bösen Vorahnungen sollten sich bestätigen.
Nachdem er das Haus wütend verlassen hatte, ging er zuerst in seinen Schrebergarten. Dort hielt er sich in der Regel ein bis zwei Stunden auf. Die Parzelle lag etwa eineinhalb Kilometer von unserem Haus entfernt in der Nähe der Bahngleise. Danach trieb es ihn zwar wieder heimwärts, doch an der Kreuzung Rüsingstraße / Auf den Holln lag seine Stammkneipe direkt am Eck. Dort kehrte er meistens für einige Stunden ein und trank vor allem das Gedeck der Bergleute: Bier und Korn.
An diesem Abend kam er stockbetrunken nach Hause und nahm sich uns vor. Wir, meine Mutter und ich, saßen nervös im Wohnzimmer. Als die Tür auffl og, bin ich sofort zu meiner Mutter und habe sie umarmt. Mein Vater zog seinen Mantel aus und stürzte sich sofort auf seine Frau. Er beschimpft e sie als »Schlampe und Hure«, riss mich weg und schlug meine Mutter windelweich. Danach kam ich an die Reihe. Er prügelte auf uns ein. Meine Mama, für mich die liebste Frau der Welt, war von blauen Flecken übersät. Ich selbst spürte kaum noch die Schläge mit dem Rohrstock, die so viele Striemen auf meiner Haut hinterließen. In mir wuchs der Widerstand mit jedem Schlag.
Wenn ein Mensch ständig unterdrückt und gequält wird, dann zerbricht er entweder daran oder er beginnt irgendwann, sich zu wehren. Als mein Vater schließlich von mir abließ, hatte ich endgültig mit ihm abgeschlossen.
Bochumer Legenden: Hermann Gerland, Jupp Tenhagen und »Ata« Lameck (von links) beim Trainingslauf im Wald.
Angeberisch rief er noch: »Ich bin der Einzige, der hier im Haus etwas zu sagen hat!« Doch da spuckte ich ihm ins Gesicht und schrie zurück: »Ich hasse dich so, dass es für ein ganzes Leben reicht.«
Es ist kaum zu glauben, aber von dieser Sekunde an hat mich mein Vater respektiert. Ich wurde nie wieder geschlagen.
Trotzdem wechselte ich zunächst nicht zum VfL Bochum. Vielleicht traute ich mich doch nicht, sofort diesen Schritt zu vollziehen. Ich blieb zunächst bei meinem Stammverein in Werne, und das sehr erfolgreich. Wenig später erhielt ich ein Angebot vom DSC Wanne-Eickel. Sie spielten wie die B-Jugend des VfL Bochum in der Westfalen-Liga. Da ich mit dem TuS Vorwärts noch in der Bezirksliga kickte, wäre der Sprung zum DSC vielleicht einfacher gewesen als zum »großen« VfL. Möglich, dass mich dieser Gedanke dazu trieb, es vorher in Wanne-Eickel zu versuchen.
Die Nachricht, dass der Kapitän der Bochumer Kreisauswahl nach Wanne-Eickel und damit in den Kreis Herne abwandern wollte, gefiel meinem Auswahltrainer Bernd Büdenbender überhaupt nicht. Er schlug beim VfL Bochum Alarm. So dauerte es nicht lange, bis eine Reaktion kam. Und was für eine: Hermann Gerland stand vor unserer Tür.
Auch wenn ich ihn vorher noch nie persönlich getroffen hatte, so elektrisierte mich doch sein Name. Der langjährige Profi des VfL Bochum war an der Castroper Straße, an der das Stadion lag, eine Institution. Er verkörperte den VfL Bochum wie kein anderer. Gerland war ein »echter Bochumer Junge« und spielte mit einer Leidenschaft, die ihm den Namen »Tiger« einbrachte. Ein Fußball-Malocher, der als eisenharter Abwehrspieler niemals aufgab. Bevor er 1985 Co-Trainer von Rolf Schafstall wurde, arbeitete er nach seinem Karriereende 1984 schon mit der VfLJugend, unter anderem als A-Jugendtrainer.
Und nun, im Oktober 1984, saß er bei uns am Küchentisch und machte mir das Angebot, beim VfL Bochum zunächst in der B-Jugend anzufangen und dann bei ihm in der A-Jugend zu spielen. Er war persönlich gekommen, um sich ein Bild davon zu verschaffen, wie ich lebte.
Mit meiner Mutter in unserer Straße »Auf den Holln«.
Als gebürtiger Bochumer war Gerland selbst in einer Großfamilie aufgewachsen, deshalb störte er sich nicht an einfachen Lebensumständen. Ihn interessierten immer die Menschen, mit denen er zu tun hatte. Er unterhielt sich lange mit meiner Mutter und sagte schließlich: »Frau Legat, Sie brauchen sich nicht zu schämen für das, was Ihnen Ihr Mann oder er Ihrem Jungen angetan hat. Ich bin ab jetzt Tag und Nacht für Sie da.«
Das hat mir sehr imponiert. Fortan sah ich in ihm eine Art Vater-Ersatz. Ich konnte mit ihm über alles reden, habe mich sogar bei ihm ausgeweint. Endlich war da jemand, zu dem ich Vertrauen aufb auen konnte. Das hatte ich vorher ja nie erlebt. Gerland unterstützte mich in allen Belangen, selbst, wenn ich Klamotten oder Schuhe benötigte. Aber er konnte auch knallhart reagieren oder mir die Leviten lesen, wenn er der Meinung war, dass ich mich nicht professionell verhielt. Gerland war es, der letztlich die Weichen für mich stellte.
Wie ich ein »harter Hund« wurde
Manchmal glaube ich, dass es eine göttliche Vorsehung oder einfach Schicksal war, dass Hermann Gerland meinen Weg kreuzte.
Der »Tiger« hatte immer ein Auge auf mich gerichtet, selbst wenn mich ein anderer Trainer betreute, so wie Erich Schiller in der B-Jugend des VfL. Mit ihm feierte ich meinen größten Erfolg, als wir am 14. Juli 1985 Deutscher Meister wurden. Mit 3:0 gewannen wir gegen Kickers Offenbach am Bieberer Berg. Bei den Kickers stand damals Ralf Weber im Team, mit dem ich Jahre später bei Eintracht Frankfurt zusammenspielen sollte. Die besten Partien auf dem Weg ins Finale absolvierte ich gegen den Hamburger SV. Beim HSV spielten wir am Rothenbaum und gewannen durch meinen Treffer mit 1:0. Im Rückspiel siegten wir sogar mit 4:1, und ich konnte zwei Tore beisteuern. Unser Kapitän hieß damals Olaf Dressel. Auch er machte später Karriere in der Bundesliga.
Als ich in der A-Jugend des VfL antrat, hatte ich meine Schule beendet und eine Lehre als Schlosser begonnen. Das war für mich echt hartes Brot. Morgens früh um vier Uhr stand ich auf und fuhr mit der bereits gepackten Trainingstasche zur Arbeit. Nach Feierabend ging es nahtlos weiter: mit dem Bus zum Trainingsgelände des VfL, Training unter Hermann Gerland und danach Weiterfahrt mit dem Bus zum Gelände der »Bogestra«, der Bochumer und Gelsenkirchener Straßenbahn AG. Dort arbeitete meine Mama. Jeden Tag holte ich sie ab, und wir gingen dann gemeinsam nach Hause. Das war wie ein Ritual für mich.
Deutscher Meister! Diesen Titel holte ich mit der B-Jugend des VfL Bochum in der Saison 1984/85. Auf dem Foto nach der Siegerehrung stehe ich ganz links.
Zu Hause angekommen, schrieb ich beinahe täglich noch Berichte für die Berufsschule. Das ging oft bis Mitternacht. Zeitlich war es ein Mordsstress, und Stress gab es leider auch mit einigen Arbeitskollegen. Ich musste Arbeiten verrichten, die gar nicht zur Ausbildung gehörten. Einige Kollegen hatten ihren Spaß daran, mich zu schikanieren. Motto: Jetzt zeigen wir dem Profi mal, wo hier der Hammer hängt.
Ich sprach mit Hermann Gerland und schilderte ihm meine Probleme. Das gipfelte in dem Satz: »Ich schaffe das alles nicht mehr.« Hermann antwortete: »Es gibt nur zwei Möglichkeiten für dich. Entweder du machst weiter wie bisher. Oder du hörst sofort auf und konzentrierst dich auf deine Profikarriere. Ich sorge dafür, dass du einen Zweijahresvertrag bekommst.« Ich nahm die Steilvorlage dankend an und brach meine Ausbildung ab.
Bei einem Hallenturnier im Januar 1986. Bei einer der vielen Auseinandersetzungen mit meinem Vater wurde dieses Foto zerrissen.
Es gibt einen Satz Gerlands, der sich mir eingeprägt hat. Wir absolvierten ein Pokalspiel in Münster. Bei großer Hitze lieferten wir in den ersten 45 Minuten eine grottenschlechte Leistung ab und lagen folgerichtig 0:2 zurück. Gerland sprach mich direkt an: »Wenn du nicht zurückwillst auf die Straße, dann musst du kämpfen, kämpfen, kämpfen. Also beweg deinen Arsch.«
Danach habe ich das Spiel mit meiner Mannschaft noch gedreht. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir 5:2 gewonnen, und ich traf dreimal in der zweiten Halbzeit.
Dieses: »Wenn du nicht wieder auf die Straße zurückwillst, musst du kämpfen«, begleitet mich mein ganzes Leben. Ausgelöst durch