Casagrande«, griff Ponsardin das Thema wieder auf. »So etwas gibt es, Ihr Berufskollege Goethe, zum Beispiel, hat mit vierundsiebzig noch einer Neunzehnjährigen einen Heiratsantrag gemacht. Ich wünsche Ihnen, daß Sie in seine Fußstapfen treten, nicht nur literarisch, sondern auch biologisch.«

      »Jedenfalls ist es erstaunlich«, sagte Odermatt, der Genießertyp, »wie diese geheimnisvolle Sphinx unser Gespräch belebt.« Er stellte fest, daß sie »Newsweek« beiseite legte und nach dem »Spiegel« griff. Die Ereignisse in aller Welt waren ihr offensichtlich interessanter als Neugier und Huldigung eines internationalen Hotelpublikums.

      Die Journale brachten bereits Rückblicke auf das sterbende Jahr: Der brasilianische Fußballstar Pelé hatte bei einem Nationalspiel sein tausendstes Tor geschossen. Die Strumpfhose war endgültig auf dem Siegesmarsch und das Überschallflugzeug »Concorde« auf erfolgreichem Jungfernflug. Über dem Atlantik brummten die ersten Jumbo-Jets und machten nunmehr auch den Ferntourismus zum Massenartikel.

      »Die Faszination dieser Frau«, kommentierte der Autor, »die suggestive Wirkung, die von ihr ausgeht, kommt natürlich auch daher, daß keiner von uns weiß, wer sie ist. Entschlüsselt wäre sie vielleicht auch entzaubert, und …«

      »Aber immer noch eine wunderschöne Frau …«, unterbrach ihn Ponsardin.

      »Fraglos.« Der Erfolgsautor suchte den Blick der schönen Unbekannten; es war ein aussichtsloses Unterfangen. »Aber wüßten wir zum Beispiel, daß sie die Tochter eines Corned-beef-Königs oder die Frau eines Waschmittelfabrikanten ist, nach Verlust ihres Geheimnisses also, wäre sie nur noch eine gewöhnliche Jet-setterin —«

      »Wie ich dich kenne«, stellte Bannister fest, »wirst du das Rätsel in deinem nächsten Roman lösen …«

      »Menschen meiner Umgebung sind nun einmal der Stoff, aus dem ich die Handlung konstruiere.«

      »Dann sind wir also Ihre Modelle auf dem Laufsteg?« fragte Laimer.

      »Gewissermaßen«, gestand Casagrande. »Aber ich sichere Ihnen von vornherein volle Diskretion zu.«

      Whitehead, der halbtaube und extrem kurzsichtige Nestor am Tisch, kaute an Worten; sein Gesicht wirkte konzentriert. Die vielen Falten und Runzeln waren angespannt. »Ich denke, ich bin der jungen Lady schon einmal begegnet«, überraschte er dann die Herrenrunde.

      In der Manier der Schwerhörigen sprach er zu laut.

      »Slow down, please«, stoppte ihn Bannister.

      »Wo? Wann?« insistierte Casagrande.

      »Ich bin mir nicht ganz sicher, daß es keine Verwechslung ist«, tastete sich Whitehead weiter. »Es ist schon eine Weile her.« Er sah noch einmal zum Nebentisch. In seiner Vorstellung trug die Unbekannte auf einmal ein schwarzes Kleid. »Es muß auf einer Beerdigung gewesen sein« — der Alte tippte sich an die Stirn — »es liegt schon länger zurück …«

      »Gehen Sie denn so oft zu Bestattungsfeiern auf den Friedhof?«

      »For goodness’ sake!« rief Whitehead. »Am liebsten würde ich meine eigene schwänzen. Es war in Brooklyn, wenn ich mich nicht täusche«, fuhr er dann fort. »Bei der Beisetzung von Phil Palance, Sie wissen doch, Gentlemen, der Mann, der mit Verpackungsmaterial ein ungeheueres Vermögen gemacht hatte …«

      »Jeder kannte Phil Palance«, konstatierte der Gnom aus Zürich. »Ich hatte auch geschäftlich mit ihm zu tun — mit seiner Holding in Genf …«

      »Sein Tod hat großes Aufsehen erregt. Phil ist ganz plötzlich gestorben, Gehirnschlag oder Kreislaufkollaps. Ein Athlet, nicht nur im Geschäftsleben — völlig unerwartet, gefällt wie eine Eiche mit einem einzigen Schlag.« Whitehead sprach zwar etwas leiser, doch noch immer zu laut. »Phil stammte aus dem Slumviertel von Brooklyn. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, auf dem dortigen Friedhof beigesetzt zu werden, und so pilgerte Wallstreet fast geschlossen auf den Armenfriedhof von Brooklyn …«

      Alle folgten gespannt seiner Erzählung; selbst dem bedächtigen Laimer war die Phil-Palance-Story auf einmal wichtiger als seine Computer.

      »Es herrschte ein ungeheures Gedränge«, erinnerte sich Whitehead. »Achtundsechzig war Phil geworden. Das ist noch kein Alter für den Tod.« Nach Art der Kurzsichtigen kniff er die Augen zusammen. »Doch vielleicht auch kein Alter — für die Liebe.«

      »Liebe?« fragte Casagrande mit zu hoher Stimme; er unterschätzte den Alten nicht. Er wußte, daß Whitehead bei Börsengeschäften auch heute noch ein gespitztes Gehör und einen scharfen Blick hatte und noch immer als einer der Großen von Wallstreet galt. »Die Presse hat damals nichts gebracht, die Familie hat es wohl verhindert. Ich muß etwas weiter ausholen: Phil war in seiner Firma zwar kein rauher Despot, aber doch ein ungeduldiger Dynamiker. Seit Jahren verwitwet und voll im Streß. Ein vitaler Draufgänger. War ihm nach einer Frau zumute, dann menagierte er eben à la carte. Alles andere war für ihn nur Zeitverschwendung. Aus erster Ehe hatte er drei Söhne, aus zweiter eine Tochter. Die Söhne haben nicht sein Format, seine Umsicht und schon gar nicht sein Ungestüm. Phil stellte sie kalt, beschäftigte sie nur formal in der Firma, damit sie nicht als reine Playboys herumliefen. Anders war es mit Laura, seiner zwanzigjährigen Tochter. Das Nesthäkchen arbeitete als seine Privatsekretärin, Reisebegleiterin und als Verwalterin bestimmter Vertrauenskonten. Sie war Tag und Nacht um Phil — bis das Unglaubliche eintrat: Ein paar Monate vor seinem Tod übergab er seine Firma von einer Stunde auf die andere einem Bevollmächtigten, zog sich aus allen Geschäften zurück und reiste nur noch als Privatmann durch die Welt. Nun nicht mehr mit Töchterchen Laura — die in der Firma blieb —, sondern mit einer nur ein paar Jahre älteren Dame. Ich hatte seinerzeit das Gemunkel ignoriert«, fuhr Whitehead fort, »aber das Getuschel auf der Beerdigung war nicht mehr zu überhören: Pikante Trauer, unterhaltsam durch Enthüllungen. Etwas abseits von den Angehörigen stand eine junge, ungemein schöne Frau. Man sagte, sie sei Phils Begleiterin der letzten Monate. In ihrem schwarzen Kostüm wirkte sie schmal, blaß, beherrscht und todtraurig. Wenn sie nicht eine glänzende Schauspielerin war, dann hatte sie Phils Tod weit mehr getroffen als zum Beispiel seine Söhne. Sicher ist es nicht schwer, einen guterhaltenen, vielfachen Millionär zu mögen, aber sie hat ihn geliebt, das sah sogar ich mit meinen kaputten Augen. Die Söhne schnitten sie brutal bei der Trauerzeremonie. Doch dann, als der Sarg hinabgelassen wurde, geschah etwas Erstaunliches: Laura ging auf