Grundschule lag nicht weit entfernt von der Sonderund einer Hauptschule. In den Pausen mischten sich auf dem Schulhof Grund- und Hauptschüler. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen, in die ich oft verwickelt war. Ich prügelte mich fast jeden Tag.
Es gab auf der Sonderschule eine Clique, die permanent provozierte. Vor allem ich geriet immer wieder in ihren Fokus, weil ich mich von Drohungen oder Mobbing nicht einschüchtern ließ. So gab ein Wort das andere, bis schließlich ein Kreis gebildet wurde und der Zweikampf begann. Der Gegner, mit dem ich mich dann prügelte, stammte immer aus dieser einen Gruppe. Und immer war es der gleiche Platz – hinter der Turnhalle. Heute bin ich nicht stolz darauf. Damals schon, denn ich gewann jeden Zweikampf.
Mein Verhalten seinerzeit, mein Einzelgängertum, die Aggressivität – all das zeigte mir später, dass irgendetwas von der Brutalität meines Vaters in mir steckte. Ich habe das jahrelang verflucht und tue es noch heute. Immer wieder kamen diese aggressiven Impulse in mir hoch. Irgendwann habe ich mir gesagt, diese Art zu leben ist abscheulich. Nach und nach änderte ich mich. Heute versuche ich, liebenswürdig und nett zu sein, und ich denke, dass ich es geschafft habe. Manchmal aber, in Stresssituationen, muss ich mich zwingen, die Kontrolle zu behalten. Das passiert hin und wieder – aber weil ich heute die Gründe dafür kenne, finde ich schnell wieder in die Spur.
Meine Mutter Eugenie, mein wichtigster Halt in der grausamen Atmosphäre einer Familie, die keine war, musste gegenüber den Lehrern Rede und Antwort stehen. Sie sollte erklären, warum ich so war. Kein leichtes Unterfangen für sie, die von diesem Unmenschen von Ehemann selbst wie ein Tier behandelt wurde. Also bemühte sie sich, so nahe wie möglich an die Wahrheit zu gehen, ohne den Hauptgrund zu nennen. Sie sprach von häuslicher Gewalt, der Angst vor dem Terror und den Alkohol-Eskapaden meines Vaters.
Letztere waren ja ohnehin bekannt in unserer Straße. Dort hatte ich täglich mit Spott zu leben. Wenn ich sogar im Sommer mit den Gummistiefeln spielte, fragten mich andere Jugendliche: »Hat dein Vater, der Säufer, kein Geld für deine Schuhe?« Kinder sind oft nicht nur naiv, sondern können auch ganz schön brutal sein. Ich antwortete mit Schlägen. Ich ähnelte einem Raubtier, das in die Ecke gedrängt wird und um sich beißt.
Manchmal – so merkwürdig das auch klingt – half ich auch anderen Kindern aus bedrohlichen Situationen. Wenn sie angegriffen wurden, stellte ich mich schützend vor sie. Eine Maßnahme, die aufgrund meiner körperlichen Präsenz schon früh fruchtete. Heute weiß ich, dass es häusliche Muster waren, die mich dazu brachten. Ich »lernte« im Elternhaus, dass du ausgeliefert bist, wenn dich niemand schützt. Nur wenn meine älteren Brüder da waren, kam es nicht zum Missbrauch. Auf der anderen Seite »begriff« ich, dass körperliche Stärke hilft, wenn du einen Machtkampf gewinnen willst. Du musst nur hart genug zuschlagen. Diese beschissenen Schwarz-Weiß-Muster verdanke ich meinem Peiniger.
Weihnachten bei der Familie Legat. Wie ein Fest der Freude wirkt es nicht – und es war auch keines. Als diese Aufnahme gemacht wurde, war ich sieben Jahre alt und der Gewalt meines Vaters ausgeliefert.
Was auf der Grundschule begann, setzte sich in der Hauptschule fort. Der Name Legat war dort schon berüchtigt. Dafür hatte einer meiner älteren Brüder gesorgt. Doch die Lehrer, dies erfuhr ich später, glaubten, dass ich aufgrund meines fußballerischen Talents charakterlich anders sei. Nun, ich stellte ihre Geduld auf eine harte Probe.
Doch tatsächlich: Je mehr sich abzeichnete, dass ich vielleicht als Profifußballer eine Chance bekommen sollte, desto besser wurde es mit der Zeit. Ich stand oft in der Zeitung und bekam auch auf dem Schulhof meine ersten Fans. Durch den Fußball, das regelmäßige Training und die Spiele ließ mein aggressives Verhalten nach. Ich schloss die Schule schließlich in der zehnten Klasse mit der Sekundarstufe eins ab.
Mein Ersatzvater hieß Gerland
Es gibt viele Geschichten darüber, wie Profis überhaupt zum Fußball gekommen sind. Oft ist der Vater Auslöser, der seinen Sohn mit ins Stadion genommen hat. Manchmal sind es Kameraden, mit denen du auf der Straße kickst und die – wenn sie selbst schon in Vereinen spielen – dich zu ihren Klubs mitnehmen. Oder aber der Zufall spielt eine tragende Rolle. So wie bei mir.
Mit den neuen Fußballschuhen, die ich liebte und behütete wie einen Schatz, obwohl es keine Markenschuhe waren, traute ich mich nun auch, auf richtigen Fußballplätzen zu spielen. In unserem Stadtteil Werne gab es ein großes Sportgelände, das zum Verein TuS Vorwärts Werne 09 gehörte. Dorthin zogen meine Freunde und ich, um endlich auch einmal auf richtige Tore zu schießen. Regelmäßig besuchten wir das Gelände und kickten – wenn man uns ließ – stundenlang.
Er hieß Helmut Kirchhoff und war ein großer, stabiler Kerl mit einem recht breiten Mittelscheitel. Beruflich leitete er als Direktor das Kinderwohnheim im Bochumer Stadtteil Werne. Privat engagierte Kirchhoff sich als Jugendtrainer beim TuS Vorwärts. Er war häufiger Zaungast und beobachtete uns bei unserem Freizeitkick. Eines Tages sprach er mich an: »Hast du nicht Lust, bei uns im Verein mitzumachen?« Natürlich hatte ich Lust. Ich trainierte einmal mit und blieb als Spieler der E-Jugend.
Schon frühzeitig fand ich im Fußball den Typen, dem ich nacheifern würde. Mein Idol hieß Hans-Peter Briegel. Seine kraftvolle Art zu spielen imponierte mir. Als ehemaliger Zehnkämpfer wurde er wegen seiner manchmal ungelenken Art von einigen belächelt. Aber welche Power steckte in diesem Menschen! Für mich stand fest: Ich wollte so sein wie er, ein Brecher, einer, der vor nichts Angst hat und schnurgerade seinen Erfolgsweg sucht. Und das habe ich auch geschafft.
Beim TuS Vorwärts Werne 09, der später mit der SG Werne fusionierte und schließlich WSV Bochum 06 hieß, spielte ich in allen Jugendmannschaften erfolgreich. Regelmäßig schoss ich meine Teams zur Meisterschaft oder zum Aufstieg. Mein absoluter Rekord lag bei knapp 180 Toren in einer Saison.
Natürlich meldeten sich auch Auswahltrainer. Am Anfang stand in der D-Jugend die Bochumer Kreisauswahl, ab der C-Jugend wurde ich dann in die Westfalen-Teams berufen. In dieser Zeit erhielt ich auch erste Offerten von den Bundesligisten in der näheren Umgebung. Doch die Angebote aus Dortmund oder Bochum, die sich besonders in meinem ersten B-Jugendjahr häuften, wurden abgelehnt, weil einerseits mein Herz für Bochum-Werne schlug und andererseits mein Vater – wie sollte es anders sein – die Marschrichtung vorgab.
Dann kam der Tag, den ich nie vergessen werde. Denn da veränderte sich mein damaliges Leben völlig.
Zu Hause bei uns am Tisch saß wieder einmal Klaus Kaschuber. Er kam zu uns in die Straße Auf den Holln 62, weil er beim VfL Bochum für die B-Jugend zuständig war. Er wollte mich für den VfL verpflichten, hatte bei seinen vorherigen Besuchen aber immer wieder bei meinem Vater auf Granit gebissen. Ich weiß nicht mehr, warum, aber dieses Mal hoffte ich, dass er meinen Vater umstimmen könnte.
Doch wieder einmal sollte ich mich täuschen. Mein Vater fiel Kaschuber ins Wort, und schon mit seinem ersten Satz begann sich das farbenprächtige Bild aufzulösen, das meine Fantasie voreilig erstellt hatte. Er stand auf und bellte: »Mein Sohn geht nicht zum VfL. Nur über meine Leiche. Der Einzige, der hier bestimmt, bin ich und nicht etwa mein Sohn oder meine Frau.« Worte, die ich empfand wie Keulenhiebe.
In meinem Jugendzimmer unserer Wohnung »Auf den Holln«. VfL-Fan blieb ich, egal, wo ich Fußball spielte.
Doch sie lösten einen Impuls in mir aus, mit dem ich selbst nicht gerechnet hatte: Ich ging auf Konfrontationskurs. Ich nahm allen Mut zusammen, fixierte ihn scharf und hörte mich sagen: »Du bist jetzt leise. Jetzt rede ich. Ich gehe zum VfL Bochum, und du hast nichts zu melden.« Ich konnte beinahe selbst nicht glauben, dass ich mich gegen meinen Vater auflehnte. Der zog wortlos seine Jacke über und verließ das Haus. Die Angst, die immer latent vorhanden war, kam mit Wucht in mein Bewusstsein zurück. Während Klaus Kaschuber mit meiner Mutter über einen Wechsel