Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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Heiland« und sank wortlos auf die roten Fliesen nieder. Alles war rot, die Fliesen, das Feuer, die Fackeln, das Blut, die Wämser der Knechte. Sie mußten ihn forttragen, die Besinnung kehrte erst zwölf Stunden später zurück, sie beließen ihn dann in seiner Zelle, weil der Dominikanerpater Gassner, in der Befürchtung, die Seele könnte dem Malefikanten zu früh entfliehen und die Kirche um die verdiente Beute kommen, es vorerst so anordnete. Nun saß er schon den ganzen Tag auf der Bank, die Hände am Sitzbrett und schaute. Was gab es denn zu schauen?

      Der Pater Spe stand eine Weile stumm, das Haupt gegen die Brust geneigt, dann sagte er leise: »Gott grüß dich, Junker.« Der Junker lauschte, es dauerte ziemlich lang, ehe er antwortete: »Eure Stimme klingt mir sehr angenehm, wer seid Ihr denn?« Der Pater sagte: »Ich bin der Pater Spe, vielleicht hast du mich schon nennen hören, ich bin oft gegen Rimpar hinauf in den Spessart gewandert, am Ehrenberger Schloß oft vorbeigegangen.« Darauf der Junker: »Das kann wohl sein, Pater.« Darauf der Pater: »Wenn ich dir unbekannt bin, so möcht ich, du lerntest mich kennen, dich kenn ich gut.« Der Junker schwieg und schien nachzudenken. »Wenn Ihr mich kennt«, entgegnete er endlich in seinem verwunderten Tonfall, »so vermögt Ihr mir vielleicht zu sagen, warum ich hier bin.« Darauf schwieg nun wieder der Pater. »Ihr könnts mir nicht sagen«, fuhr der Junker fort, »das hab ich mir gleich gedacht, so sagt mir wenigstens: steht die Welt noch auf ihrem alten Platz?« Es klang wie Scherz, in der alten anmutigen Weise, und war doch keiner. »Das tut sie, Junker, unverrückt steht sie auf ihrem Platz, dafür sorgt unser Herr im Himmel.« – »Und scheint die Sonne, Pater? Mir hat geträumt, der Herr Jesus hat den drei Erzengeln befohlen, die Sonne mit einem großen Laken zuzudecken, bis das andere Jahr kommt, und welcher Mensch dagegen murrt und bloß einen Lakenzipfel mit der Hand anrührt, der soll verurteilt sein, die eigene Mutter aus dem feurigen Ofen schreien zu hören.« Der Pater sagte, und seine Brust dehnte sich schmerzlich: »Junker, ich bitte dich, mach nicht den Traum zu deiner Uhr, von der du die Zeit abliest.« Das spehaft wunderliche Wort; der Junker Ernst stutzte, als er es vernahm, war ihm doch Traum und Leben in eins zusammengestürzt, war nicht wirklich Zifferblatt und Zeiger von der Traumwelt noch in ihm und wies die falsche Stunde? Er blickte sinnend in die Luft, forschend auf den Besucher, dann legte er mit seiner Lieblingsgebärde die Hände aneinander und sagte: »Ihr habt noch ein so junges Gesicht, Pater, warum habt Ihr schon weiße Haare?« Der Pater lächelte. »Dasselbe hat mich neulich der junge Kanonikus Philipp von Schönborn gefragt«, erwiderte er; »ich habe ihm geantwortet: das ist von der vielen Vergeblichkeit gekommen.« – »Wie meint Ihr das?« – »Von der Vergeblichkeit der vielen Seufzer und Tränen, die immer wieder Seufzer und Tränen hervorrufen. Man kann die Tränen nicht trocknen, man kann die Seufzer nicht stillen, jene sind wie das Meer, diese wie der Orkan, es schwillt und schwillt. Von der Vergeblichkeit der Worte, fast auch von der Vergeblichkeit der Taten. Von den Unschuldigen, die erliegen, von den Schuldigen, die mit hoher Stirn gehn. Von all dem Allzuviel, Junker, von all dem Garzuschweren. Ich habe gesehen, was unter der Sonne vorgeht, ach, ich habe mehr die Toten gepriesen als die Lebendigen, und als die Glücklichsten eracht ich die Nichtgeborenen, die nicht sehen müssen, was vorgeht unter der Sonne. Die ganze Natur trauert darob, wie soll also ich nicht trauern und wie sollte mein Haar nicht weiß geworden sein?«

      Der Junker sah ihn lange Zeit schweigend an, hierauf sagte er: »Wollt Ihr nicht herkommen zu mir, ehrwürdiger Pater, wollt Ihr Euch nicht neben mich auf die Bank setzen?« Spe nickte freundlich und zögerte nicht, der Aufforderung zu folgen. Es war ihm eine angenehme Empfindung, den Junker so nah zu wissen, selten hatte er solche Sympathie aus sich und zu sich her strömen gefühlt, der Mensch, nicht bloß der eine da, den er sehen und hören konnte, sondern das Menschenwesen selbst wurde ihm wie nie zuvor unendlich teuer und über alles liebenswert, brüderliches Geschöpf aus dem gleichen Mutterschoß und gelenkt von dem unerahnbaren Geist, den kein Glaube, kein Aussagen, kein Name, kein Gebet erreicht, den man nur atmen kann, um durch ihn zu sein. Der Junker blickte ihn gespannt an. »Sprecht, lieber Pater«, sagte er. »Was soll ich denn sprechen?« fragte Spe. »Erzählt mir«, bat der Junker, »erzählt mir was von Euch.« Unerwartetes Verlangen aus diesem Mund, das den Pater Spe rührte, wie wenn ein Singvogel auf seine Hand geflogen wäre, um den rauhen Lauten aus der Menschenkehle zu lauschen. »Bist dus nicht, Junker, der im Erzählen als ein Meister gilt?« fragte er zart scherzend. »Was könnt ich dir Neues bringen?« Der Junker schüttelte den Kopf, seine Lippen stammelten etwas, Spe konnte es nicht verstehen. Wohl aber begriff er, daß da einer war, der den Weg verloren hatte, der verirrte Sinn des Knaben rief ihn an und flehte um Führung und Weisung. Er war in die Finsternis gestoßen worden, der sorglos wandelnde Jüngling, die Elemente hatten ihm viel gegeben, Natur hatte ihn reich beschenkt, seine Seele war wie eine feurige Kugel, die ohne Schwere durch den Raum schwebt, sich selbst in ihrer schönen Glut genügend, doch das Schicksal hatte sie aufgefangen und hielt sie in seiner gewaltigen Faust, so daß ihr angst und bang war. Darüber hatte der beflügelte Genius keine Macht, dem er sich bisher spielend anvertraut hatte, er war zu einsam gewesen, zu sehr auf sich gestellt und in seine Träume gesunken, ohne Vater, ohne Mutter, ohne Freund und Geschwister, und wonach er dürstete, waren die Worte des Lebens, die Nähe der Herzen, die Nähe der Erde und ihrer Wirklichkeit. Das erkannte Spe, und er fing an, ihm seine Geschichte zu erzählen, wie er ausgegangen, um den Armen beizustehen, aus Sorge um das Volk von Land zu Land, von Stadt zu Stadt gewandert und überall nur Not und Bedrückung gefunden, Lüge, Grausamkeit und Haß, wie schwer es gewesen, den Mut nicht sinken zu lassen, das Vertrauen in den Menschen nicht dranzugeben. Er sprach von der Kriegsgeißel, von Pest und Mißernte, von der Verblendung der Glaubenseiferer, der Treulosigkeit der Großen, dem bittern Jammer, in den das deutsche Vaterland geraten, all dem Neid und Aberglauben, der Verleumdung und Ehrabschneiderei, ein kranker Körper, der seinen Arzt mit Füßen stoße und seinen Pfleger bespeie. Er schilderte dem atemlos zuhörenden Junker Begebenheiten und Begegnungen; wie er, vor kurzem erst, am Rand eines brennenden Waldes zwei kleine Kinder im Schutt aufgelesen; wie er in einem verlassenen Dorf einen Greis gefunden, anzusehen wie der Prophet Jeremias, in Verwünschungen und Schreckensgesichten sich ergehend gleich diesem, und wie er den Alten in den Arm genommen als wärs ein Säugling und zum Frieden gebracht habe; wie er in eine Stadt gekommen, deren Bewohner fast alle wahnsinnig geworden seien, gleich einer Seuche habe der Wahnsinn alt und jung, vornehm und gering erfaßt, alle hätten den Untergang der Welt erwartet, zuviel hatten sie aushalten müssen, dreimal die blutigen Greuel der zu-und widerziehenden Heere, dreimal Qual und Verdammnis, nun warteten sie aufs Ende. Dann aber berichtete er von den Hexen, von seinen Gesprächen mit ihnen; wie sich Dünkel und Fanatismus überall an allem edlen und seltenen Frauenzimmer vergreife, die Gutmeinenden stünden ahnungslos davor, indes die Brunst frecher Träume sich am Anblick schönen zuckenden Fleisches letze, da sei einem zumut, als müsse man seinen Schmerz in späte Zeiten des Menschengeschlechts hinausschreien, da die Mitgeborenen taub an Leib und Geist und Seele seien. Welche Geheimnisse, Junker, schwarzes Gelüsten, Laster der untersten Tiefen, als Gesetz und Recht der Welt angelogen, verkocht mit dem Gedankensud aus den Küchen unfaßbarer Giftmischer. Die armen Weiber, o gemarterter Christ, wenn er ihrer gedenke! Wie sich manche an ihn angeklammert wie der Ersaufende an einen Balken, welche Worte sie geredet, wie das Grauen aus ihren Lippen hervorgekrochen sei, die geplagte Haut an ihren Leibern geschwärt, wie nichts und nichts gegen den Wahn helfen gekonnt, Unvernunft sich zur Wollust gesteigert habe und er sich immer wundere, daß Tag und Nacht einander noch in altgewohnter Ordnung folgten, daß Pferd und Kuh und Esel noch den Hauch des Menschen ertrügen, obschon nicht den Blick, den ertrüge kein Tier. Und doch wieder sei der Mensch ein hohes Wesen, aus der Schlechtigkeit leuchte manchmal das edle Metall seiner ursprünglichen Natur. »Da war zu Cöln ein Missetäter«, erzählte Spe, »ein Mörder, der sollte hingerichtet werden. Umsonst alle Versuche, ihn zur Reue zu bewegen. Da sagt ich zu ihm: du weißt, daß ich einiges Gute auf meiner Rechnung habe, ich setz es auf die deine und schenk es dir zum Eigentum, wenn du Leid über dein Verbrechen bezeugst. Da ging der Mann in sich, daß er sich zurückbedachte und in großer Zerknirschung Buße tat. Aber bevor er sterben sollte, flehte er mich auf Knien an, mein Gutes wieder zu mir zu nehmen, er könne mit den erschlichenen Taten nicht vor Gott den Herrn hintreten. Es war jedoch zu spät, ich hatte ihm ja alles verpfändet, es blieb mir nichts übrig als ganz von vorn anzufangen.« Er schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Das war meine schwerste Zeit, ich hatte die guten Werke an den armen Sünder verloren und wandte mich im Gebet an meinen Heiland; ich bat ihn, er solle alle, die mich bisher