Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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nicht von ihren Fersen. Auf der Treppe stand ein Laienbruder, den forderte Theodata auf, sie zu Seiner bischöflichen Gnaden zu führen, er entgegnete, der Bischof sei beim Hochamt im Dom. Sie sagte, sie wolle warten, ein zweiter Laienbruder, der hinzutrat, meinte, sie werde gar lang warten müssen, nachher sei Empfang der Domherren und Äbte, und dann werde Seine Gnaden wegen der großen Hitze nach Veitshöchheim aufs Schloß fahren. Es war aber nicht die Hitze Ursache dieses Beschlusses, wie alle wußten, sondern weil Seine Gnaden von einer Unrast gepeinigt wurde, die die Bedenklichkeit seiner ganzen Umgebung hervorrief; seit der Gefangensetzung des Junkers hatte er nicht gegessen, nicht geschlafen, auch zum Gebet hatte er sich nicht zu sammeln vermocht. Stimmen von außen waren ihm zugekommen, die von der Erbitterung und bedrohlichen Haltung der Bürgerschaft Kunde gaben, infolgedessen mißtraute er jedem Menschen, jeder Miene, jedem Laut, stellte Wachposten vor die Zimmer, in denen er weilte, sah die Luft voll fletschender Fratzen und hörte allenthalben unheimliche Geräusche. Theodata konnte davon keine Kenntnis haben, aber da das Gebaren der Diener ein Spiegel von der Verfassung des Herrn ist und ihre aufgewühlte Seele in schmerzhafter Empfindlichkeit zitterte, spürte sie die Verstörung des Hauses mit jedem Atemzug, ihre angstvolle Ungeduld wuchs immer mehr dadurch, sie beharrte bei dem Vorsatz, den Bischof sehen zu wollen, und blieb, die schweigende, groß und bestürzt dreinschauende Lenette hinter sich, auf dem Treppenabsatz stehen. Hohe geistliche Würdenträger im festlichen Ornat schritten an ihr vorüber, manche blickten sie verwundert an, manche finster und gleichsam tadelnd, manche freundlich und fragend, manche Gesichter verrieten Kummer oder Versunkenheit, manche Härte und Hochmut. Sie hätte sich mit aufgehobenen Armen vor all die Männer hinstürzen mögen, aber etwas hielt sie in Bann, das stärker war als das Gefühl der Hilflosigkeit: die tiefe Erfahrung von der Unrührbarkeit der Welt, die sie in sich trug, ohne es recht zu wissen. Endlich erschien der Bischof in der Mitte seines Hofstaates, langsam stieg er die Treppe empor, doch kaum hatte er die Freifrau gewahrt, die zwei Schritte ihm entgegen tat, als er zurückprallte und mit schriller Fistelstimme seinen Begleitern zurief: »Schafft sie fort! Schafft mir das Weib aus den Augen!« Darauf war Innehalten, erschrockenes Gemurmel, Staunen, Mißbilligen, Gewirr von Stimmen, der Domherr Franz von Hatzfeld näherte sich der Freifrau, um sie wegzuführen, sie sträubte sich, er sprach ihr dringlich zu, sie aber schrie, die Treppe hinab, dem Bischof ins Gesicht: »Gebt mir meinen Buben wieder, Herr Bischof und Schwager, sonst künd ich vor allem Volk, daß Ihr und nur Ihr allein in diesem Land mit dem Teufel im Bunde seid.«

      Das Wort ließ den Bischof erstarren, eine solche Anklage hatte er nie zu hören erwartet, der bloße Gedanke daran war ihm, dessen Leben der Ausrottung des Teufels gewidmet war, so fern wie Gottesleugnung und Zweifel an den Dogmen der Kirche. Sein Entsetzen, dem sich sogleich die eisige Furcht gesellte, man könne ihn zur Verantwortung ziehen, war so groß, daß er taumelte und sich mit den Armen an den Schultern des neben ihm stehenden Paters Gropp festklammerte. Da ihm wohl bewußt war, daß ein Schatten von Verdacht hinreichte und tausendmal hingereicht hatte, Menschen ins Verderben zu stürzen, da die Anzeichen immer nur von andern beschworen, von den Betroffenen aber bis zum letzten Augenblick in verzweifelte Abrede gestellt wurden, traf ihn die Erkenntnis, daß seine Person nicht außerhalb des schrecklichen Zirkels stand, mit einer Gewalt, als zerschelle das Erdreich unter ihm. Es konnte ja möglich sein, der Versucher konnte sich ihm genaht und ihn, auch ihn überlistet haben, alles drehte sich im Kreis, er stieß ein mißtöniges Geheul aus und drückte die schlotternden Lippen auf den Arm des Jesuiten. In der unbeschreiblichen Verwirrung, von der die Anwesenden ergriffen waren, behielt nur die taube Lenette ihre Kaltblütigkeit. Sie erkannte die Gefahr, in der sich die Herrin befand, faßte sie beim Handgelenk und zog sie mit unwiderstehlicher Kraft aus dem Getümmel der geistlichen Herren, die Treppe hinab, über den Flur und zum Palasteingang. Dort schob sie die ihrer Sinne kaum Mächtige in die Kalesche und sprang selber hinein, indem sie dem Kutscher bedeutete, weiterzufahren. Ein Ziel gab sie nicht an, erst als die Pferde in der Richtung gegen das Aschaffenburger Tor liefen, beugte sie sich aus dem Schlag und rief: »Zur Münze! Zur Münze!« Bei der Münze war das Gefängnis. Sie wollte den Versuch machen, ob man sie nicht zum Junker einließe, und erriet damit die Absicht der Freifrau. Als sie hinkamen und Lenette die Bitte vorbrachte, lachte ihnen der Wächter, ein grober blatternarbiger Kerl, ins Gesicht. Da müßten sie schon einen bischöflichen Permeß dazu haben, meinte er anzüglich, und dann sähe es mit dem Wiederherauskommen übel aus. Die Freifrau rang die Hände. Sie rief, sie wollte nicht von der Stelle weichen, Tag und Nacht, und wenn sie auf dem Pflaster schlafen müsse. Allerlei neugieriges, mitleidiges, spottendes, ängstliches Volk versammelte sich um die beiden Frauen, der Wächter alarmierte seine Kameraden, ein Stadtsergeant erschien, vogelhafte Pfiffe erschallten aus den verwinkelten Seitengassen, eh man sich versah, woher sie gekommen waren und wohin sie verschwanden, huschten Scharen der jugendlichen Verschworenen vorüber, und man hörte sie vielstimmig wispern: Mariae Heimsuchung vor Sonnenuntergang. Wer die vornehme Dame war, die ihren Jammer zum Schauspiel der Gasse machte, und wem der Jammer galt, war rasch ruchbar geworden.

      Am selben Abend, nachdem sie in ihrer Verzweiflung nochmals zum Haus des Bischofs gefahren, nochmals war abgewiesen worden, sodann aufs Rathaus und zum Bürgermeister, hierauf zum Kommandanten der Stadt, dem Herrn Grafen Philippsburg geeilt war, überall Beschwerde und inständige Bitte erhoben, auf ihr altes Geschlecht und hohe Geburt verwiesen, mit Klage beim Reichskammergericht, beim Kaiser, beim Landgrafen von Hessen, beim König von Frankreich gedroht, abwechselnd geschluchzt, gerast, geschmeichelt, sich gedemütigt hatte und schließlich wie außer sich wieder zur Pforte des Gefängnisses zurückgekehrt war, um, wenn alles fehlschlug, die Wächter mit ihrem Schmuck und ihren Juwelen zu bestechen, nach alledem war sie dort von den Häschern des Bischofs ergriffen und als der Hexerei im hohen Grade verdächtig in einen der unterirdischen Kerker gebracht worden. Die Maßregel ging vom Pater Gropp aus, der Bischof war unfähig, eine Verfügung zu treffen, er hatte grade noch seine Unterschrift geben können, die brauchte der Pater zu seiner Sicherheit, aber der alte Mann hatte dabei wie Espenlaub gebebt und das Bild einer sinnlosen Kreatur geboten.

      Der Pater ordnete an, die Freifrau solle noch in der nämlichen Nacht peinlich befragt werden, auch über den Junker, ihren Sohn, und seine Verfehlungen und sündhaften Künste. Hiezu war er nach dem vom Bischof unterschriebenen Haftbefehl berechtigt, während er bisher durch keinerlei Vorstellung hatte erreichen können, daß man auch den Junker selbst durch die Folter zum Geständnis bringe, der Bischof hatte immer gehofft, daß der Junker freiwillig bekennen werde, geschreckt und eingeschüchtert, doch nicht am Körper beleidigt, dazu wollte er seine Zustimmung nicht geben, auch zum Verbrennungstode nicht; wenn alle Bemühungen vergeblich blieben, sollte er enthauptet werden. Dies wurmte den Pater Gropp, doch er versprach sich viel von der Inquisition der Freifrau, bei der der Junker zugegen sein sollte, ihr zarter Organismus würde voraussichtlich keinem ernstlichen Angriff gewachsen sein, und die seelische Qual, die der Junker dabei erlitt, würde vielleicht stärker auf ihn einwirken als die eigene leibliche, bei der ihn der Dämon hartnäckig machen und ihm eine falsche Märtyrerkrone verheißen konnte. Den willkommenen Anlaß zur Gefangennahme der Freifrau hatte die Nachricht gegeben, die zu Mittag in die Stadt gelangt war, daß das Ehrenberger Schloß in Flammen stehe und daß die Bauern und Hirten draußen die Freifrau beschuldigten, den Brand, der im Dachboden ausgebrochen war, wissentlich und vorsätzlich gelegt zu haben. Wohl möglich, daß durch ihr Herumirren mit der Kerze in der Nacht ein Funken auf das leicht entzündliche modrige Gerümpel gefallen war und zwei Tage oder mehr weitergeschwelt hatte; als sie von der Feuersbrunst erfuhr, seufzte sie aus dem Innersten auf und sagte in ihrer unbedachten Weise: »Gelobt sei Jesus Christus, daß das Unglückshaus vom Erdboden vertilgt ist.« Was als ein halbes Bekenntnis gedeutet und vermerkt wurde.

      Während sie sich von den Söldnern ruhig festnehmen ließ und von ihnen umringt plötzlich voll Würde durch das Gefängnistor schritt, das kindlichschmale Gesicht mit der wächsernen Haut leicht erhoben und von den rauchenden Pechfackeln abgewendet, hatte sich Lenette rasch der Schuhe entledigt und war unter dem Schutz der Dunkelheit katzenfüßig entschlüpft. Eine Stunde später hatte sie den Magister Molitor gefunden; von einem schweren Fieber gepackt, lag er in der Wohnung seines gelehrten Freundes, des Propstes Lieblein. Sie berichtete das Geschehene. Das graue Haar hing zersträhnt über die Schläfen, ihre Kleider waren zerrissen, das Capuchon hatte sie verloren, doch ihre Erzählung war klar und kurz. Sie schloß mit den Worten: »Ich bin ein unwertes Weibsbild vor Gott dem Herrn, aber wenn ich