2:1 gegen den TuS Giengen, 1:0 gegen Schwarz-Weiß Essen und 4:1 gegen Fortuna Köln. Im Halbfinale kam der Hamburger SV, der zuvor den großen FC Bayern geschlagen hatte. Die Hamburger waren im Pokalwettbewerb Titelverteidiger und gingen natürlich als Favoriten ins Rennen.
Dienstagabend, Ruhrstadion unter Flutlicht, 31.000 Zuschauer und ein Gegner, der klasse Fußballer in seinen Reihen wusste. Trainer Willi Reimann setzte auf Profis wie von Heesen, Plessers, Kaltz, Spörl, Jakobs, Kastl, später Bein oder Gründel – und auf Dietmar Beiersdorfer, den ich ein paar Jahre später bei Werder Bremen wiedertreffen sollte. Es wurde ein perfekter Abend für uns.
Schon nach 27 Minuten schockte Martin Kree die Hanseaten mit einem Hammer-Tor zum 1:0. Für Jupp Koitka gab es nichts zu halten. Der HSV-Keeper patzte allerdings in der 60. Minute, als er einen Schuss von Andrzej Iwan durch die Beine bekam. Ausgerechnet der Jupp, der wie ich in Bochum geboren war.
Ich trat wie immer im Mittelfeld an und lieferte mir heftige Duelle mit Heinz Gründel. Hermann Gerland gab mir für die 90 Minuten ein »Pflichtenheft« mit auf den Weg: »Er wird versuchen, dich zu provozieren. Lass dir nichts gefallen, knall ihn weg.« Eine Ansage, die ich nicht falsch verstehen konnte.
Heinz Gründel – offensiv ausgerichtet und technisch stark – suchte immer den direkten Zweikampf eins gegen eins. Ein Straßenfußballer, der ein Jahr zuvor mit dem HSV den DFB-Pokal gewonnen hatte. Das war kein »Hosenpuper«, sondern ein mit allen Wassern gewaschener Berliner Junge. Er hat mich natürlich provoziert und auch mal »weggeflext«. Aber, was soll ich sagen, er traf auf einen jungen, dynamischen, frischen Burschen namens Legat, der sich nicht beeindrucken ließ, selbst wenn der Kontrahent versteckt foulte oder kniff. Und die provokanten Sprüche konterte ich: »Halt’s Maul, alter Mann, du läufst doch nur hinter mir her.«
Und so war es auch. Es entwickelte sich einer dieser knallharten Zweikämpfe, die ich so liebte und die mich top motivierten. Es waren die Anfänge, in denen ich mir meinen Ruf als »harter Hund« verdiente.
90 Minuten lang spielte unsere Mannschaft gegen die Hamburger wie aus einem Guss, und unsere »Katze« Zumdick im Tor ließ nichts anbrennen, parierte Kopfbälle von Ditmar Jakobs und einen gefährlichen Schuss von Uwe Bein. Unser Keeper hielt den Sieg fest und bescherte uns damit eine Prämie von 10.000 Mark. Die hatten wir uns redlich verdient. Ich fühlte mich wie nach einem Marathonlauf. »Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin«, hatten die Fans vom Anpfiff an gesungen. Sie behielten recht.
Ins »Deutsche Wembley« zu kommen, war für mich als 19-jähriger Profi der reinste Wahnsinn. 76.000 Zuschauer bevölkerten an diesem 28. Mai 1988 das Berliner Olympiastadion, um unser Spiel gegen Eintracht Frankfurt zu sehen. Ich fühlte mich wie Jung-Siegfried und hätte Bäume ausreißen können. Doch von den vier Finalspielen im DFB-Pokal, die ich im Laufe meiner Karriere erlebte und von denen meine Mannschaft drei gewann, sollte mein erstes Endspiel bitter enden. Ich erfuhr am eigenen Leib, dass der Fußball, den ich so liebte, manchmal grausam sein konnte.
Es begann damit, dass wir mit 1:0 in Führung gingen. Jedenfalls dachten wir das. Rob Reekers hatte auf Uwe Leifeld gespielt, der lief noch ein paar Schritte und zog ab. Dem Frankfurter Keeper Uli Stein, der den Ball mit beiden Händen aufnehmen wollte, flutschte er durch die Beine. Doch während Uli Stein wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag und wir Leifeld feierten, nahm Schiedsrichter Heitmann, der zunächst auf Tor erkannt hatte, den Treffer zurück. Einer seiner Assistenten signalisierte eine Abseitsstellung. Eine falsche Entscheidung, wie auch die Fernsehbilder später bestätigten. Wir waren enttäuscht und wütend. Doch es sollte noch schlimmer kommen.
Ich weiß, dass wir uns in der Halbzeit noch einmal richtig heiß machten. Gerland erinnerte uns daran, dass wir in der Meisterschaft zweimal gegen Frankfurt 1:0 gewonnen hatten. Ich dachte, der Hermann hätte es vor allem verdient, dass er in seinem letzten Spiel als Trainer für den VfL Bochum noch einen Titel erringt. Doch trotz aller Bemühungen gelang uns nach Wiederanpfiff kein Treffer.
Schließlich waren noch etwa zehn Minuten zu spielen. Eine ausgeglichene Partie steuerte auf die Verlängerung hin, als sich das Glück endgültig von uns abwandte. Frankfurt bekam einen Freistoß zugesprochen – und das in der Nähe des Sechzehnmeter-Raumes.
Wie oft hatten wir im Vorfeld dieses Thema angesprochen. »Nur keinen Freistoß« – Worte unseres Trainers, die sich in den Köpfen festgesetzt hatten. Und dann dieses Foul. Alle wussten, dass Frankfurt mit dem Ungarn Lajos Detari einen Spezialisten beschäftigte. Den Stellenwert dieses Spielers mag man daran erkennen, dass das ungarische Fernsehen live übertrug. Detari, Nationalspieler seines Landes, trug Schuhe, die der Sportartikelhersteller in den Nationalfarben gefertigt hatte.
Tränen der Enttäuschung: nach dem verlorenen DFB-Pokalfinale in Berlin. »Ata« Lameck (links), der kurz zuvor seine große Profikarriere beendet hatte, versucht mich zu trösten.
Wir stellten unsere Mauer auf. Es waren fünf Mann, darunter ich mit meinen 1,85 Metern. Zumdick korrigierte die Mauer noch einmal, dann erwarteten wir den Schuss. Ich schaute auf Detaris Schuhe, die mit den rot-weiß-grünen Streifen auf mich wie zwei Lollipops wirkten. Dann lief er an und schoss. Was in diesen Millisekunden passierte, verstehe ich bis heute nicht, wenn ich daran zurückdenke. Alle sprangen hoch, um den Ball zu blocken – nur ich blieb stehen. Genau durch diese Lücke flog der Ball und fand den Winkel.
Der Held hieß Lajos Detari und der Depp Thorsten Legat.
Es ist schon kurios, wenn man in seiner Karriere dreimal DFB-Pokalsieger geworden ist und trotzdem immer wieder auf das eine verlorene Finale angesprochen wird. Aber das passiert mir bis heute in meiner Geburtsstadt. Egal wo ich Fans oder Kollegen treffe, irgendwann kommt die Sprache auf 1988 und anschließend gleich der Vorwurf: »Wärst du damals hochgesprungen, wären wir Pokalsieger geworden.«
Das stimmt natürlich nicht, denn alle vergessen immer, dass es 0:0 stand. Wenn ich den Ball mit dem Kopf geblockt hätte, wäre dann der VfL Bochum Pokalsieger gewesen? Natürlich nicht, erst hätten wir ja selbst ein Tor erzielen müssen, und das wissen die Fans. Aber sie wissen auch, wie sie mich ärgern können. Dabei ärgerte ich mich damals am meisten über meinen Fehler.
Obwohl wir durch Detaris Freistoßtreffer verloren hatten, wurden wir am nächsten Tag in Bochum wunderbar empfangen. Zwar nur als »Vize-Pokalsieger«, aber das »Vize« hatten die Fans ganz klein geschrieben. Mit einem Autokonvoi ging es zum Bochumer Rathaus, wo uns ein Meer von Menschen feierte. Ehrlich gesagt, bekam ich auf dem Rathausbalkon ein wenig Schiss, denn die Brüstung wirkte alles andere als solide. Trotzdem: Es war ein fantastischer Tag.
Kabinengeflüster (1)
Die Einsamkeit des Langstreckenläufers
Das »Weitmarer Holz« gilt im Ruhrgebiet als Wandertipp schlechthin. Das Naherholungsgebiet liegt im Süden von Bochum und umfasst etwa 80 Hektar Wald. Für den VfL Bochum ein idealer Ort, um Waldläufe anzusetzen.
Wir fuhren also mit dem Auto dorthin und liefen vom Parkplatz aus mehrere vorgegebene Runden. Es gab einen kleineren und einen größeren, etwa fünf Kilometer langen Rundlauf. Den kleineren Parcours hatte ich bereits absolviert. Die lange Strecke sollte ich an diesem Tag das erste Mal absolvieren.
Vorgegeben war vom Trainer eine schnellere Runde, und das war so richtig nach meinem Geschmack. Da ich ohnehin immer vorneweg laufen wollte und in jedem Training einen Wettbewerb sah, den ich gewinnen musste, nahm das Unheil seinen Lauf. Der Beste, der Schnellste, der Härteste – gab es überhaupt einen Superlativ, den ich mir seit meiner Kindheit nicht verordnet hatte?
Ich lief und setzte mich schnell ab. Unterwegs gab es viele Wege, die von meinem abzweigten, doch ich rannte weiter geradeaus. Irgendwann meldete sich meine innere Uhr. Für 5.000 Meter im Stadion gilt als Faustregel eine Zeit von etwa 20 Minuten. Im Wald dauert es vielleicht eine halbe Stunde. Ich aber war deutlich länger unterwegs. Ich blieb stehen und bekam Panik. Fragen schossen mir durch den Kopf. Wo bin ich? Wo sind die anderen? Hab ich mich verlaufen? Was wird der Trainer sagen? Mich ergriff die Angst, wieder einen Fehler gemacht zu haben.